Unterhaltung

"I fucking hate this bullshit" Wie Lady Gaga Berlin aufmischt

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Party im Berghain: Lady Gaga lässt es krachen.

(Foto: Ampya / Julia Schoierer)

Im Film "In China essen sie Hunde" erschießt Banker Arvid aus Versehen eine ganze Rockband. Macht nichts, es gäbe sowieso zu viele, lautet der Kommentar seines Bruders. Popstars gibt es wie Sand am mehr. Aber Lady Gaga ist doch etwas Besonderes. Das wird bei ihrer Albumpräsentation in Berlin klar.

Es ist ein handverlesenes Publikum. Nur ein paar hundert Leute. Doch die kommen von überall her - ob aus Köln, Stuttgart, Polen, Italien, den USA oder eben Berlin. Schließlich begegnen sie sich alle hier in einem Seitengebäude des Berghains, dem berühmt-berüchtigten Club der Hauptstadt mit Fabrikhallen-Charme. Und es ist ein Publikum, wie man es in derartiger Zusammensetzung nur selten erlebt. Frauen in Waffenschein-High-Heels treffen auf Typen in Stöckelschuhen, Tüllschleier auf selbst gebastelte Kostüme aus silbern glänzenden Wärmedecken, Modemacher Michael Michalsky auf Uwe-Ochsenknecht-Sohn Wilson Gonzales ebenso wie auf "The Voice of Germany"-Gewinnerin Ivy Quainoo oder "Die Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo.

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So kam Lady Gaga in Berlin an.

(Foto: imago stock&people)

Auch wenn man es vielleicht meinen könnte, ist dies kein Begrüßungskomitee zur Eröffnung einer neuen Loveparade in Berlin. Dann müsste ja auch irgendwo noch Gotthilf Fischer auf Ecstasy herumspringen. Der aber ist nicht zu sehen. Nein, der Anlass ist ein anderer, aber aus Sicht vieler hier kein weniger bedeutsamer: Lady Gaga beehrt Deutschland, um ihr am 8. November erscheinendes Album "Artpop" vorzustellen.

Gekommen ist die Lady auf Einladung der vom Medienkonzern ProSiebenSat.1 vor kurzem gelaunchten Streaming-Plattform "Ampya". Eine Win-Win-Situation, auch wenn gemunkelt wird, dass einiges Geld auf den Tisch gelegt wurde, um die 27-Jährige von der Aktion zu überzeugen. Mit Hilfe des Superstars ist der neue Musik- und Video-Dienst auf einen Schlag in aller Munde. Stefani Germanotta indes, die alle nur unter ihrem Gaga-Pseudonym kennen, kann Werbung für ihr kommendes Album gut gebrauchen. Nachdem der Erfolg der ersten Single-Auskopplung "Applause" hinter den Erwartungen zurückblieb, prophezeien der Lady einige bereits einen veritablen Karriereknick und den Verlust des Pop-Throns an Konkurrentinnen wie Katy Perry.

Aber hallo, liebes Fräulein

Wenn man sich die Lady-Gaga-Show im Berghain ansieht, besteht da allerdings keine Gefahr. Auch Katy Perry war neulich zur Vorstellung ihres neuen Albums "Prism" nach Berlin gekommen. In schicker Lounge mit Blick über den Ku'damm lauschten da die Journalisten, während die Sängerin auf einem Sofa unaufgeregt an ihrem Drink nuckelte und zwischendrin immer mal wieder ein wenig über ihre Songs plauderte.

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Dieses unauffällige Outfit trug die Sängerin später während ihres Aufenthalts.

(Foto: dpa)

Frau Gaga hingegen lässt es - aufs Beste inszeniert - krachen. Eineinhalb Stunden nach dem eigentlich angesetzten Beginn der Veranstaltung kann man das erste Mal einen Blick auf sie erhaschen. Mit Leder-Bustier, Strapsen, Pelzmantel und Bart stolziert sie über den "blauen Teppich". Mit Bart? Ja, ein schöner, aufgeklebter Schnäuzer ist das optische Highlight, das die Verwandlungskünstlerin für ihren Auftritt an diesem Abend auserwählt hat. Von den Highlights, die sich daraus ergeben, außer blanker Haut einfach nichts auszuwählen, einmal abgesehen.

Wenig später, pünktlich als die ersten Fans mit "Gaga"-Sprechchören allmählich ungeduldig zu werden drohen, ist es dann soweit: Begleitet von hysterischem Kreischen, wie man es seit den "Beatles" eigentlich für ausgestorben gehalten hatte, betritt die Sängerin die Bühne. "I love you", erklärt sie in bester Michael-Jackson-Manier. Und natürlich ist sie auch "so happy to be here". Ihr kommendes Album "Artpop" gehe um nichts Geringeres als darum, "that we could belong together". Mit rollendem "R" stößt sie noch das Wort "Fräulein" aus, ehe die ersten wummernden Beats aus den Boxen hauen und die Lady die Bühne auch schon wieder verlässt.

