Mexiko und der Tag der Toten Vergiss mein nicht!
06.04.2012, 13:54 Uhr
Im Totenreich ist was los ...
(Foto: Avant-Verlag 2011)
Die Schädel liegen auf dem Tisch. Doch es geht nicht um eine mysteriöse Séance, sondern um einen der wichtigsten Feiertage in Mexiko - den Tag der Toten. Die Menschen treffen sich auf dem Friedhof und erinnern sich an die Verstorbenen. Doch wehe, man vergisst sie.
Die "Damnatio memoriae", die Verdammung des Andenkens, gehörte zu den schlimmsten Strafen des Römischen Reiches. Die Erinnerung an einen Menschen wurde dabei aus Annalen, von Denkmälern und Inschriften entfernt - nichts sollte mehr an die Übeltäter erinnern, zu denen auch einige Kaiser gehörten. Zwar hat die Forschung die These von der totalen Auslöschung der Erinnerung inzwischen in Frage gestellt. Die Strafe verweist aber nichtsdestotrotz darauf, wie wichtig Menschen die Erinnerung der Nachwelt war und ist.
In vielen Kulturen ist die Erinnerung an die Ahnen tief in die Gesellschaft verankert. Das gilt auch für Mexiko. Die dort intensiv begangene Erinnerung an die Vorfahren ist Thema der ersten Graphic Novel von Felix Pestemer. der beeindruckende Band "Der Staub der Ahnen", erschienen im Avant-Verlag, beschreibt den mexikanischen Totenkult, speziell den Día de los Muertos (Tag der Toten), der zu den höchsten Feiertagen des Landes zählt und weit über die in Deutschland gefeierten Allerseelen und Totensonntag hinausgeht.
Schädel aus Zuckerguss
Im Mittelpunkt der Erzählung steht Eusebio Ramirez. Der Angestellte eines Maskenmuseums wollte eigentlich nach langen Jahren sein Heimatdorf wiedersehen. Doch der Tod des Sohnes der befreundeten Familie Rojas lässt ihn wieder fliehen. In einem langen Brief an Benitos Mutter erinnert er sich daraufhin einerseits an all seine mittlerweile verstorbenen Bekannten der Familie. Andererseits beschreibt er die Vorbereitungen und Feiern zum Tag der Toten und dessen Bräuche. Für Pastema ist beides Aufhänger, tief in diese Tradition einzutauchen.
Das Totengedenken der Familie Rojas, das Pestemer beschreibt, ist für den deutschen Betrachter ungewöhnlich. Auf einem Totenaltar werden die Fotos der Verstorbenen aufgestellt. Erinnerungsstücke, Blumen, Kerzen, Früchte und Schädel aus Zuckerguss stehen daneben, an Girlanden hängen Skelette. Auch der Friedhof wir bunt geschmückt. Gemeinsam verbringt man die Nacht an den Gräbern, isst und singt. Die Farben, die Gemeinsamkeit, die Erinnerung stehen dem Tod entgegen. Sie entreißen dem die Verstorbenen dem Vergessen.

"Staub der Ahnen" ist im Avant-Verlag erschienen, hat 88 Seiten im Großformat und kostet 24,95 Euro.
(Foto: Avant-Verlag 2011)
Auf einer zweiten Ebene erzählt Pestemer von den Verstorbenen der Familie Rojas. Die einfarbigen Zeichnungen handeln von menschlichen Tragödien, von historischen Ereignissen und von einer surreal-mystischen Reise durch die Wüste. All diese Toten sieht man schließlich auf einer dritten Ebene wieder: Sie leben als Skelette in einer Art Parallelwelt. Hier feiern sie wie die Lebenden. Zumindest, solange man sich an sie erinnert. "Solange wir an sie denken, werden sie im Jenseits weiter existieren", schreibt der Museumswärter Eusebio an einer Stelle. "Erst wenn die Toten vergessen sind, zerfallen sie zu Staub."
Der Tod ist Teil des Lebens
Der Ursprung für Pestemers Buch ist ein Forschungsaufenthalt in Mexiko 2005/06. Einen damals entstandenen Bildband arbeitete er nun zu dieser Erzählung um. Der Wechsel von bunten und einfarbigen Teilen ist dabei geschickt angelegt und unterstützt die Handlung.
Vor allem aber grafisch weiss "Staub der Ahnen" zu überzeugen. Der Wahlberliner Pestemer reizt in der Anordnung der Panel - von der klassischen Aufteilung bis zum doppelseitigen Bild - die Möglichkeiten des Comics voll aus.
Und auch das Thema, das in Deutschland eher Unbehagen auslöst, wird umfassend behandelt. Der Tod ist ein Teil des Lebens. Das Wissen um die Erinnerung nimmt ihm den Stachel - nur das hierzulande dieses Wissen weitestgehend verschüttet ist.
Quelle: ntv.de