Die Atomkatastrophe in Film und Manga Godzilla, Hiroshima und der GAU
16.03.2011, 04:34 Uhr
Dreharbeiten zum 24. Godzilla-Film in den Toho-Studios in Tokio.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Die Gefahr durch Atombomben und Atomkraft prägt auch Kunst und Kultur in Japan. Filmmonster Godzilla ist ein atomarer Mutant, ein Manga folgt einem Jungen durch Hiroshima. Und Akira Kurosawa lässt gleich reihenweise Reaktoren explodieren – in einer erschreckend prophetischen Szene.
Ein US-Atomtest vor der japanischen Küste ist schuld. Das mutierte Monster, das er erschafft, ist eine Misch ung aus Dinosaurier, Menschenaffe und Wal, hoch wie ein Haus und verfügt über einen nuklearen Atem. Godzilla ist eine der berühmtesten Figuren der japanischen Popkultur, der sogar einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame hat. Sonntagnachmittags laufen die trashig animierten Filme im Fernsehen, auch im Kino erlebt das Monster immer wieder eine Renaissance.
Doch der reale und ernste Hintergrund ist bei den Fans oft unbekannt. Der japanische Fischkutter "Glücklicher Drache V" gerät – wie vermutlich Hunderte andere Boote – 1954 in den radioaktiven Niederschlag infolge des US-Atomwaffentests "Castle Bravo". Schiff und Ladung werden erheblich kontaminiert, die Besatzung erkrankt schwer an der . Der Vorfall hat eine diplomatische Krise zwischen Japan und den USA zur Folge.
Mit dem Oxygen-Zerstörer gegen Godzilla
Für Filmproduzent Tomoyuki Tanaka ist das Ereignis dagegen der Anlass, das japanische Trauma der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945 aufzugreifen. Heraus kommt ein Monsterfilm – "Godzilla". Im ersten Film von 1954 erwacht das Monster durch Atombombenversuche der USA. Es geht an Land und hinterlässt eine Schneise der Verwüstung. Auch militärische Angriffe können Godzilla nicht stoppen. Erst eine Wunderwaffe, der Oxygen-Zerstörer, macht das Monster unschädlich. Ein Forscher warnt am Ende vor den Folgen der Atomkraft, die noch Schlimmeres als Godzilla hervorrufen könnte.
Der Film wurde zum Erfolg – bis heute gibt es 28 japanische Godzilla-Streifen. Die aus Pappe errichteten Miniaturbauten, das von Schauspielern in Kostümen dargestellte Monster, abstruse Storys mit Aliens und Cyborgs, schließlich reißerische Titel wie "Frankensteins Monster jagen Godzillas Sohn" oder "Die Brut de s Teufels, Konga, Godzilla, King Kong" – all dies lässt die Herzen von Trash- und B-Filmfans höher schlagen. Doch das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Godzilla an japanische Traumata rührt, die tief in der Gesellschaft verwurzelt sind.
Kritiker sehen in dem mächtigen, zerstörerischen Monster mit dem atomaren Atemstrahl eine Allegorie auf die Bedrohung durch die Atomkraft. Auch andere Figuren der Filmreihe spielen darauf an – etwa Hedorah, ein aus atomarem Müll und Schlamm bestehendes Monster. Es sind Ängste, die in den beiden US-amerikanischen Atombombenabwürfen ihren Ursprung haben. Jährlich gedenken die Menschen landesweit – und weltweit – der Opfer und Spätfolgen.
"Fujiyama in Rot"
Doch nicht nur in der Godzilla-Filmreihe spiegelt sich der Umgang der japanischen Gesellschaft mit Atombombe und Atomkraft. Der berühmte Filmemacher Akira Kurosawa verfilmte 1990 seine "Träume" (im Original: "Yume"). Es geht um japanische Mythen, um Füchse, um einen Pfirsichgarten, um den Zweiten Weltkrieg und den Maler van Gogh. Und es geht um den Größten Anzunehmenden Unfall. Die Folge "Fujiyama in Rot" schildert die nukleare Katastrophe – und die Bilder sind angesichts der derzeitigen Zustände im AKW Fukushima zutiefst erschreckend, geradezu prophetisch.

