Panorama

"Eine Katastrophe ist das" Hebammen stehen vor dem Aus

Die Zeit drängt: Selbstständigen Hebammen droht ein großes Problem. Ab Mitte 2015 haben sie keinen Verischerungsschutz mehr.

Die Zeit drängt: Selbstständigen Hebammen droht ein großes Problem. Ab Mitte 2015 haben sie keinen Verischerungsschutz mehr.

(Foto: imago stock&people)

Zu wenig Lohn, geringe Wertschätzung und rasant steigende Haftpflichtkosten: Hebammen hatten es noch nie leicht in Deutschland. Doch jetzt fürchten sie, dass ihr Berufsstand ganz ausradiert wird.

Jede Frau soll entscheiden, wie und wo sie ihr Baby auf die Welt bringt.

Jede Frau soll entscheiden, wie und wo sie ihr Baby auf die Welt bringt.

(Foto: imago stock&people)

Sie sind die stillen Begleiter während der Schwangerschaft, der Geburt und im Wochenbett. Sie sind Vertrauensperson, Ernährungsberater und Psychotherapeuten in einem. Sie arbeiten rund um die Uhr und müssen ständig erreichbar sein. Hebammen entscheiden sich ganz bewusst für ein Leben auf Abruf zwische n Milchstau und Babyblues. Es ist ein Arbeitsalltag, an dem nichts alltäglich ist und der nie wirklich zur Routine wird. Einer Hebamme wird ein Mensch, manchmal sogar zwei Menschen, im Ausnahmezustand anvertraut. Von ihrem Geschick hängt nicht selten ab, wie ein Baby seine ersten Lebensmonate verbringt. Etwa 21.000 Hebammen gibt es hierzulande. Leicht hatten sie es noch nie, denn wie alle Tätigkeiten, die mit Kindern und Pflege zu tun haben, werden auch Hebammen beschämend schlecht entlohnt.

Doch damit nicht genug. Die freiberuflichen Geburtshelferinnen sehen ihren Berufsstand in großer Gefahr. Knapp 5100 Euro muss eine selbständige Hebamme ab Sommer pro Jahr für ihre die berufliche Haftpflicht berappen, bei einem durchschnittlichen Stundenlohn von 8,50 Euro ist das für viele ohnehin kaum noch zu schaffen. Das schwerwiegendere Problem aber ist: Kaum ein Versicherer übernimmt die Hebammen. Nachdem auch die Nürnberger Versicherung aus einem Konsortium aussteigen will, stehen die Geburtshelferinnen ab Mitte 2015 ohne Versicherungsschutz da. Da Hebammen aber per Gesetz dazu verpflichtet sind, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen, stünden dann mehr als 10.000 freiberufliche Hebammen vor dem beruflichen Aus. "Eine Katastrophe ist das", sagt Anja Vallé gegenüber n-tv.de. Seit zehn Jahren arbeitet sie als freiberufliche Hebamme und ist Chefin des Geburtshauses "Maya" in Berlin-Prenzlauer-Berg. "Die Frauen, die zu uns kommen, haben den großen Wunsch, dass sie menschliche Betreuung finden. Diese Frauen möchten nicht Nummer 30948 in Kreißsaal 3 sein."

"Das ist politisches Taktieren"

Wenn die Haftpflichtversicherung wegbricht, dürfen Hebammen weder Geburten zu Hause, im Geburtshaus oder als Beleghebamme in der Klinik betreuen noch Schwangeren- und Wochenbettbetreuungen annehmen. "Der Markt für die Versicherung von Hebammen reguliert sich dann nicht mehr selbst. Die Folgen sind dramatisch, der Beruf ist akut von der Vernichtung bedroht", warnt Nina Martin, Pressesprecherin des Deutschen Hebammenverbandes (DHV). Schon seit Jahren rasen die Kosten für die berufliche Haftpflichtversicherung immer weiter in die Höhe. Im Jahr 1989 kostete die Prämie noch rund 150 Euro im Jahr, 2003 mussten Hebammen bereits 450 Euro einzahlen, zehn Jahre später war mehr als das Zehnfache fällig.

