Gratis-WLAN für jedermann Freifunk demokratisiert das Internet
20.12.2014, 19:37 Uhr
So sieht er aus: ein Freifunk-fähiger Router.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der große Aufschrei nach dem NSA-Skandal ist längst verstummt, Bürgerrechte im Internet für die meisten maximal schmückendes Beiwerk. Eine erstaunliche Initiative könnte nun schaffen, was Snowdens Enthüllungen verwehrt blieb - und das quasi en passant.
Es gibt Dinge, die kann Christian Heise einfach nicht verstehen. Die Sache mit dem Internet zum Beispiel: "Es ist doch total beknackt, zehn Internet-Anschlüsse in einem Zehn-Parteien-Haus zu haben." Jeder, der aus dem einen oder anderen Grund schon mal devot beim Nachbarn um Mitbenutzung der Leitung gebeten hat, weiß, wovon Heise spricht: Moderne Anschlüsse verfügen im Normalfall über so viel Bandbreite, dass sie mehr als nur die eigene Familie versorgen können, ohne dass jemand einen signifikanten Leistungseinbruch befürchten muss. Wer einmal so eine Erfahrung gemacht hat, wird wohl lieber den Nachbarn nach einem passenden Mitbenutzungsdeal fragen, als weiterhin Geld beim Internetanbieter seiner Wahl zu verbrennen.
Das ist zwar ein vergleichsweise pragmatischer Anfang, aber noch lange nicht das, was sich Heise und seine Kollegen vom Förderverein Freie Netzwerke e. V. für die Zukunft wünschen. Freifunk lautet das Schlüsselwort, und wer jetzt ratlos mit den Schultern zuckt, muss sich nicht grämen: "Es gibt die Technologie seit mehr als zehn Jahren und genauso lange erzählen uns die Menschen, dass sie den Begriff zum ersten Mal hören."
Internet als Ultra-Feature
Dabei ist Freifunk so etwas wie der heilige Gral der Informationstechnologie und eine Win-win-Situation für alle Beteiligten - mit Ausnahme der traditionellen Internetanbieter und diverser Geheimdienste: "Freifunk ermöglicht eine demokratisierte Internetnutzung und sichert so die Meinungsfreiheit", sagt Heise. Ermöglicht wird das durch die dezentrale Struktur des Netzwerkes - wie genau die funktioniert, zeigt ein anschauliches Video auf der Internetseite des Vereins. "Niemand kann das Netzwerk einfach so abschalten, außer er stellt den Strom gleich mit ab. Inhalte können nicht gefiltert werden, was Zensur so gut wie unmöglich macht", präzisiert Heise die Vorzüge der Technik. Außerdem sind Nutzer im Freifunk viel anonymer unterwegs als über eine Standardverbindung.
Aber selbst Menschen, die sich weder für Bürgerrechte im Internet noch für die Konsequenzen des NSA-Skandals interessieren, kommen eigentlich kaum am Freifunk vorbei. "Auch wenn es eigentlich nur ein angenehmer Nebeneffekt ist: Kostenloses Internet ist natürlich unser Ultra-Feature", sagt Heise. Statt teure Verträge mit langen Laufzeiten abzuschließen, könnten sich die Nutzer innerhalb eines funktionierenden Freifunknetzes quasi überall umsonst einwählen. Wer in einer ausländischen Metropole wie Paris oder Stockholm schon mal seinen Laptop aufgeklappt hat, bekommt eine Ahnung davon, was gemeint ist - an vielen öffentlichen Plätzen oder in Bars und Restaurants existieren Hotspots, für jedermann zugänglich.
In Deutschland kann man nach solchen öffentlichen Internetoasen lange suchen. Störerhaftung heißt das antiquierte Gesetz, das dafür sorgt, dass beim Nutzen illegaler Inhalte nicht nur der Täter belangt wird, sondern auch derjenige, der die Internetverbindung bereitgestellt hat. Dass sich unter solchen Bedingungen kaum jemand bereit erklärt, sein WLAN für die Allgemeinheit zu öffnen, versteht sich von selbst - und erklärt auch zu einem gewissen Teil, warum Freifunk viel weniger verbreitet ist, als man meinen möchte. Dabei haben Christian Heise und seine Kollegen das Problem längst gelöst.
"Geben ist seliger als Nehmen"
In Hamburg, mit etwas mehr als 600 Routern Vorreiter in Sachen Freifunk, nehmen sämtliche im Umlauf befindliche Daten zuerst den Umweg über Schweden. Der technische und zeitliche Aufwand ist minimal, der Nutzen maximal - durch den Trick zieht die Störerhaftung nicht mehr, weil es ein derartiges Gesetz in Schweden schlicht nicht gibt. Ähnliche Methoden haben die anderen lokalen Netzwerke gefunden, eine Liste der teilnehmenden Städte gibt Auskunft darüber, wie viele Router wo online sind - und wie man sich beteiligen kann.
Wer in Berlin oder Hamburg in der Nähe einer Kirche wohnt, hat eine gute Chance, auf einen existierenden Knoten zu stoßen und sich ins Freifunk-Netz einklinken zu können: "Kirchen sind alleine schon wegen der Höhe prädestiniert - außerdem haben viele Pastoren verstanden, dass sie auch im 21. Jahrhundert noch die Möglichkeit haben, Anteil zu haben und sogar Vorreiter zu sein", sagt Heise. Damit ein funktionierendes Netz entsteht, an dem viele kostenlos teilhaben können, muss es natürlich Einzelne geben, die bereit sind, minimalen finanziellen und zeitlichen Aufwand auf sich zu nehmen und einen Router aufzustellen, auch außerhalb der Gemeinden. Aber wie heißt es schon so schön in der Bibel: "Geben ist seliger als Nehmen."
Quelle: ntv.de