Panorama

Tote? Welche Toten? Der erstaunliche UN-Bericht zu Fukushima

Doch lieber in Schutzkleidung: Japans Ministerpräsident Abe (2. von rechts) in Fukushima.

Doch lieber in Schutzkleidung: Japans Ministerpräsident Abe (2. von rechts) in Fukushima.

(Foto: REUTERS)

Ein UN-Bericht zu Fukushima stellt klar: Der japanische Atomunfall führt nicht zu mehr Krebstoten. Dies ist eine ebenso zynische wie industriegefällige Botschaft der Atomstaaten, meint die Ärzteorganisation IPPNW. Schließlich ist die Katastrophe noch lange nicht vorbei.

An diesem Mittwoch hat der Wissenschaftliche Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen der atomaren Strahlung (UNSCEAR) seinen Bericht zur Atomkatastrophe von Fukushima veröffentlicht. Die Autoren behaupten darin, dass "keine signifikante Veränderungen künftiger Krebsraten zu erwarten sind, die mit der Strahlenexposition durch den Unfall in Verbindung gebracht werden können." Unsere Ärzteorganisation kritisiert diesen Versuch der Verharmlosung. Die Tatsache, dass eine Krebserkrankung keine Herkunftsbezeichnung trägt und sich nie eindeutig auf eine einzelne Ursache zurückführen lässt, wird genutzt, um jegliche Kausalität abzustreiten. Diese Taktik kennen wir bereits von der Tabakindustrie oder der Asbestwirtschaft.

Dr. med. Alex Rosen ist Kinderarzt in Berlin und Vorstandsmitglied der Deutschen IPPNW.

Dr. med. Alex Rosen ist Kinderarzt in Berlin und Vorstandsmitglied der Deutschen IPPNW.

(Foto: IPPNW)

Die Autoren des UNSCEAR-Berichts tun gerade so, als wäre nicht allgemein bekannt, dass jede noch so kleine Dosis von Radioaktivität mit einem erhöhten Risiko für Krebserkrankungen einhergeht. Statt die betroffenen Menschen offen über diese Risiken aufzuklären, versuchen die Autoren des Berichts auf der Basis fragwürdiger Annahmen, selektiver Stichproben und geschönter Strahlendosen die industriegefällige Botschaft zu streuen, dass man in Fukushima noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen sei. Mehrere Zehntausend zu erwartende Krebsfälle in Folge der Atomkatastrophe als "nicht signifikant" zu bezeichnen, ist zynisch.

Die Dosisberechnungen der betroffenen Bevölkerung im UNSCEAR-Bericht beruhen maßgeblich auf Nahrungsmittelproben der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO). Diese Organisation wurde mit dem Ziel gegründet, "weltweit die Nutzung der Atomenergie zu befördern". Unliebsame unabhängige Nahrungsmittelstichproben werden dagegen ignoriert. Zur Schätzung des Gesamtausstoßes von Radioaktivität ziehen die Autoren Studien der japanischen Atomenergiebehörde heran, statt die deutlich höheren Berechnungen unabhängiger Institute zu berücksichtigen. Die Strahlendosen der Kraftwerksarbeiter wurden größtenteils direkt von der umstrittenen Betreiberfirma TEPCO übernommen, die die Katastrophe maßgeblich verschuldet hat.

Schlussstrich nicht möglich

Mit dem UNSCEAR-Bericht versuchen die Atomstaaten, einen schnellen Schlussstrich unter die Debatte um Fukushima zu ziehen. Dabei ist die Atomkatastrophe von Fukushima noch lange nicht vorbei. Täglich fließen Hunderte Tonnen an radioaktivem Müll ins Meer. Die Dekontamination ist ins Stocken geraten. Die gefährliche Bergung des radioaktiven Materials aus den havarierten Kraftwerksblöcken wird noch mehrere Jahrzehnte dauern. Das freigesetzte Cäsium-137 hat eine Halbwertzeit von rund 30 Jahren. Nach gerade einmal drei Jahren eine abschließende Aussage über Langzeitfolgen einer Atomkatastrophe treffen zu wollen, ist unwissenschaftlich. Die Menschen in den betroffenen Gebieten brauchen seriöse Informationen, Aufklärung und Unterstützung und nicht falsche Hoffnungen.

Letzten Herbst veröffentlichte der UN-Sonderbeauftragte zum Menschenrecht auf Gesundheit, Anand Grover, seinen Bericht zur Situation in Fukushima. Er prangert darin an, dass den Betroffenen das Recht auf Gesundheit und eine gesunde Umwelt systematisch verwehrt wird. Sie hätten keinen Zugriff auf ihre medizinischen Daten, keine Möglichkeit, eine Zweitmeinung einzuholen, und erhielten keine Unterstützung, wenn sie den Beschluss fassten, die kontaminierten Gebiete zu verlassen. Bei der Lektüre von Grovers ausgewogenem, gut recherchierten und einfühlsamen Bericht wird der eklatante Unterschied zur UNSCEAR-Publikation besonders deutlich.

In der Debatte um die Folgen von Fukushima geht es um mehr als nur die Unabhängigkeit der medizinischen Forschung, die sich keinen wirtschaftlichen und politischen Interessen beugt. Es geht auch um das Recht eines jeden Menschen, in einer gesunden Umwelt ohne radioaktive Verstrahlung zu leben.

Quelle: ntv.de

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