Meisterregisseur Akira Kurosawa verfilmte seine Träume - darunter war die Vision eines GAU.
(Foto: AP)
Der Vulkan Fuji bricht aus und führt zur Explosion eines Kernkraftwerks. Sechs Reaktoren gehen – "einer nach dem anderen" – hoch. Menschen fliehen in Panik, Explosionen sind zu hören, die Luft glüht rot, der Vulkan speit Wolken aus. Doch es gibt keinen Ausweg, Japan sei zu klein zum Fliehen, sagen die Menschen. Am Meer findet ein Mann das Gepäck der Flüchtlinge. Die Menschen selbst seien ins Wasser gesprungen, erklärt ein anderer Mann, sie lägen auf dem Meeresgrund.
Rote und gelbe Schwaden ziehen durch die Luft. Plutonium, Strontium und Cäsium, erklärt der Mann. Man habe die Radioaktivität eingefärbt, um sie sichtbar zu machen. So könne man erkennen, welches Material einen töte. "Man hat uns erklärt, Atomkraftwerke seien sicher", sagt eine Frau, "keine Unfälle, keine Gefahr. Diese Lügner!" Der Mann entschuldigt sich. Er sei Wissenschaftler und Mitschuld an der Katastrophe – und springt ins Meer. Schließlich holen die bunten Schwaden die kleine Gruppe ein. Der andere Mann wedelt mit seiner Jacke, um den Tod aufzuhalten, doch es ist sinnlos.
Kurosawa reicht eine etwa achtminütige Episode, um die Angst der japanischen Bevölkerung vor einer atomaren Katastrophe in bewegende und unvergessliche Bilder zu bannen. Es ist ein Thema, das er wenig später, in seinem vorletzten Film, noch einmal aufgreifen wird. In "Rhapsodie im August" mit Richard Gere geht es um die Aufarbeitung des Atombombenabwurfs auf Nagasaki, um den Umgang nachfolgender Generationen damit und um die Aussöhnung mit den USA.
"Barfuß durch Hiroshima"

"Fasch" - die Atombombe explodiert über Hiroshima. 140.000 Menschen sterben sofort.
(Foto: (c) Keiji Nakazawa, Last Gasp, 2004 / Carlsen Verlag, 2005)
Gerade die Atombombenabwürfe sind ein wiederkehrendes Thema in der japanischen Kunst. Davon zeugen Filme, Malerei und Bildhauerei, aber auch Comics. Keiji Nakazawa hat 1973 mit "Barfuß durch Hiroshima" eine mehrteilige Manga-Serie vorgelegt, die auf autobiographischen Erlebnissen beruht. Der Comic ist ein erschütterndes Dokument, dessen Relevanz auch darin erkennbar ist, dass der Carlsen Verlag zum 60. Jahrestag der Atombombenabwürfe die Serie erneut in Deutschland publizierte.
Erzählt wird in "Barfuß durch Hiroshima" die Geschichte des sechsjährigen Gen Nakaoka, der Züge seines Autors trägt. Er lebt 1945 mit seiner Familie in Hiroshima. Japan ist zu dieser Zeit eine militarisierte, fanatische, von Hass gegen die ausländischen "Teufel" erfüllte Gesellschaft. Der Vater des jungen Gen ist dagegen Pazifist und gegen den Krieg – was die Familie zu Geächteten macht. Doch dann kommt der 6. August 1945.
"Zing" und "Fasch"
"Zing" und "Fasch" sind die Geräusche, mit denen die Atombombe explodiert – die nukleare Katastrophe verändert das Leben des Jungen für immer, er verliert – wie Autor Nakazawa – den Großteil seiner Familie. Gen und seine schwangere Mutter überleben wie durch ein Wunder. Mit eindringlichen Bildern schildert Nakazawa die Explosion von "Little Boy", die Druckwelle und die Feuersbrunst, die dadurch ausgelöst werden.

Die Hitzewelle lässt die Haut der Menschen schmelzen.
(Foto: (c) Keiji Nakazawa, Last Gasp, 2004 / Carlsen Verlag, 2005)
Die Haut der Menschen, die von der Hitzewelle erfasst werden, schmilzt. Tiere fangen an zu brennen. Hinzu kommen die zerstörten Gebäude und Straßen, unter den Trümmern liegen Tausende Menschen. Zusammen mit seiner Mutter und der inzwischen geborenen Schwester Tomoko irrt Gen durch die zerstörte Stadt und sucht einen Weg heraus. Er sieht unzählige Tote und erlebt das schmerzhafte Sterben der Verstrahlten, die von der übrigen Gesellschaft gemieden werden.
Zeichner Nakazawa selbst wird als Atombombenopfer mit der Nummer 0019760 geführt. Seit der Katastrophe leidet er an Diabetes. Nachdem seine Mutter 1966 an den Spätfolgen der Verstrahlung stirbt, beginnt er, mit Mangas seine Erlebnisse zu verarbeiten. Sein Werk wird wegen der autobiographischen Aufarbeitung einer Katastrophe oft mit der Graphic Novel "Maus" von Art Spiegelman verglichen, die den Holocaust thematisiert. Spiegelman steuerte auch das Vorwort zur Neuauflage bei. Nakazawa lebt noch, 2009 verkündete er aber, nicht mehr zeichnen zu wollen. Das Diabetes hat ihn fast blind gemacht. Vielleicht hatte er gedacht, nie wieder eine atomare Katastrophe miterleben zu müssen. Die außer Kontrolle geratenen könnten das verhindern.
Quelle: ntv.de