Die Weiße Stadt am Mittelmeer Tel Aviv ist eine echte Bauhaus-Metropole
24.02.2019, 16:04 Uhr
Eines der typischen Bauhaus-Häuser in Tel Aviv.
(Foto: Tal Leder)
Unter dem Motto "Die Welt neu denken" feiert das Bauhaus 2019 seinen 100. Geburtstag. Die aus Weimar stammende Talentschmiede der Moderne prägte die Architektur weltweit. Mit über 4000 Gebäuden ist Israels Metropole Tel Aviv ein echter Bauhaus-Hotspot.
Drei Jahre mussten der Engländer Michael Birnbaum und sein israelischer Ehemann Avner Peleg warten, bis sie in Tel Aviv endlich ihr Bauhaus-Appartement im Viertel "Gan haHachaschmal" (Elektronischer Garten) beziehen konnten. Grund der Verzögerungen waren Sanierungsarbeiten am gesamten Anwesen, das in den 1930er-Jahren in der Hachaschmal-Straße 17 errichtet wurde. Über 4000 Gebäude dieser Art besitzt die "Weiße Stadt" - die weltgrößte Ansammlung weltweit. 2003 erklärte die Unesco dieses einzigartige Phänomen der modernen Architekturgeschichte zum Weltkulturerbe.

Birnbaum und Peleg gehören zu den Glücklichen, die eine solche besondere Wohnung ihr Eigen nennen dürfen.
(Foto: Tal Leder)
"In der Mittelmeermetropole in so einem Bauwerk zu leben ist ein Traum," sagt Birnbaum. "Lange dauerte die Renovierung", erzählt er. "Da das Gebäude auch um zwei Etagen ergänzt wurde und nicht mehr wie ursprünglich nur drei Stockwerke besitzt, verlängerte sich die Fertigstellung um Monate."
Die 1909 gegründete erste hebräische Stadt war zunächst nur eine kleine jüdische Siedlung vor den Toren Jaffas. Ihr schnelles Anwachsen veranlasste die britische Mandatsmacht 1925 zu einem Masterplan. Meir Dizengoff, der erste Bürgermeister von Tel Aviv, beauftragte den Schotten Sir Patrick Geddes mit dem Bauvorhaben. Ziel war es, den Bewohnern Komfort und Lebensqualität zu sichern. Für die in Gartenstädten vorgesehenen Gebäude ließ sich Geddes von den charakteristischen Merkmalen der Bauhaus-Architektur inspirieren.
Emigranten bringen das Bauhaus mit
Das Hauptprinzip der von Walter Gropius 1919 in Weimar gegründeten Akademie war die Vereinigung von Schöpfung und Handwerk zu einem Gesamtkunstwerk. Einer seiner wichtigsten Ansätze war die Suche nach Grundbestandteilen von Kunst und Design. Daraus entwickelte sich dann der Bauhausstil in der Architektur, in dem primären Formen und Farben große Bedeutung beigemessen wurde. 1925 zog die Schule nach Dessau und 1932 nach Berlin. Mit der Machtergreifung der Nazis endete die Entwicklung des Bauhauses in Deutschland. Viele, die in der Akademie tätig waren, gingen ins Ausland.
Mit Beginn des Dritten Reichs kamen immer mehr jüdische Einwanderer aus Deutschland nach Palästina. In Tel Aviv nahm die Einwohnerzahl rapide zu und stieg in kürzester Zeit von 46.000 auf 150.000. Unter den Emigranten waren aufstrebende junge Künstler, von denen viele mit den Ideen des Bauhauses in Kontakt gekommen waren. Einige waren auch von Gropius sowie weiteren Vertretern der Bewegung Neues Bauen wie Erich Mendelsohn, Ludwig Mies van der Rohe und Le Corbusier unterrichtet wurden. Unter diesen Neuankömmlingen waren unter anderem Arieh Sharon, Munio Weinraub, Zeev Rechter, Dov Karmi, Genia Averbuch sowie Oskar und Richard Kaufmann.
