Italiener sehen Gemüse entlastet EHEC-Spur führt nach Lübeck
03.06.2011, 21:37 Uhr
Überall in Europa - wie hier in Genf - bleiben die Bauern auf ihren Gurken sitzen.
(Foto: dpa)
Nach wie vor ist unklar, wieso sich die EHEC-Fälle auf Norddeutschland konzentrieren und warum viel mehr Frauen als Männer betroffen sind. Eine Spur führt nun nach Lübeck. Italienische Experten glauben derweil nicht mehr an Gemüse als Ursache. Deutsche Wissenschaftler warnen dennoch weiter vor Salat, rohen Tomaten und Gurken.
EHEC-Patienten könnten sich nach einem Bericht der "Lübecker Nachrichten" in einem Restaurant der Hansestadt infiziert haben. Das berichtete die Zeitung unter Berufung auf das Kieler Verbraucherschutzministerium. Demnach wurde das Restaurant bereits von Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) und des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) untersucht. Eine RKI-Sprecherin und ein Vertreter des Kieler Gesundheitsministeriums bestätigten, dass ein RKI-Team am Freitag in Lübeck war. Details zu den Befunden nannten sie aber zunächst nicht.
Den "Lübecker Nachrichten" zufolge hatten sich 17 Menschen in der Gaststätte mit EHEC infiziert. "Die Lieferantenkette kann möglicherweise den entscheidenden Hinweis geben, wie der Erreger in Umlauf gekommen ist", zitierte das Blatt Werner Solbach, Mikrobiologe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.
Entwarnung aus Rom, Widerspruch aus Berlin
Italienische Wissenschaftler schlossen unterdessen aus, dass verseuchtes Gemüse die Ursache für die Infektionen ist. Dies hätten Tests ergeben, erklärte das EU-Referenzlabor für E-Coli-Bakterien in Rom. "Panikmache zum Konsum von Gemüse ist nicht gerechtfertigt", erklärte das Labor, das zum italienischen Gesundheitsinstitut ISS gehört. Die bestehenden Hygienenormen zur Lebensmittelsicherheit reichten aus, um Infektionen zu vermeiden.
Die deutschen Behörden halten ihre Warnung vor rohem Gemüse dennoch aufrecht. Das Robert-Koch-Institut und das Bundesinstitut für Risikobewertung erklärten am Abend, es werde weiterhin empfohlen, "vorsorglich Tomaten, Salatgurken und Blattsalate nicht roh zu verzehren". Diese Warnhinweise würden durch die Ergebnisse von neuen epidemiologischen Studien des Robert-Koch-Instituts bestätigt. Eine Befragung von Erkrankten habe ergeben, dass 95 Prozent von ihnen mindestens eine der drei Gemüsearten verzehrt hatten. Die Warnung gelte vor allem in Norddeutschland.
"Wie bei einem Schneeballsystem"
Woher der EHEC-Erreger kommt, ist noch immer nicht geklärt, sein Ursprung wird aber in Deutschland vermutet. Dies ergebe sich nach den Fallzahlen und der Herkunft der Fälle, sagte der Mikrobiologe Lothar Beutin vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Das Epizentrum sei der Hamburger Raum. "Entweder ist die Quelle noch nicht versiegt, oder es ist eine Mensch-zu-Mensch-Ansteckung wie bei einem Schneeballsystem im Gange", sagte Beutin.
Mehr als 1700 EHEC-Kranke in Deutschland
Derweil steigt die Zahl der EHEC-Kranken ungebremst. Innerhalb von zwei Tagen sei die Zahl der an der Durchfallerkrankung leidenden Patienten um 199 auf über 1700 gestiegen, teilte das Robert-Koch-Institut mit. Bei 50 der Neufälle gab es demnach die lebensgefährliche Komplikation HUS. Insgesamt sind damit 520 Fälle des hämolytisch-urämischen Syndroms bekannt. Am Mittwoch waren es erst 470. In Mecklenburg-Vorpommern wurde das bundesweit 18. HUS-Todesopfer registriert.
"Wir können in diesem Fall ganz sicher von einer Epidemie sprechen", sagte der RKI-Experte Klaus Stark im ZDF. "Es ist ein absolut unerwartetes Auftreten einer großen Zahl an Erkrankungen, die wir so in Deutschland bisher noch nie gesehen haben."
Ein Lichtblick, vielleicht
Nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie gibt es aber einen Lichtblick. "Die Lage ist so, dass sie scheinbar sich etwas beruhigt, was die Zahl der Neuinfektionen angeht", sagte der Präsident der Gesellschaft, Prof. Reinhard Brunkhorst. Er hoffe, dass sich der Trend bestätige und es tatsächlich weniger Neuinfektionen gibt. Die Mediziner wollen in einem bundesweiten Register die Behandlungsergebnisse von schwer erkrankten EHEC-Patienten zusammenstellen.
Polizei ermittelt gegen zwei Großhändler

Diese elektronenmikroskopische Aufnahme des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung zeigt EHEC-Bakterien.
(Foto: dpa)
In Hamburg ermittelt die Polizei gegen zwei Großhändler und ein Restaurant nach dem Fund von EHEC-Erregern auf vier Gurken. Der Keim, der auf den Gurken nachgewiesen wurde, ist nicht für den derzeitigen Krankheitsausbruch verantwortlich - nach Darstellung der Hamburger Gesundheitsbehörde stellt er aber dennoch eine Gesundheitsgefahr dar. "Wir ermitteln wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch", sagte eine Polizeisprecherin.
Putin will "keine Russen vergiften"
Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin pochte darauf, die EU müsse die Quelle der Infektionen unschädlich machen. Vorher würden keine Gemüse-Importe erlaubt. Er werde keine Russen vergiften, nur um den Regeln der Welthandelsorganisation WTO nachzukommen. Zuvor hatte die EU Russland aufgefordert, das Einfuhrverbot aufzuheben. Es sei in keiner Weise gerechtfertigt und verstoße gegen die WTO-Regeln.
Die Verunsicherung der Konsumenten hat auch Auswirkungen auf den Einzelhandel. "Die Unternehmen spüren die Zurückhaltung", sagte ein Sprecher des Handelsverbands Deutschland (HDE). Entgegen ursprünglicher Warnungen hatte sich herausgestellt, dass Salatgurken aus Spanien nicht die Ursache für die Infektionen waren.
Spanische Bauern leiden unter Fehler
Nach Warnungen der Hamburger Behörden vor spanischen Gurken ist der Markt für spanisches Gemüse eingebrochen. "Wir verkaufen nichts mehr. Wir müssen die Felder mit Gurken und Zucchini abernten und das Gemüse dann vernichten", berichtet Landwirt Miguel Cazoria. Er hat die Gurken angebaut, die in Hamburg zunächst als Quelle der Infektionskrankheit EHEC identifiziert wurden, ehe die Gesundheitsbehörde einen Rückzieher machen musste.
Bundeskanzlerin Angela Merkel kam in einem Telefongespräch mit dem spanischen Regierungschef Jose Luis Rodriguez Zapatero überein, sich auf europäischer Ebene um Hilfen für die betroffenen europäischen Landwirte zu bemühen.
Quelle: ntv.de, rts/dpa/AFP