Blau, picklig und krumm Schönheit wird überschätzt
07.02.2015, 13:53 Uhr
Kein Gehirnschnitt-Modell für Medizinstudenten, sondern die mild schmeckende tschechische Sorte "Valfi" mit blauer, fast schwarzer Schale und violett-weiß marmoriertem Fleisch. Die Farbe bleibt auch nach dem Kochen erhalten.
(Foto: imago stock&people)
Ein It-Girl hat das, was eine Kartoffel nicht braucht: ein hübsches Äußeres. Dem "Mädchen mit dem gewissen Etwas" droht der mediale Untergang, sollte der schöne Schein Risse bekommen. Das ist der Knolle egal: Ihre Werte liegen innen. Obwohl …
Die Girls vom Acker haben zum Teil lustige Namen, Mayan Gold oder Black Princess, Rote Emmalie oder Blaue Elise. Ein paar Bengels sind auch darunter, der bekannteste dürfte der Blaue Schwede sein; und einige wurden gar geadelt - Duke of York oder Duke of Llanfyllin zum Beispiel. Es gibt sie wirklich, diese Kartoffelsorten, nur leider nicht im Supermarkt. Liebhaber des guten Geschmacks nehmen lange Wege und hohe Preise in Kauf, um den Gegenstand ihrer Begierde einigen wenigen Bio-Bauern oder Hobby-Züchtern abzuluchsen.
Es wird dem Kartoffelfan nämlich nicht leicht gemacht, sein Lieblingsessen schmackhaft und von bester Güte auf den Tisch zu bringen. Denn es wird immer schwieriger, richtig leckere Kartoffeln zu bekommen. Es sei denn, der Großstadtmensch hat ein familiäres bäuerliches Hinterland mit Kartoffelacker. Aber Otto Normalverbraucher muss kaufen, was der Handel anbietet. Das ist meistens unter aller Würde - und daran soll der Verbraucher selbst schuld sein! Denn, so sagen die Bauern, heutzutage kaufen die Kunden Kartoffeln nur noch nach dem Aussehen. Auch sauber sollen die Knollen sein und möglichst billig. Da stehen sich alle Anforderungen irgendwie im Wege, der Geschmack wird zweitrangig, weil der schöne Schein überwiegt.

Das "Bamberger Hörnchen" ist wahrlich keine Schönheit - aber von exzellentem Geschmack.
(Foto: picture alliance / dpa)
Denn Kartoffeln, die wirklich gut schmecken, sehen meistens nicht sehr schön aus. Im Unterschied zum It-Girl sind beim Mädel vom Acker die mit den Warzen und Höckern, die Krummen und Buckligen jene, die Begehren wecken. Bestes Beispiel ist das "Bamberger Hörnchen": Das "Hörnla", wie die Franken sagen, ist krumm und bucklig, nur fingerlang. Die Schale ist dünn, der Ertrag gering, die Ernte aufwendig, weil nur von Hand gelesen werden kann. Das "Bamberger Hörnla" ist deshalb kaum zu bekommen - bei Fans aber sehr gefragt. Bei wem und wo nun die Idee keimte, die täuschend ähnliche französische Sorte "La Ratte" statt "Bamberger Hörnchen" anzubieten, um sich das Geschäft nicht entgehen zu lassen, bleibt wohl auf immer unbekannt. Das führte jedenfalls zu der merkwürdigen Tatsache, dass seit Jahren wesentlich mehr "Hörnla" verkauft als angebaut werden. Bei ehrlichen Händlern ist "La Ratte" natürlich als solche gekennzeichnet.
Die vermeintliche Doppelgängerin hat einen höheren Ertrag als die fränkische Edelsorte und ist risikolos anzubauen, weil bestes Pflanzgut aus der Erhaltungszüchtung in Frankreich zur Verfügung steht. Sie ist festkochend wie das Hörnchen, reicht aber an den delikaten würzig-nussigen Geschmack des Hörnchens nicht heran. Unterscheiden kann man beide Sorten an der Schalenfärbung: Das Hörnla hat einen Rotschimmer in der brauen Haut, der in den tiefen Augen als rotes Pünktchen deutlich sichtbar ist. Bei "La Ratte" fehlen Rotschimmer und Pünktchen völlig, ihr Braun ist durchgehend ockerfarben.
Kulinarischer Verfall der Kartoffel
Früher war zwar beileibe nicht alles besser, der Kartoffelgeschmack aber schon! Doch die alten wohlschmeckenden Sorten, die noch per Hand geerntet wurden, halten der heutigen Technik nicht stand. Heutige Sorten müssen ertragreich und lagerfähig, resistent und robust, schlagunempfindlich und formschön sein. Es sei wirtschaftlicher, mit wenigen Sorten zu arbeiten, die industriell gut verwertbar sind, sagen die Experten.