Bad in der Menge

Das komplette Album, insgesamt 15 Songs, ist so zu hören. Und obwohl es erst in zwei Wochen offiziell zu haben ist, können viele hier die Texte bereits mitsingen. Wer gedacht hatte, die Sängerin würde das Publikum jetzt erst einmal mit ihrer Musik alleine lassen, sieht sich getäuscht. Abgeschirmt von bulligen Bodyguards nimmt sie schon alsbald ein Bad in der Menge, tanzt und umarmt die Fans, setzt sich deren Hüte auf den Kopf oder hängt sich schwarz-rot-goldene Boas um den Hals. Eine Kamera in der Hand, scheint sie das Geschehen zu filmen. Im Schlepptau hat sie ein paar Mädels und einen Jungen aus ihrer Posse. Nicht nur, damit die ihr ab und an mal die Kamera abnehmen. Sie sollen ihr auch helfen, die Halle in eine Party-Zone zu verwandeln.

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Und das war die Lady in voller Pracht am Abend.

(Foto: imago stock&people)

Zurück auf der Bühne, wirft die Lady Rosenblätter ins Publikum, zieht sie unter dem Johlen der Fans ihren Slip noch ein Stück tiefer, als er ohnehin schon sitzt, und feiert weiter - im Sitzen wie im Stehen. Sie kann sich das erlauben. Hier wirkt nichts billig wie etwa zuletzt bei Miley Cyrus. Wie gut sie sich bewegen kann, merkt man Frau Gaga sogar an, wenn sie nur im Sessel lümmelnd zu posieren beginnt. Und wenn sie neben einem die dünnen Glieder zur eigenen Musik schüttelt, wird einem erst einmal bewusst, wie zierlich ein Superstar mit so viel Gewicht in Wahrheit ist.

Manchmal ist es aber auch gut, zwischendrin auf die Toilette zu gehen. Da kann man dann zum Beispiel beiläufig Gespräche verfolgen, in denen es um den weiteren Ablauf des Abends geht - wann, nach welchem Song und welchen Worten es wie weitergeht. Auch wenn drinnen eine spontan-ausgelassene Party zu toben scheint - dem Zufall überlassen ist hier nichts. Das war allerdings auch schon am Eingang klar, als man Sicherheitskontrollen beinahe wie am Flughafen passieren musste. Fotoapparate, Handys, Aufnahmegeräte - nichts davon durfte ohne offizielle Berechtigung dazu in die Halle mitgenommen werden. Denn auch, was von der Veranstaltung im Nachhinein nach außen dringt, will ja kontrolliert werden.

Zwischen Popart und amerikanischem Traum

Weitergehen tut es dann schließlich damit, dass zehn der auserlesenen Fans im Publikum ihre zuvor auserlesenen Fragen an die auserlesene Sängerin des Pop-Universums stellen dürfen (und schließlich werden noch drei spontane Fragen zugelassen). In ihren Antworten kommt Lady Gaga natürlich nicht ohne notorische Liebesbekundungen aus - an ihre "kleine Monster" genannten Fans ("I hope you receive my love"), an Deutschland, Berlin und das Berghain, wo sie schon so oft gewesen sei, und an die Popart Andy Warhols. Denn natürlich ist der Albumtitel "Artpop", dessen Cover kein Geringerer als der Gegenwartskünstler Jeff Koons gestaltet hat, nicht ohne Hintersinn erdacht. Vielmehr sieht sich Lady Gaga in der Tradition der Popart, Kunst und Kommerz zusammenzubringen. Wenn sie dann darüber spricht, dass es mit genug Disziplin jeder nach oben schaffen könne ("I was a waitress five years ago!"), gleitet sie mit ihren Aussagen jedoch schon auch mal in die Fabel vom amerikanischen Traum ab.

Aber: Diese Frau ist alles andere als unsympathisch. Und ein Superstar, der sich für Toleranz, respektvollen Umgang miteinander und gegen übertriebenes Konkurrenzdenken ausspricht, kann einem letztlich allemal lieber sein als die Dicke-Hosen-Typen in der Branche. "I fucking hate this bullshit", schimpft die Lady über Kollegen, die es lieben, ein zwielichtiges Image zu pflegen (zu dumm, dass Bushido nicht da ist). Und: "Fuck it! Who cares?" - das sei, was sie über Charts und Rankings denke. Darauf angesprochen, wie sie damit umgehe, schon von mehreren Magazinen zur angeblich einflussreichsten Frau auf dem Planeten gekürt worden zu sein, gibt sie sich zugleich bescheiden. Sie wisse nicht, ob sie damit gut umgehe, weil sie ihren Einfluss vielleicht zu wenig geltend mache, erklärt sie. Es ginge ihr nicht darum, die Welt zu beherrschen, sondern sie zu verändern.

Mit einer live gesungenen Akustik-Version des Songs "Gypsi" von ihrem neuen Album, bei dem sich die Sängerin selbst am Klavier begleitet, den deutschen Worten "Dankeschön" und "Gute Nacht" schickt Lady Gaga das Publikum schließlich nach Hause. Wow, sie kann wirklich singen, denkt man sich da und wünschte sich zugleich, sie würde ihre Songs auch auf ihren Alben nicht immer zu allzu seelenlosem Mainstream-Pop zusammenmischen. Dann käme sie dem Gesamtkunstwerk, das sie zu sein anstrebt, womöglich wirklich ziemlich nah. Trotzdem: Für diesen Abend hat sich die Lady den "Applause" verdient.

Quelle: ntv.de

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