Sie entwarfen zwischen 1930 und 1948 Tausende Bauwerke, darunter den Dizengoff-Platz und das berühmte HaBima-Theater in Tel Aviv, die große Synagoge in Haifa sowie weitere Gebäude in Jerusalem und einigen Kibbuzim. Die auch als "Internationaler Stil" bekannte Bewegung war gekennzeichnet durch gerade horizontale Linien, überdachte Balkone, Treppen mit offenem Lichteinfall und 180-Grad-Wölbungen, die den Eindruck der Rückseite eines Ozeandampfers vermitteln. An den Westseiten der Gebäude wurden Lüftungsschächte angebracht, um den kühlenden Seewind einzufangen. Häufig wurden aus Deutschland importierte Materialien verwendet.
Deutsche Fliesen
Dies war möglich, weil die geflüchteten jüdischen Einwanderer kein Geld aus Deutschland mitnehmen konnten. Das "Ha'avara-Abkommen" mit den Nazis ließ jedoch zu, dass die Vermögen unter hohen Verlusten in Form von Sachwerten ausgeführt werden konnten.
"Das Anwesen von Birnbaum und Peleg, hat deutsche Kacheln und Fliesen", erzählt ein Mitarbeiter des Zentrums Weiße Stadt, das sich dem Erhalt der Bauhausgebäude von Tel Aviv verschrieben hat. "Arieh Strimmer entwarf es 1933 für Moshe Waldman, den leitenden Ingenieur des elektronischen Unternehmens direkt gegenüber. Vom Balkon aus konnte Waldman Lichtzeichen seiner Mitarbeiter sehen, mit denen sie ihn bei Notfällen kontaktierten."
"Das Bauhaus war revolutionär", sagt Micha Gross. "Es hatte einen großen Einfluss auf die Moderne, indem es Funktionalismus und Rationalität vereinte und Ornamente missbilligte." Gross ist Direktor des Bauhaus-Centers in Tel Aviv, das vor allem Stadtführungen organisiert. "Es ist erstaunlich, zu sehen, wie die Menschen darauf reagieren," erzählt der gebürtige Schweizer. Mit einem Stadtplan und Audioguide kann inzwischen jeder selbst die Spuren des Bauhaus in Tel Aviv erkunden.
"Dadurch erfährt man, dass das Bauhaus in der Weißen Stadt für ein bestimmtes Ideal steht, das die deutschen Immigranten in den 1930er-Jahren mitbrachten. Sie hatten ihre ganz persönliche Vorstellung vom Zusammenleben der Menschen: einfach, aber praktikabel. Und sie wollten den privaten und den öffentlichen Raum miteinander teilen", sagt Gross. Das passte zur herrschenden Aufbruchsstimmung. Der avantgardistisch-internationale Stil des Bauhaus war der architektonische Ausdruck der sozialistisch-zionistischen Bewegung und ihres Bestrebens, eine neue jüdische Welt zu schaffen.
Die dringende Notwendigkeit. nach der Staatsgründung Israels 1948 Wohnungen für die vielen Zuwanderer zu schaffen und dafür die billigsten Baumaterialien zu verwenden, beendete die Bauhausbewegung. Durch das schwül-heiße Klima mit der salzigen Meeresluft verfielen die Gebäude. Über viele Jahrzehnte lang schien das architektonische Erbe vergessen. Erst als die Unesco den Internationalen Stil der Weißen Stadt zum Weltkulturerbe erklärte, begann ihre Sanierung. Diese wird vom deutschen Bundesbauministerium von 2015 bis 2025 unterstützt, unter anderem wurde damit neben dem Bauhaus-Museum in der Bialik-Straße ein weiteres Zentrum im Max-Liebling-Haus geschaffen.
Der einstige Glanz der Bauhaus-Idee in der Stadt, die aus den Dünen entstand und bezahlbaren Wohnraum schaffen wollte, ist heute etwas verblasst. In Tel Aviv wachsen Wohnblöcke zu unerschwinglichen Preisen in die Höhe. "Aber der Geist des Bauhauses lebt weiter," ist Birnbaum überzeugt. Sein Gestaltungsgrundsatz 'Die Form folgt der Funktion' funktioniert immer noch.
Diese Erfahrung machen Birnbaum und Peleg in ihrem Appartement jeden Tag. "Das Anwesen hier ist toll", gerät Birnbaum ins Schwärmen. "Besonders genießen wir den ovalen Balkon, wo ich eine wunderschöne Aussicht auf die Vielfalt der Architektur im Bauhausstil und Elektizismus habe und gleichzeitig meinen Partner im minimalistischen Raum der Wohnung sehe, der sich an den neu erworbenen dänischen Möbeln erfreut."
Quelle: ntv.de