Aber warum steigen die Prämien überhaupt derart schwindelerregend? "Mit der Haftpflicht hat das alles wenig zu tun, diese wird nur vorgeschoben", sagt Susanne Grünhagen gegenüber n-tv. Sie beobachte seit vielen Jahren den Versuch der Politik, die Geburt komplett in die Kliniken zu verlagern. "Das ist politisches Taktieren. Wenn bei den Versicherungsprämien nichts mehr zu holen ist, werden andere Wege beschritten, um die Tätigkeit der Hebamme in der Geburtshilfe weiter einzuschränken." Die Geburtshäuser hätten von Beginn an auf wackeligen Beinen gestanden, berichtet Grünhagen aus ihrer 21-jährigen Berufserfahrung. Aber früher habe man sich persönlichen Angriffen ausgesetzt gesehen. "Heute wird mit viel größeren Geschossen gearbeitet. Heute wird politisch dagegen vorgegangen." Aus diesem Grund glaube sie auch, dass der Beruf der Hebamme stark in Gefahr ist, ausradiert zu werden.

Hebammen geben Geburtshilfe auf

Der Nürnberger Versicherer selbst begründet seinen Rückzug mit den hohen Kosten. Von 2003 bis 2012 sind nach Angaben des Versicherungsverbandes GDV die Ausgaben für schwere Geburtsschäden pro Kind um fast 80 Prozent auf 2,6 Millionen Euro gestiegen. "Es gibt zwar nicht mehr Schadensfälle, aber in den Einzelfällen muss mehr gezahlt werden", erklärt Martin. "Aufgrund der modernen Medizin überleben immer mehr frühgeborene und behinderte Kinder, doch wegen ihrer Defizite müssen sie ein Leben lang gepflegt werden. Das kostet. Die finanzielle Last trägt am Ende das schwächste Glied in der Kette - die Hebamme."

Weil sie die finanziellen Kosten nicht mehr tragen wollen, schmeißen immer mehr Hebammen hin. Seit 2008 hat bereits jede vierte Hebamme ihr eigentliches Kerngeschäft, die Geburtshilfe, aufgegeben. Allein um ihre Versicherungsprämie 2014 bezahlen zu können, müsse eine Hebamme etwa 18 Geburten in einer Klinik betreuen, rechnet der DHV vor. Und: Das Recht jeder Frau auf die Hilfe einer Hebamme bei der Geburt und die freie Wahl des Geburtsortes existieren vielerorts nur noch auf dem Papier. Eine flächendeckende Versorgung sei schon lange nicht mehr möglich. Zum Nachteil der werdenden Mütter: Geburtshäuser schließen, kleinere Krankenhäuser machen ihre Geburtshilfe-Abteilung dicht, und Hebammen, die auch eine Hausgeburt begleiten, sind schwer zu finden.

Staatlich finanzierter Haftungsfonds

Auf diese Misere weisen die Hebammen seit Jahren mit gezielten Demonstrationen hin. Mit Erfolg. Zahlreiche Online-Petitionen und Aktionen in sozialen Netzwerken zeigen, dass aus dem Hebammenprotest mittlerweile ein Elternprotest geworden ist. Tausende Eltern trommeln gegen die Hebammen-Misere und machen der Politik Druck. "Lieber Herr Gröhe, retten Sie unsere Hebammen!", appelliert zum Beispiel Bianca Kasting in einer Online-Petition, die bereits über 300.000 Unterzeichner gefunden hat. Von der neugewählten Regierung erzwangen die Hebammen eine Klausel im Koalitionsvertrag, die eine flächendeckende Versorgung mit Geburtshilfe und eine angemessene Vergütung verspricht. Doch über allem schwelt die Versicherungsproblematik. Um die Sache bezahlbar und die Versicherer bei der Stange zu halten, mahnen die Hebammen jetzt schnelle politische Lösungen an. Sie fordern unter anderem einen staatlich finanzierten Haftungsfonds, der ab einer bestimmten Höhe greift.

Die Politik hält sich zu den Forderungen bedeckt. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn verweist gegenüber n-tv.de darauf, dass es sich dabei um sehr komplexe Rechts- und Versicherungsfragen handle, die man nicht auf die Schnelle beantworten könne. "Wir wissen um die Situation der Hebammen und wollen eine Lösung finden, die mehrere Jahre trägt. Nur dann haben Hebammen, Schwangere und ihre Angehörigen wirklich etwas davon. Deshalb müssen wir den Bericht des Gesundheitsministeriums abwarten, ein Schnellschuss führt hier nicht weiter."

In den kommenden Wochen wird der Abschlussbericht der interministeriellen Arbeitsgruppe "Versorgung mit Hebammenhilfe" erwartet. Auf die Ergebnisse des Berichts aufbauend sollen Antworten auf die strukturellen Probleme im Hebammenwesen gefunden werden, versprach Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe vage. Allerdings hat sich die Arbeitsgruppe bisher nur mit den hohen Haftpflichtprämien  beschäftigt. Das Problem, dass sich womöglich keine Versicherung mehr für die Hebammen findet, hatte da noch niemand auf dem Schirm.

Quelle: ntv.de

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