

Der Wartburg 311 ist 1956 die Sensation auf der Frühjahrsmesse in Leipzig.
Mit ihm beginnt in der DDR eine Geschichte voller Illusionen und Missverständnissen, Hoffnungen und Enttäuschungen.
Denn der Wartburg 311 hat einen Geburtsfehler: Er ist das richtige Auto im falschen Land.
Angefangen hat alles in den Automobilwerken in Eisenach (AWE). EMW, den im sowjetischen Sektor in den Werken von BMW erfundenen Namen darf es nicht mehr geben. Und natürlich das gleichnamige Auto auch nicht.
Aus der Not wollten die Eisenacher eine Tugend machen: Etwas ganz Neues und viel Besseres, als es bis dato gegeben hat, soll entwickelt werden, ...
... ein Auto mit zukunftsweisendem Zweitaktmotor. Entschieden wird aber wie so oft nicht im zuständigen Ministerium, sondern im Politbüro der SED. Dort weiß man aber nur eins: Wenn ein Auto gebaut wird, muss es mindestens so gut wie ein VW sein.
In Eisenach will man mehr. Ein Auto, das mindestens vier Sitze und einen Kofferraum hat, soll es sein.
Etwas, was der bis dahin in Thüringen gebaute F9 nicht vorhalten kann. Als Martin Zimmermann, Leiter des Eisenacher Werkes, die Idee für den 311er Wartburg präsentiert, wird er von der Partei abgemahnt.
Später bekommt er für seine Idee eine Prämie und man darf ihm zu dem Geniestreich gratulieren. Doch jetzt steigt auch der Druck:
Die Schönheit aus Eisenach soll die Welt erobern und wenn nicht die, dann wenigstens Westeuropa. Denn die DDR braucht Devisen.
Vor allem im Rennsport will man seine Überlegenheit gegenüber dem Westen unter Beweis stellen. Und tatsächlich fahren die Eisenacher in der Formel 2 der Konkurrenz davon. (Im Bild Edgar Barth in einem Prototyp aus dem Jahr 1958)
Doch der Traum vom eigenen Rennwagen ist kurz. Es fehlt das Geld und so setzt man im Rennsport auf Serienfahrzeuge.
Für Rallye-Zwecke wird der 311 erstmals 1958 eingesetzt. Vor allem auf den harten Strecken der Welt glänzt er durch Robustheit.
Tatsächlich ist auch das ein Grund dafür, warum der Wartburg sich im Westen so hervorragend verkauft. Allein nach England gehen 5000 Fahrzeuge pro Jahr als Rechtslenker. In Belgien wird der Wartburg bis 1968 sogar montiert.
Für Käufer in der DDR ist es schwer, einen Wartburg zu bekommen. Pro Jahr werden 32.000 Fahrzeuge hergestellt. Mehr als die Hälfte davon geht aber in den Export.
Hinzu kommt die Sonderversorgung für Privilegierte: Funktionäre, Akademiker mit Sonderverträgen, Künstler und Sportler. Am Ende bleiben pro Jahr lediglich 7200 Wartburg für die Bevölkerung.
Der absolute Traum ist natürlich der Wartburg Sport. Wer das Coupé besitzt, kann sich absoluter Bewunderung sicher sein.
Das Äußere des Wartburg 311, den Hans Fleischer, ein einfacher Karosseriekonstrukteur, erschafft, ist unumstritten schön.
Doch landet alles, was Fleischer danach entwirft, in den Eisenacher Schubladen. Zum Beispiel der Wartburg P 1000 oder ...
... das Wartburg Sport Coupé HS 313/2.
1961 wird der vollmundig angekündigte Wartburg 1000 auf der Leipziger Messe präsentiert.
Die Enttäuschung ist groß, denn verändert haben sich äußerlich nur die Heckleuchten.
Unter der Haube stecken aber bereits vier Jahre Forschung.
In dieser Zeit wandelt sich der Wartburg technisch kolossal. Als im August 1966 der letzte seiner Art vom Band rollt, ist nur das Äußere mit dem 311 identisch.
Und genau auf dieser Plattform flanscht jetzt der Wartburg 353 auf. Er ist keine Schönheit mehr. Eigentlich ist er nur noch funktional.
Dennoch läutet er ein neues Zeitalter ein. 25 Jahre wird es nun bei dieser Form bleiben.
Auch der 353 findet im Ausland seine Anhänger. Mit der Zeit kann er die entscheidende Schwachstelle, seinen Zweitaktmotor, aber nicht mehr kaschieren.
Hinzu kommen verschärfte Abgasanforderungen im westlichen Ausland. Also muss ein Viertakter her. Aber woher soll der kommen?