Etwas Geschmack darf aber dennoch sein, der muss bei den Zulassungskriterien mindestens die Note 5 von insgesamt 9 haben. Note 5 heißt: "fade, leicht bitter, leicht kratzend, leicht süßlich"… Da schüttelt sich der Liebhaber von wohlschmeckenden Knollen! Nicht nur die baden-württembergische Landesanstalt für Entwicklung der Landwirtschaft und der Ländlichen Räume befürchtet: "Da die Versorgung mit Kartoffeln von ausreichender Qualität nicht immer befriedigend ist, besteht die Gefahr, dass der Verbraucher den Kartoffelkonsum insgesamt noch weiter einschränkt."Tja, vielleicht sollte man es doch mal mit mehr Geschmack bei den Kartoffeln versuchen?

Leider in keinem Supermarkt zu finden: wohlschmeckende Kartoffeln in unterschiedlichen Farben, Formen und Musterungen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Verantwortlich für die Zulassung einer Kartoffelsorte ist das Bundessortenamt in Hannover. Soll eine neue Züchtung zugelassen werden, muss sie besser sein als die älteren. In Deutschland sind 210 Sorten zugelassen, die relativ jung sind; 150 davon sind Speisekartoffeln, der Rest sind Stärkekartoffeln. Nur von diesen Sorten darf Saatgut in den Umlauf gebracht werden. Wenn die 150 zugelassenen Speisekartoffel-Sorten tatsächlich im Handel zu haben wären, hätten wir sozusagen ein Kartoffel-Schlaraffenland. Denn leider bekommt man nur einen Bruchteil davon zu kaufen, und es sind auch immer die gleichen langweiligen Sorten, die in den Handel gelangen. Wer andere Sorten möchte, wird im Internet fündig. Auch im eigenen Garten hat man die Möglichkeit, einmal andere Sorten auszuprobieren. Selbst auf dem Balkon in großen Kübeln gedeihen ein paar Kartoffeln!
Das Hauptziel der Kartoffelzüchter sind gesunde und gegen viele Krankheiten resistente Sorten. Hört sich leicht an, ist aber, wie schon erwähnt, schwer zu machen. Deshalb wird viel geforscht und experimentiert. Jährlich werden etwa 10 Sorten zugelassen, die sich dann auf dem Markt bewähren müssen. Gelingt das, gehören sie zum festen Programm und wenn der Handel will, werden sie auch irgendwann gelistet. Klappt das nicht, verschwinden diese neuen Sorten wieder.
Goethe mag’s am liebsten blau
Viele alte Sorten sind längst nicht mehr vertreten - wegen des zu geringen Ertrags oder weil sie wegen ihrer Form industriell nicht verarbeitet werden können, weil die Schalen zu dünn sind und bei der maschinellen Bearbeitung zu schnell aufplatzen, weil sie zu schlagempfindlich sind, zu wenig resistent gegen Krankheiten und/oder schlecht lagerfähig sind - die Liste der Gründe ist lang. Viele alte, wohlschmeckende Sorten sind von den Sortenlisten verschwunden und nur noch in Genbanken existent; die Genbank in Groß Lüsewitz bei Rostock zum Beispiel bewahrt rund 5000 Muster auf.
Weltweit gibt es übrigens rund 10.000 Kartoffelsorten, Hunderte davon haben blaue Schalen oder blaues Fleisch. Zu Goethes Zeiten waren blaue Kartoffeln noch relativ häufig; heute sind sie bis auf einige wenige verschwunden. Dabei sind blaue Kartoffeln noch gesünder als "normale" ohnehin schon sind. Die blauen Farbstoffe (Anthocyane) wirken antioxidativ, entzündungshemmend und gefäßschützend. Allerdings werden sie vom menschlichen Körper nur in geringem Umfang aufgenommen. Johann Wolfgang von Goethe schickte sogar seinen Sohn August nach Wenigenjena, um beim Pfarrer Carl Wilhelm Ernst Putsche "unterthänigst insbesondere der blauen Hornkartoffel wegen nachzufragen".
Auch bei einer Kartoffel müssen sich innere Güte und perfektes Äußeres nicht ausschließen. Beileibe nicht alle gut schmeckenden Kartoffeln sind hässlich; Rosemarie oder die Blaue Anneliese etwa sind ganz nett anzuschauen (wenn man über die paar Pickel hinwegsieht). Auch der Blaue Schwede entzückt nicht nur den Gaumen, sondern auch das Auge. Der Renner sind bunte Kartoffeln, die bei der Zubereitung ihre Färbung behalten. Das ist nicht bei allen farbigen Kartoffelsorten der Fall. Ein Kartoffelsalat aus gelben, blauen und violetten/roten Kartoffelscheiben peppt jedes Büfett auf. Zumal diese Kartoffeln, zum Beispiel Linda, Blaue Elise und Rote Emma, auch noch gut schmecken. Die kräftigen Farben bleiben besonders gut erhalten, wenn man die Kartoffeln dämpft, anstatt sie in Salzwasser zu kochen (bei milder Hitze kochen geht aber auch). Dann die Kartoffelsorten getrennt marinieren und erst kurz vor dem Servieren vermengen. So bleiben die unterschiedlichen Farben kräftig und unvermischt.
