
Wird wegen ihres Akzents verspottet: Annalena Baerbock.
(Foto: imago images/photothek)
Annalena Baerbock muss erneut Häme einstecken - diesmal für ihr vermeintlich schlechtes Englisch. Unsere Kolumnistin nervt der Spott über die deutsche Außenministerin. Steckt nicht in vielen von uns ein kleiner Günther Oettinger?
Irgendjemand hat mal gesagt, die Deutschen hätten immer was zu meckern. Wenn es nichts zu meckern gibt, seien sie einfach nicht zufrieden. Und natürlich hat jeder von uns Erfahrungen in diese Richtung gemacht, entweder, weil wir selber meckern oder aber, weil wir uns innerlich echauffieren, wenn wir beispielsweise mitkriegen, dass Urlauber am schönsten Fleckchen dieser Erde am Frühstücksbuffet mosern, weil auf der Platte mit den gefühlt 532 verschiedenen Wurstsorten keine Sülzwurst liegt. Also, das gibt aber Abzüge in der B-Note!
Zugegeben, ich meckere auch ganz gerne! Es kommt aber immer ein bisschen darauf an, worüber man so meckert. Aktuell könnte ich an die Decke gehen, weil der Kater, dem für gewöhnlich ein Katzenklo ausreicht, plötzlich Ansprüche an ein zweites stellt. Eines ist ihm nicht mehr genehm, der Herr hat sich entschieden, mir das mit dicken Häufchen auf den Badezimmerfliesen deutlich zu demonstrieren.
Ich meckere auch meistens erst hinterher und nie in dem Moment, wo man meckern sollte. Neulich war ich mit dem Kater beim Tierarzt und in der Praxis saßen Leute ohne Maske, die mich sehr abschätzig anschauten und frech grinsten, als sie mich mit meiner Maske auf der Visage erblickten - als sei ich ein blödes Schaf, das alles glaubt, was ihm die Regierung vorkaut. Doch anstatt zu meckern, kraulte ich den Kater und ignorierte, dass auch der Tierarzt und seine Assistentin keine Maske trugen.
Das ist "nur" eine Meinung
Nun wird dieser Tage erneut wieder über unsere neue Außenministerin gemeckert. Vor allem, was ihr Englisch betrifft. Gut, ich muss zugeben, mein Englisch ist auch nicht "the yellow from the egg", aber dafür kann ich in allen möglichen Sprachen fluchen. Bei Annalena Baerbock aber hat man stets ein bisschen das Gefühl, dass bei ihr - vor allem bei ihr - das Haar in der Suppe gesucht wird. Es wird in einer Tour gemeckert und gelästert, obwohl ich finde, und das ist nur meine bescheidene Meinung, dass sie ihre ersten internationalen Auftritte souverän gemeistert hat.
Nun aber kassiert sie Häme über ihren deutschen Akzent bei einem Treffen mit dem EU-Außenbeauftragten Borrell. Sofort eskalierten die Leute auf Social Media, vor allem auf Twitter ging die Post ab. Ihr Englisch sei auf Hauptschulniveau, twitterten Leute, andere zweifelten auf der Stelle ihre zwei Semester an der London School of Economics an. Immer wieder herrlich, dass all jene, die sich eigentlich schämen müssten, gerne von ihrem Sofa aus verkünden, sie würden sich "fremdschämen". Dabei sollte man sich lieber für ganz andere Dinge fremdschämen. Beispielsweise dafür, Hass und Hetze ins Internet zu rotzen und dreist zu behaupten, dies sei "nur" eine Meinung.
Ich stelle mir vor, wie unangenehm es sein muss, nicht nur für Baerbock als Frau, sondern vor allem als Mensch mit politischer Vision, dass jeder Fauxpas künstlich aufgebläht wird, um gegen sie auszuteilen. Ja, sie ist noch keine Vollblut-Politikerin, und ja, sie hat wenig Erfahrungen. Aber ganz ehrlich: Ich stelle mir dieser Tage so manches Mal vor, wie ich reagieren würde, wäre ich Politikerin geworden und müsste beispielsweise wie Merkel mit irgendwelchen Machthabern verhandeln, die ich persönlich ungefähr so dufte finde, wie die Leute, die mich im Wartezimmer der Tierarztpraxis belächeln, weil ich eine Maske trage.
"Before i make kurzen Prozess with him!"
Etikette wahren. Souverän bleiben. Auch, wenn Putin seinen Köter absichtlich an meinem Hosenbein schnuppern lässt oder Donald Trump mir nicht die Hand schütteln will. Ich kann das nur bewundern. Ich hätte wirklich Sorge, mir könnte in solchen Momenten wirklich etwas in sehr schlechtem Englisch rausrutschen wie etwa, "Hey, nothing for ungood. Mister Putin, stop your stupid dog, before i make kurzen Prozess with him!"
Bei Trump etwa hätte ich auch nie ruhig bleiben können: "Your hairstyle looks like an accident." Und zum aktuellen Chef von Polen würde ich am liebsten sagen: "The Krakauer Wurst is very much better than your policy!" Sie sehen, die politische Bühne ist nicht so mein Metier. Und natürlich ist das hier nur ein kleiner Wunsch, den ich in die Welt sende, während das Jahr ausklingt: Ich wünsche mir, dass wir mehr unsere Herzen sprechen lassen und weniger mit einem lauten Organ unterwegs sind. Kein Politiker und keine Politikerin braucht Vorschusslorbeeren, aber wir sollten Annalena Baerbock zutrauen, dass sie ihren Job nicht minder schlecht machen wird als ihr Vorgänger.
Übrigens: Englische Muttersprachler konnten überhaupt nicht verstehen, wieso die neue deutsche Außenministerin wegen ihres Akzents und für ihr Englisch so durch den Kakao gezogen wurde. Im Gegenteil, ihr Englisch, so Frederik Pleitgen, CNN International-Korrespondent, sei sogar "außergewöhnlich gut".
Liebe Leserinnen und Leser, that was the last Kolumne this year. Ich danke Ihnen fürs Lesen, für Ihre Treue und auch für das tolle Feedback. Ich wünsche Ihnen ein frohes Fest und einen guten Rutsch, alles Liebe und bis zum nächsten Jahr! "End good, all good."
Quelle: ntv.de