Zwischen Knochen und Kakerlaken Leben auf Manilas Friedhof
19.07.2010, 10:10 Uhr
Ungefähr 600 Familien leben auf dem städtischen Friedhof in Manila.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Manila gehört zu den dicht bevölkertsten Städten der Welt. Arme finden dort keinen Platz. Sie müssen auf den Friedhof ausweichen und leben dort unter haarsträubenden Bedingungen.
Emmalyn Ramos hat von ihrem Zuhause einen herrlichen Blick auf die Skyline der philippinischen Hauptstadt Manila. Wenn nur der Gestank, der Abfall und die menschlichen Knochen vor ihrer Haustüre nicht wären. Die 20-Jährige lebt zusammen mit ihrer Großfamilie im Hafenviertel Navotas auf dem städtischen Friedhof. Rund 600 Familien schlafen, kochen, essen, baden und waschen auf den Gräbern. Zum Leben zwischen den Toten zwingt sie der Platzmangel in einer der am dichtesten bevölkerten Gegenden der Welt. Viele der Mittellosen sind von Gelegenheitsjobs im nahen Hafen abhängig.
"Wir würden gerne woanders leben", sagt Ramos, während sie ihre beiden Kinder füttert. "Aber wir sind hier geboren und aufgewachsen. Ich denke nicht, dass wir es schaffen, hier rauszukommen." Die schwangere Frau wohnt in einer Art Zelt aus Plastikplanen, Bambus und Holzstücken. Die armselige Hütte steht wacklig auf einer fünfstöckigen Grabkammerwand, die an Schiffscontainer erinnert. Auch ihre zwölfköpfige Familie und ihr arbeitsloser Partner wohnen auf dem Friedhofsgelände im Norden Manilas, das ironisch "Bagong Silang" (Neugeborenes) genannt wird. Die hygienischen Bedingungen sind haarsträubend: Es gibt keine Toiletten, kein fließendes Wasser, und zwischen den Gräbern häufen sich Abfälle. Vor allem nachts wimmelt es vor Kakerlaken.
Überall stinkende Knochen
Doch nicht nur die Lebenden drängen sich auf dem Gräberfeld. Auch für die Toten ist nicht genug Platz. Nach Angaben von Jerry Doringo von der Stadtverwaltung von Navotas werden die Gräber nach fünf Jahren frei geräumt: "Dann müssen sie Neuankömmlingen Platz machen." Die Gebeine werden exhumiert und als stinkende, klamme Knochen auf dem Friedhof verstreut oder in Säcken auf den Grabsteinen abgeladen.
Trotz allem herrscht auf dem Friedhof erstaunlich viel Leben. Zum Sonnenuntergang spielen Männer mit nacktem Oberkörper Basketball, es sind Karaoke-Klänge zu hören. Kinder klettern auf Grabstätten herum oder lassen Drachen steigen. "Manchmal spielen sie mit den Totenköpfen", sagt Ramos. Ihr jüngerer Bruder, der 16-jährige Schüler Marcelo, erzählt grinsend von Gespenstern: "Keine Angst! Wenn ein Geist kommt, vertreiben wir ihn einfach mit Schimpfen."
Stadt will Friedhofsbewohner umsiedeln
Auf den Philippinen lebt ein Drittel der Bevölkerung von einem Dollar (0,81 Euro) oder weniger am Tag. Millionen Menschen hausen in Manila in Slums mit Hütten, die auf Sümpfe gebaut wurden, unter Brücken oder auf offene Abwasserkanäle. Doringo sagt, Navotas sei nicht die einzige Stadt, in der sich Arme auf dem Friedhof niederließen. Die Stadt habe für die Umsiedlung der Friedhofsbewohner nun ein Gelände im Süden von Manila gekauft, doch für alle reichten die Kapazitäten dort nicht aus. Zudem würden viele nicht wegwollen vom Friedhof und dem nahe gelegenen Hafen mit seinen Jobs.
Nach Angaben der Lehrerin Juliet Verzosa sind viele der Friedhofsbewohner schlecht ausgebildete Einwanderer von der Insel Samar, die zu den ärmsten der philippinischen Inseln zählt. Sie arbeiten demnach als Träger im Hafen oder gehen in kleinen Kanus auf Fischfang.
"Sie verdienen unser Mitleid"
Inmitten der Slumhütten zündet Rosita Pontanes eine Kerze an. Sie wohnt außerhalb des Friedhofs und kam zur Beerdigung ihrer Mutter. Sorge, dass das Gräberfeld entweiht wird, hat die Katholikin nicht. "Meine Mutter wird das verstehen", sagt sie. "Die Armen verdienen unser Mitleid. Sie haben ja sonst keinen Ort, wo sie hingehen können."
Quelle: ntv.de, Cecil Morella, AFP