Taser-Einsatz im Streifendienst Das ist der neue Liebling der Berliner Polizei
10.02.2017, 14:57 Uhr
Bei der Berliner Polizei hat eine dreijährige Testphase des Taser begonnen.
(Foto: dpa)
Ein Stromschlag - und schon kann sich das Gegenüber nicht mehr bewegen. Der Taser ist der neue Stolz der Berliner Polizei. Aber nicht alle teilen die Euphorie über das Testgerät.
"Legen Sie die Waffe weg, oder ich taser!" Dieser Warnruf könnte bei Einsätzen der Berliner Polizei künftig öfter zu hören sein. Denn in den kommenden drei Jahren wird in zwei Abschnitten in den Stadtteilen Kreuzberg und Mitte der neue Liebling der Hauptstadt-Ordnungshüter getestet: der Taser X2. "Sie werden in den jeweiligen Abschnitten regelmäßig einen von 20 Kollegen mit Taser sehen", sagte Landeseinsatztrainer Thomas Drechsler bei der Präsentation der Elektroschock-Pistole.
Die Taser-Simulation in einer ehemaligen Polizeikantine ist beeindruckend und unheimlich zugleich: Auf den nicht erwiderten Warnruf folgt der Einsatz des neuen Einsatzmittels. Begleitet von einem unheimlichen Knattern, schießen zwei an isolierten Drähten befestigte Metallpfeile auf die Zielperson und bohren sich in deren Kleidung. Im realen Leben würden 50.000 Volt und 1,3 Milliampere den getroffenen Mann zusammensacken lassen. Für die Vorführung stößt er dennoch Schmerzensschreie aus.
"Ja, es tut weh", sagt Drechsler. Aber der Taser könne "das eine oder andere Leben retten". Der Berliner Innensenator Andreas Geisel erklärte zudem kürzlich, die Waffe könne Polizisten vor traumatischen Situationen bewahren. Womöglich hätten Todesfälle - wie kürzlich in Hohenschönhausen oder 2013 am Neptunbrunnen - verhindert werden können, wenn die Berliner Einsatzkräfte einen Taser statt der Dienstwaffe P6 benutzt hätten. So etwas soll sich laut Drechsler nicht wiederholen. Es sei der Anspruch der Berliner Polizei gewesen, "ein Einsatzmittel zu finden, das solche Probleme löst".
Um dieser Lösung näher zu kommen, wird der Taser - im Polizeisprech "Distanzelektroimpulsgerät" - nun drei Jahre lang im Streifendienst getestet. Bislang kam er in der Hauptstadt lediglich beim SEK zum Einsatz. In der dort nunmehr 16 Jahre andauernden Testphase wurde das Gerät 25 Mal eingesetzt - meist, wenn Personen akut suizidgefährdet waren, einmal gegen einen Hund. Nun sollen 20 Beamte herausfinden, inwiefern das 1100 Euro teure Gerät der US-Firma Taser für den Streifendienst taugt. Zuvor waren die Polizisten in weltweit standardisierten Situationstrainings, die auch die Erstversorgung getaserter Personen beinhalteten, vom Hersteller geschult worden. Aus Polizeikreisen hieß es, dass die Beamten die neuen Geräte auch am eigenen Körper getestet hätten.
Kritik von Amnesty

50.000 Volt und 1,3 Milliampere: Bei einem Taser-Schuss schnellen zwei an isolierten Drähten befestigte Metallpfeile aus zwei Kartuschen in Richtung Zielperson.
(Foto: dpa)
"Der Taser ist ein Einsatzmittel, das auf Distanz wirkt", beschreibt Drechsler das leuchtend gelbe Gerät mit zwei Kartuschen, das wie ein Konstrukt aus Lego Technic mit Pistolengriff aussieht. Ein Abstand von vier bis fünf Metern reicht, um es erfolgreich anzuwenden. Im Gegensatz zum "Reizstoffsprühgerät" mit Pfefferspray wirke der Taser bei jeder Person. Die Stromspannung beeinträchtigt das motorische Nervensystem. "Man wird steif und fällt um." So sei es den Polizisten möglich, "einer Person eine Waffe abzunehmen, ohne sie und sich selbst zu gefährden." Die Verletzungsgefahr sei dabei für den Getroffenen "absolut gering".
Bei der Menschenrechts-Organisation Amnesty International teilt man diese Ansicht nicht. Deren Experte für Polizei und Menschenrechte, Alexander Bosch, betont im Gespräch mit n-tv.de: "Im Zusammenhang mit Taser-Einsätzen kommt es immer wieder zu Todesfällen. Daher sollten Taser höchstens von ausgebildeten Spezialkräften eingesetzt werden. Der Taser ist nicht das Allheilmittel, als das er in Berlin dargestellt wird." Bosch verweist hierzu auf den jüngsten Amnesty-Jahresbericht, wonach im Jahr 2015 allein in den USA "mindestens 43 Personen nach Polizeieinsätzen mit Taser-Waffen" starben. Insgesamt seien somit seit 2001 bereits mindestens 670 Personen durch Elektroschockwaffen getötet worden. Die Organisation beklagt, dass die meisten Opfer unbewaffnet und "zum Zeitpunkt des Taser-Einsatzes keine ernste oder gar tödliche Bedrohung" dargestellt hätten.
Drechslers Aussage "der Taser ersetzt den Schusswaffengebrauch" muss sich erst beweisen. Um Kritiker zu beschwichtigen, betont er, dass der Taser im Gegensatz zu anderen Ländern rechtlich einer Schusswaffe gleichgestellt ist. Entsprechend hoch sei die Hemmschwelle vor dessen Einsatz: "Berlin hat bundesweit die strengsten Regeln." Zugleich räumt er ein, dass der Taser für die Polizisten im akuten Bedrohungsfall der P6 nachgestellt sei: "Wenn wir unmittelbar angegriffen werden, wird es die zweite Wahl sein."
Waffe mit mehreren Risiken
Der Faktor Mensch bleibt dennoch der mit den meisten Risiken. So ist beispielsweise nie ausgeschlossen, dass ein Einsatzpolizist in einer Stresssituation trotz vorheriger Absprache schneller seine Pistole zückt als sein Kollege den Taser. Zudem besteht die von Amnesty beschriebene Gefahr, dass Polizisten öfter als nötig zum Taser greifen. Auch ein Gesundheitsrisiko etwa bei Epileptikern oder Personen mit Herzschrittmachern ist nicht vollständig ausgeschlossen. Zumindest müssen die Polizisten vor dem Tasern eine Fall-Sicherung gewährleisten, damit die Zielperson nicht gesundheitsgefährdend zu Boden oder gar aus einem Fenster fällt.
Um den Missbrauch eines Taser zu verhindern, werden sämtliche Daten nach einem Einsatz ausgelesen, von der anfänglichen Funktionsprüfung über den Kartuschenwechsel bis hin zur Häufigkeit und Länge der Stromstöße. Allerdings ist fraglich, inwiefern mit diesen Daten nach kritischen Einsätzen transparent umgegangen wird.
Bosch befürchtet zudem einen inflationären Gebrauch der Taser, sollte es nach der Testphase zu einer flächendeckenden Ausrüstung kommen. "Wir befürchten, dass die Politik dann auf eine schnelle und kostengünstige Ausbildung setzt", sagt der Amnesty-Experte. "Dann besteht die Gefahr, dass die Polizisten das vermeintlich harmlose Mittel zu schnell einsetzen."
Quelle: ntv.de