Um ihn im Westen zu kaufen, fehlt das Geld. Also muss man ihn selber bauen. Bereits 1959 hat man mit der Entwicklung eines Viertakters begonnen. 1968 erfolgt der zweite Anlauf. Auf dem Prüfstand besteht der 1,6 Liter Reihenvierzylinder mit 82 PS alle Tests.
1972 ist aber wieder alles vorbei. Eine Direktive aus Berlin verfügt nun die Zusammenarbeit im Automobilbau mit den anderen sozialistischen Ländern:
Das Einheitsauto soll her. Der interne Spitzname ist "Hängebauchschwein" (im Bild).
Das Auto wird letztlich nie gebaut. Genausowenig wie die Weiterentwicklung des 353, der 355, der bereits jetzt den künftigen VW Passat erkennen lässt.
In der Realität warten Interessenten inzwischen bis zu zehn Jahre auf ein Auto. Nur wer für sehr alte Autos sehr tief in die Tasche greift, kann in kürzerer Zeit Abhilfe schaffen.
Allerdings ist der Wartburg – und das mag auch dem Preis geschuldet sein – kein einfacher Alltagsgegenstand, sondern eher ein Familienmitglied. Im Alltagsbetrieb wird der Wagen jedenfalls kaum verschlissen.
Alternativ werden im Osten Deutschlands zur Fortbewegung Busse und Bahnen benutzt.
Im Urlaub hingegen darf der Wartburg zeigen, was er wegstecken kann. Bis nach Ungarn und Bulgarien trägt er, meist bis unters Dach beladen, die Fuhre.
Wenn der Wartburg aber kaputtgeht, wird die Reparatur schwierig. Werkstatttermine sind rar und manche Ersatzteile so schwer zu bekommen, ...
... dass sie wie Goldstaub gehandelt werden.
Für den Export wird der Zweitakter unterdessen zum entscheidenden Problem. Ab 1979 kann aufgrund geltender Abgasnormen im Westen kein Wartburg mehr abgesetzt werden. Statt nun aber den bereits entwickelten eigenen Viertakter zu produzieren, ...
... entscheidet die Werksleitung in Eisenach, Motoren von Renault einzukaufen. Diese Kooperation wird letztlich aber von der Partei gestoppt: Man wolle sich nicht von einem kapitalistischen Unternehmen abhängig machen, heißt es.
Für vier bis fünf Milliarden Mark der DDR soll jetzt ein neues Werk in Eisenach gebaut werden. Aber woher soll das Geld kommen? Preiserhöhung beim Wartburg? Unmöglich! Auch Kredite sind undenkbar.
Der Staatsratsvorsitzende ist es, der die zündende Idee hat: Jeder, der einen Wartburg bestellt, hat, egal wie lange er warten muss, sofort den vollen Preis zu entrichten. Dass diese Idee absoluter Humbug ist, muss auch Erich Honecker einsehen und zieht den Beschluss wieder zurück.
Und so muss der Wartburg 353 weiter zweitaktgetrieben durch die DDR rollen. Am 30. April 1983 wird der millionste Wagen gefeiert. Während man in Eisenach immer noch an den eigenen Motor glaubt, wird schon mit VW geklüngelt.
Ohne Absprache mit Eisenach oder dem zuständigen Ministerium, schließt der ZK-Sekretär der SED für Wirtschaftsfragen Günter Mittag einen Vertrag mit dem Volkswagenkonzern ab.
1984 wird der 1,3 Liter Vierzylinder aus Wolfsburg in den Wartburg, der jetzt das Kürzel 1.3 statt 353 trägt, verpflanzt.
Der eigentliche Deal ist aber, dass in der DDR für VW kostenfrei Motoren gebaut werden.
Zudem tut sich ein elementares Problem auf: Das VW-Triebwerk ist zu groß und passt nicht in den Motorraum des Wartburg. Er kann nur quer eingebaut werden, was auch ein neues Getriebe verlangt.
Jetzt müssen auch Spurbreite und Rahmen verändert werden. Die Flickschusterei kostet die DDR über sieben Milliarden Mark. Für die Hälfte des Geldes hätte man einen eigenen Motor samt neuer Produktionsstrecken bekommen.
1988 wird der Wartburg 1.3 mit Viertakter auf der Leipziger Messe ausgestellt. Den Preis für die gigantische Misswirtschaft sollen die Käufer tragen. Der Wartburg kostet jetzt in der Grundausstattung über 30.000 Mark.
Ein Jahr später kommt die Wende, zwei Jahre später das Aus für das Eisenacher Werk und für den Wartburg 353.