Psychotricks zur Zeitkontrolle Wie Uber seine Fahrer ans Steuer fesselt
04.04.2017, 14:57 Uhr
Uber-Fahrer klagen über Niedriglöhne und Psycho-Terror.
(Foto: REUTERS)
Mit seinen freiberuflichen Chauffeuren spart der Fahrdienst Uber Personalkosten in Milliardenhöhe. Der Nachteil ist, dass er so die Arbeitszeiten nicht vorschreiben kann. Dafür greift er in die Trickkiste.
"Sei dein eigener Boss. Fahre, wann du möchtest", wirbt die deutsche Homepage von Uber. "Starte bequem und baue dein Geschäft aus, so wie es dir passt." Was sich wie der Himmel der Selbstbestimmung anhört, ist in Wahrheit gelenkte Freiheit.
Uber spart Personalkosten in Milliardenhöhe, kann dafür seine Freiberufler aber auch nicht zur Arbeit zwingen. Die Fahrer sind selbstständig. Wenn Uber möchte, dass sie länger hinterm Lenkrad brummen, kann die Firma nicht auf feste Arbeitszeiten pochen.
Das Uber-Konzept baut auf Masse. Kunden sollen nirgendwo länger als fünf Minuten auf einen Wagen warten. Insbesondere für abgelegene Orte ein ambitioniertes Versprechen. Eigentlich könnte man annehmen, es sei damit getan, eine genügend große Flotte vorzuhalten, um Flauten im Fahrangebot wegen divenhafter Chauffeure, die frei über ihre Arbeitszeiten bestimmen, zu überbrücken. Ganz so einfach ist es aber offenbar nicht.
Um die Fahrer bei der Stange zu halten, hat sich Uber eine Trickkiste zugelegt. Die "New York Times" hat diese verschiedenen Methoden einmal gesammelt. Es beginnt mit einem einfachen Bonussystem nach 25 Fahrten. Hält der Fahrer durch, gibt es etwas extra. Weiter geht es in Form von Ansagen des Fahr-Computers zu Zielen beim Tagesverdienst: "Sie haben noch 6 Dollar bis zu einem Verdienst von 40 Dollar. Wollen Sie wirklich offline gehen?" Einfache Tricks, auf die der Mensch erfahrungsgemäß positiv reagiert: Viele Fahrer entscheiden sich offenbar wirklich, weiterzufahren.
Wenn Laura fragt, dann geht noch was
Eine andere bewährte Masche besteht darin, dass der Bord-Computer die Fahrer explizit dazu auffordert, bestimmte Fahrten noch mitzunehmen - weil zum Beispiel ein Konzert zu Ende ist oder der Berufsverkehr gerade einsetzt. Ein Trick der besonderen Art, den Uber laut "New York Times" erfolgreich angewandt hat, war Anfragen mit "Laura" statt mit "John" zu unterschrieben. Die überwiegend männlichen Fahrer hätten hierauf sehr gut angesprochen, heißt es. Statt Feierabend zu machen, wurde Gas gegeben. Wenn eine Frau bettelt, dann machen Männer offenbar lieber Überstunden.
Der Fahrer bekam die neuen Anfragen zudem noch während er mit einem anderen Fahrgast unterwegs war, um die Zeiten möglichst gering zu halten, in denen er sich entschließen konnte, Feierabend zu machen. Ubers Psycho-Terror funktionierte. Er nahm allerdings solche Ausmaße an, dass viele selbstständige Chauffeure sich dem Blatt zufolge darüber beschwerten.
So berichtete ein langjähriger Uber-Fahrer der "New York Times", dass er und seine Kollegen lange regelrecht zugespamt würden: "SMS-Nachrichten, Mails, Meldungen, die aufpoppten: 'Hey, der morgendliche Berufsverkehr geht los - fahr da oder dort hin'". Die Fahrer beschwerten sich, dass sie noch nicht einmal Zeit hätten, auf Toilette zu gehen. Die App wurde daraufhin so verändert, dass der Fahrer weitere Angebote während einer Fahrt unterbinden konnte.
Nicht nur der Stressfaktor gibt den Fahrern Anlass zur Kritik. Solange die Chauffeure Einnahmen generieren, verdienen sie Geld - auch wenn viele Fahrer klagen, dass es viel zu wenig sei. Haben sie jedoch keine Fahrgäste und kutschieren leer herum - weil Uber sie hartnäckig animiert, weiterzufahren - geht diese Wartezeit auf ihr Konto. Uber kann zwar damit bei der Kundschaft punkten. Den Preis hierfür zahlen jedoch die Chauffeure. Wenn zu viele Fahrer auf der Straße sind und sich gegenseitig Kunden wegnehmen, ist Uber das egal.
Kurzzeitjobs für jedermann
Genau hier liegt die dunkle Seite der sogenannten Gig-Economy, für die Uber ein Parade-Beispiel ist: Eine Wirtschaft, in der Selbstständige nicht einen Arbeitgeber haben, sondern sich von Job zu Job hangeln - wie eine mittelmäßige Band von Auftritt zu Auftritt. Seit 2009 wurden solche Jobs zu einem größeren Phänomen, als in den USA nach der Finanzkrise viele Menschen gezwungen waren, sich eine neue Existenzgrundlage zu schaffen.
Die Vermittler werben mit "selbstbestimmter Arbeit". Aber am Ende sind sie es, die bestimmen und die den Profit machen - alles Risiko tragen die "freien" Mitarbeiter. Am Ende steuern sie mit ihren Mini-Aufträgen einer prekären Zukunft entgegen. Der Fachbegriff hierfür lautet Plattform-Kapitalismus.
Weltweit fahren mittlerweile über eine Million Menschen für Uber. Die "New York Times" fragt, ob solche Dienste möglicherweise den Rückfall in die Anfangszeiten des 20. Jahrhunderts bedeuten: Auch damals spielten Mindestlöhne und Arbeitszeiten keine Rolle. Die Not der Arbeitssuchenden war so groß, dass sie alles hinnahmen - auch Hungerlöhne.
Uber betont, die Fahrer zu nichts zu zwingen, sondern lediglich Hilfestellung zu geben. "Wir nennen den Fahrern Gegenden, in denen die Nachfrage hoch ist, und setzen auch Anreize, dass sie mehr und länger fahren", zitiert die "Times" einen Uber-Sprecher. Jeder könne "mit einem einzigen Knopfdruck die Arbeit einstellen". Das Unternehmen hat sich gleichzeitig aber zum Ziel gesetzt, in Zukunft ein besserer Arbeitgeber zu werden: Wolle der Fahrer beispielsweise sein Kind um 8 Uhr vom Fußball abholen, könne er dies nun im Fahrprogramm angeben, heißt es. Das System werde ihn dann rechtzeitig in Richtung dieses Ortes lotsen. Von der Vision von Selbstbestimmtheit und finanzieller Unabhängigkeit ist das jedoch noch Meilen entfernt.
Quelle: ntv.de