Das Gericht bestimmt die Sorte
Die im Handel angebotenen Sorten sind in drei Kochtypen unterteilt: festkochend, vorwiegend festkochend und mehlig kochend. Den Unterschied macht der Stärkegehalt, die mehligen Kartoffeln haben die meiste Stärke und zerfallen bereits im Kochtopf. Sorten wie Adretta (Kartoffel des Jahres 2009), Agria, Afra oder Irmgard eignen sich besonders für Klöße, Kroketten, Puffer, Püree, Suppen und als Backkartoffel. Mit den mehlig kochenden Sorten kommen Saucenliebhaber auf ihre Kosten, denn die saugen Flüssigkeiten besonders gut auf.
Fans von feinen Scheiben oder von Pellkartoffeln "mit Biss" sollten sich für festkochende Sorten wie Sieglinde (Sorte des Jahres 2010), Linda (2007), Nicola oder Cilena entscheiden. Sie platzen beim Kochen nicht auf und behalten ihre feste Struktur. Das Innere ist auch nach dem Kochen schnittfest, deshalb sind diese Sorten für alle Gerichte geeignet, bei denen dünne Scheiben gefragt sind: Salate, Gratins, feine Bratkartoffeln. Auch das Bamberger Hörnla, Sorte des Jahres 2008, gehört in diese Kategorie.
Die vorwiegend festkochenden Sorten sind Allrounder, sie sind mittelfest bis mehlig; die Schale springt beim Kochen etwas auf. Sorten wie Arkula, Secura, Granola oder Solara sind für alles Mögliche gut. Sie lassen sich wie festkochende Sorten für Salate, Pellkartoffeln, Bratkartoffeln und Salzkartoffeln, Aufläufe, Rösti und Pommes frites verwenden. Gart man sie etwas länger, lassen sie sich auch zu Suppen und Pürees verarbeiten. Auch Linda, Deutschlands berühmteste festkochende Knolle, lässt sich fast universell einsetzen. Bei langer Lagerung nämlich wird Linda mehlig.
Wer nun meint, Bratkartoffeln kann jeder, könnte gewaltig auf die Nase fallen. Der Irrtum beginnt schon bei der Wahl der Kartoffel: Aus wunderbar mehlig kochenden Kartoffeln entstehen weder leckere Bratkartoffeln noch ein pikanter Kartoffelsalat, sondern nur ein unappetitlicher Matsch. Anders herum: Kartoffelsuppe oder -püree aus festkochenden Kartoffelsorten wird immer stückig bleiben und nie schön cremig werden. Eine gute Kartoffel braucht nicht viel: Mit ein wenig Butter leicht zerdrücken, eine Spur von Salz, frisch gemahlenem Pfeffer und geriebener Muskatnuss – probieren Sie das einmal! Köstlich mit einer aromatisch schmeckenden Kartoffelsorte. Wenn Sie das Fehlen von Geschmack feststellen müssen, haben Sie eine bei Herstellern und Handel beliebte Kartoffel erwischt, eine, die alle Segnungen einer industriellen Landwirtschaft und jegliche schlechte Behandlung beim Verkäufer scheinbar unbeschadet übersteht, im Innern aber fleckig oder wässrig ist.
Das folgende Rezept lebt vom Geschmack einer guten Kartoffel, Sieglinde, Linda oder Gloria zum Beispiel. Oder falls Sie eine blaue, rote oder violette Kartoffelsorte auftreiben können, isst auch noch das Auge mit. Nachdem wir der Kartoffel bereits ein Nachthemd angezogen haben, tut es diesmal ein Mantel:
Kartoffeln im Schinkenmantel
12 aromatische, festkochende Kartoffeln
24 Scheiben Frühstücksspeck oder
12 Scheiben rohen Schinken
200 g Sahneschmelzkäse
200 g Schlagsahne
½ Bd Thymian
½ Bd Petersilie
Zubereitung:
Die Kartoffeln in der Schale kochen, abkühlen lassen und pellen. Jede Kartoffel mit 2 Scheiben Frühstücksspeck oder einer dünnen, großen Scheibe rohen Schinken umwickeln und nebeneinander in eine Auflaufform legen.
Die süße Sahne mit dem Schmelzkäse in einem Topf langsam erwärmen, bis der Käse geschmolzen ist. Nicht kochen! Die feingehackten frischen Kräuter unterrühren und die Masse über die Kartoffeln geben. Im vorgeheizten Ofen bei 180 Grad 30 bis 45 Minuten backen. Ein frischer Salat vervollständigt dieses einfache und sättigende Gericht.
Viel Erfolg beim Ausprobieren - und bei der Suche wohlschmeckender Kartoffelsorten - wünscht Ihnen Heidi Driesner.
Quelle: ntv.de