Panorama

Interview mit Virologe Kekulé "Ich habe meine Meinung zur Impfpflicht geändert"

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Pflegende, die mit Risikopatienten arbeiten, sollten nach Meinung des Virologen Alexander Kekulé zur Corona-Impfung verpflichtet werden.

(Foto: imago images/Max Stein)

In einem Pflegeheim am Brandenburger Werbellinsee sind elf Menschen an Covid-19 gestorben. Dort war nur die Hälfte des Pflegepersonals geimpft. "Dieses Heim ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt der Hallenser Virologe Alexander Kekulé. Er plädiert für eine Impfpflicht für Pflegekräfte.

ntv.de: Sie waren bisher gegen eine Impfpflicht. Gilt das noch?

Alexander Kekulé: Ich habe meine Meinung geändert. Und das aus vier Gründen: Erstens ist der Impfschutz sehr unvollständig, insbesondere für alte Menschen. Wir wissen inzwischen, dass bei einer hohen Zahl von Alten das Immunsystem fast gar nicht auf die Impfung reagiert und diese ein hohes Risiko haben, dass die Krankheit schwer verläuft. Zum zweiten lässt der Immunschutz nach. Eine aktuelle Studie aus Schweden deutet darauf hin, dass wir nach einem halben Jahr bei den alten Menschen auch mit den guten Impfstoffen kaum noch Schutzwirkung haben. Drittens lässt die Kampagne für die Booster-Impfung zu lange auf sich warten ...

... die Kassenärzte sagen, sie schaffen 3,5 Millionen Impfungen pro Woche.

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Der Virologe Alexander Kekulé ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle (Saale).

(Foto: imago/Metodi Popow)

Damit werden wir nicht mehr rechtzeitig für die Herbstwelle sein. Wir müssen aber dringend die Alten und die Menschen in Krankenhäusern schützen. Und schließlich, das zeigen tragische Todesfälle wie die elf Verstorbenen im Pflegeheim am Werbellinsee, reicht es nicht mehr, bei den Impfungen für Pflegekräfte auf Freiwilligkeit zu setzen. Das wäre mein vierter Punkt. In diesem Heim war offenbar die Hälfte des Pflegepersonals nicht geimpft, da schlage ich als Arzt die Hände über dem Kopf zusammen. Ich dachte bislang, ein ausreichend großer Teil unseres medizinischen und pflegerischen Personals habe die nötige Vernunft, sich impfen zu lassen. Da habe ich mich, wenn Sie so wollen, geirrt. Dieses Heim ist nur die Spitze des Eisbergs.

Müsste sich bei einer Impfpflicht auch jede Orthopädin impfen lassen?

Nein, mir geht es ausdrücklich nur um Angehörige von Heil- und Pflegeberufen, die häufig Kontakt zu Risikopatienten haben. Es geht um diejenigen, die auf Intensivstationen arbeiten, um solche, die mit Krebskranken zu tun haben, um diejenigen, die in Altenheimen pflegen. Darum schlage ich auch eine Alternative für diejenigen vor, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen oder es mit ihrer Religion oder Weltanschauung nicht vereinbaren können: Diese Leute müssten täglich einen PCR-Test machen und permanent mit FFP2-Maske arbeiten. Ein Weg kann auch sein, dass sich solche Ungeimpfte an eine andere Stelle versetzen lassen, wo sie mit Vulnerablen keinen häufigen Kontakt mehr haben.

Kritiker einer Impfpflicht befürchten, dass noch mehr Pflegende ihrem Beruf den Rücken kehren könnten.

Da hilft ein Blick nach Frankreich oder in die USA, dort hatte man dieselbe Befürchtung, als die Impfpflicht für Pflegeberufe eingeführt wurde. Es hat aber keine Kündigungswelle gegeben, am Ende war der Schwund minimal, weil die Leute ein Einsehen hatten. Und damit würde ich auch in Deutschland rechnen, denn wer in einem pflegerischen oder medizinischen Beruf tätig ist, hat mit dieser Entscheidung eine höhere Verantwortung übernommen. Hier können wir meines Erachtens diese Menschen beim Wort nehmen.

Gegen jegliche Form von Impfpflicht steht das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit.

Das ist das eine Recht, das in dieser Frage eine Rolle spielt. Das andere ist der im Grundgesetz verbriefte Anspruch der Menschen, vom Staat vor Fremdschädigung geschützt zu werden. So wie im Straßenverkehr zum Beispiel. Nun muss man beide Rechte gegeneinander abwägen, und da ist die gängige Rechtsprechung: Wenn es um die Abwendung einer großen und unmittelbaren Gefahr geht, dann kann man von jemandem fordern, einen solchen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit über sich ergehen zu lassen, sofern es keine andere, weniger eingreifende Möglichkeit gibt. Die sehe ich hier nicht mehr, denn Sie können nicht in jedem Altenheim einen Polizisten aufstellen, der aufpasst, dass das Pflegepersonal seine FFP2-Masken richtig trägt.

Fällt Ihnen diese Forderung nach einer Impfpflicht nicht schwer? Immerhin sind Sie vehementer Gegner der 2G-Regel.

Da gibt es einen entscheidenden Unterschied: Bei 2G handelt es sich um Freizeitveranstaltungen, freiwillige Veranstaltungen, und wer ein hohes Infektionsrisiko hat, muss diese Events ja nicht besuchen. Wer aber im Altenheim liegt, ist im höchsten Maße darauf angewiesen, dass die eigene Umgebung geschützt ist. Dass dann diejenigen, die diese Menschen schützen sollen, sie stattdessen infizieren, das dürfen wir als Gesellschaft nicht zulassen. Am Ende des Tages müssen wir auch mal Kante zeigen. Wir können nicht sagen, wir legen uns nicht mit den Querdenkern an, und lassen deshalb Menschen sterben.

Nehmen wir an, die Politik folgt Ihrer Empfehlung: Birgt das nicht das Risiko, dass sie an Glaubwürdigkeit verliert, nachdem sie monatelang eine Impfpflicht kategorisch ausgeschlossen hat?

Derzeit spielen die Politiker in diesem Punkt Mikado - wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Weil man dieses Versprechen gegeben hat, keine Impfpflicht, und nun will es niemand brechen. Tatsächlich glaube ich aber, dass man diesen Schritt gut begründen könnte. Denn durch die Delta-Variante sehen wir wesentlich häufigere Durchbrüche, wir sehen, wie inkomplett hier auch der Schutz vor schweren und tödlichen Verläufen ist. Die Politik erkennt, dass wir uns nicht, wie es einige versprachen, aus der Pandemie herausimpfen können, denn die Herdenimmunität war von Anfang an eine Illusion. Manchmal braucht die Politik ein Aufwacherlebnis, wie damals in Fukushima, um einen Strategiewechsel zu begründen. Der aktuelle Ausbruch am Werbellinsee zeigt, dass es so wie bisher nicht weitergeht. Die Entscheider können darum erhobenen Hauptes sagen: Die Sachlage hat sich geändert, darum müssen auch wir unsere Politik ändern.

Mit Alexander Kekulé sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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