War es ein Giftcocktail? "Zapfluft" kann Piloten ausschalten
26.03.2015, 06:21 Uhr
Auf dem Düsseldorfer Flughafen
(Foto: AP)
Einen Flugschreiber des abgestürzten Germanwings-Airbus haben die Helfer gefunden. Doch die Aufnahme aus dem Cockpit allein kann das Rätsel um die Ursache der Katastrophe nicht lösen. Vermutungen gibt es zuhauf. Eine davon heißt "Zapfluft".
Am Absturzort der Germanwings-Maschine in Frankreich haben sich die Ermittler auf die Suche nach dem Flugdatenschreiber konzentriert. Die Auswertung des bereits gefundenen Sprachrekorders brachte nach Behördenangaben bisher nur eine Sicherheit: Das deutsche Flugzeug mit 150 Menschen an Bord ist nicht in der Luft explodiert.
Das bestätigte der Direktor der französischen Untersuchungsbehörde BEA, Rémi Jouty, in Paris. Die BEA habe zwar Daten aus dem ersten Flugschreiber ausgewertet, könne aber keine Erklärung für den Absturz geben. "Zudem haben wir auch nicht die geringste Erklärung dafür, warum dieses Flugzeug auf die Kontaktversuche der Luftraumkontrolle, wie es scheint, nicht geantwortet hat", sagte Jouty.
Und das ist die Frage der Stunde: Weshalb hatte die Mannschaft keinen "Mayday"-Ruf abgesetzt? Und weshalb konnte es keinen Kontakt mehr zwischen Crew und Bodenkontrolle geben? Verlaufsbilder zeigen, dass die Maschine offenbar computergesteuert schnurgerade über eine Dauer von acht Minuten an Höhe verlor, bis sie gegen einen Felsen in dem schwer zugänglichen Alpental krachte.
Das Phänomen "Zapfluft"
Waren giftige Dämpfe im Cockpit im Spiel? Mit diesem Phänomen hat die Lufthansa schon länger zu kämpfen. Die langjährige Diskussion um sogenannte "Zapfluft" war durch das Bekanntwerden eines schweren Zwischenfalls mit einer Germanwings-Maschine angefacht worden. Und zwar im Dezember 2010.
Damals hatten die beiden Piloten des A319 beim Landeanflug auf den Köln/Bonner Flughafen beinahe das Bewusstsein verloren. Im Cockpit war "ein süßlicher Geruch ausgeströmt", berichtete seinerzeit der NDR. Nach Recherchen von NDR und "Welt" soll die Fluglinie der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) zunächst wichtige Informationen vorenthalten haben. Die Maschine sei mit 149 Menschen besetzt gewesen. Erst nachdem die Behörde Ende 2011 weitere Informationen erhalten habe, habe sie die Untersuchung aufgenommen.
Als Nervengift klassifiziert
Sind die Flugzeugtüren einmal geschlossen, steht als Atemluft nur noch sogenannte "Zapfluft" zur Verfügung. Die Kabinenluft wird bei fast allen gängigen Flugzeugtypen direkt an den Triebwerken abgezapft und ungefiltert in die Kabine geleitet. Das Problem dabei sind bestimmte chemische Zusatzstoffe, die den speziellen Turbinenölen und der Hydraulikflüssigkeit beigemischt werden, allem voran die Organo-Phosphate.
Inzwischen ist bekannt, dass auch im Normalbetrieb geringe Mengen, im Fall eines Dichtungsversagens sogar mehrere Liter dieser giftigen Rückstände austreten können, am heißen Triebwerk verdampfen und sich in der Kabinenluft niederschlagen können.
"Seit Jahrzehnten warnen renommierte Wissenschaftler in aller Welt vor dem Chemikaliencocktail, der konstruktionsbedingt jederzeit in die Atemluft des Flugzeuges gelangen kann", schreibt die "Welt". Viele der Stoffe seien der internationalen Datenbank für Chemieprodukte (CAS) zufolge teilweise krebserregend oder giftig. Einige seien sogar als Nervengifte klassifiziert.
BFU fordert neue Standards
Als Reaktion auf die Häufung von Zwischenfällen wegen unerklärlicher Gerüche oder Dämpfe in Verkehrsflugzeugen forderte die BFU im Mai 2014 neue Standards. Das berichtete der Sender 3Sat. Bei der Vorlage einer Studie habe die Behörde Sicherheitsempfehlungen herausgegeben, die unter anderem "auf ein standardisiertes Meldesystem zielen".
Eine weitere Empfehlung richtete die BFU demnach an die Europäische Agentur für Flugsicherheit EASA - sie sollte bei der Musterzulassung von Flugzeugen, Triebwerken und vor allem auch Hilfsturbinen (APU) einheitliche Standards beim Nachweis für die Qualität der Kabinenluft einführen. Alle Stoffe, die zu einer Verschmutzung der Kabinenluft führen könnten, sollten direkt nachgewiesen werden. Wörtlich heißt es laut 3sat in dem Bericht: "Dazu sollten Grenzwerte verwendet werden, die auch eine dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigung der Insassen ausschließt."
Bereits 1999 fand eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern aus Frankreich, den USA und Australien einen Namen für die Vielzahl von Symptomen, die durch solche Öl-Dampfvorfälle beim Menschen ausgelöst werden können. Aber das "aerotoxische Syndrom" ist bis heute eine Krankheit, die es eigentlich nicht gibt.
Viele weitere Zwischenfälle
Tatsächlich steigt seit 2010 die Zahl der sogenannten "Zapfluft"-Meldungen an. Erst im Februar 2015 hatte eine Germanwings-Maschine auf dem Weg von Stuttgart nach Barcelona einen ungeplanten Stopp in Lyon eingelegt. Die Crew des Flugzeugs habe im Cockpit einen ungewöhnlichen Geruch wahrgenommen, sagte ein Sprecher der Fluggesellschaft in Köln. Die 74 Fluggäste und sechs Besatzungsmitglieder hatten die Maschine ganz normal verlassen können.
Wegen eines ungewöhnlichen Geruchs an Bord brach eine Condor-Maschine im Januar 2015 ihren Flug von Frankfurt nach Havanna (Kuba) ab. Die Maschine vom Typ Boeing 767 mit 258 Passagieren und 9 Besatzungsmitgliedern kehrte über Frankreich um und landete am Abend in Frankfurt, teilte Condor selbst mit.
Im Dezember 2014 musste ein Flugzeug der "US Airways" auf dem Flug von Tel Aviv nach Philadelphia unplanmäßig in Italien landen, weil zwei Passagieren und elf Crewmitgliedern schlecht geworden war. Italienischen Medienberichten zufolge musste sich eine große Zahl von ihnen plötzlich übergeben. Die Fluggesellschaft bestätigte den Vorfall: Während des Fluges sei von mehreren Flugbegleitern ein "ungewöhnlicher Geruch" bemerkt worden und sie hätten sich "krank gefühlt".
Und im Juli 2014 hatte ein Verkehrsflugzeug aus den USA wegen eines Geruchs an Bord auf einer der kleinsten und ablegensten Inseln des Pazifiks landen müssen. Nach Medienberichten legte die Boeing 777 der United Airlines mit 348 Menschen an Bord einen außerplanmäßigen Stopp auf einem Flugfeld im Midway-Atoll ein. Dort mussten die 335 Passagiere und 13 Besatzungsmitglieder sieben Stunden ausharren, bevor ein anderes Flugzeug sie zum Ausgangsflughafen Honolulu zurückflog. Eine Sprecherin schilderte, dass es einen Geruch in der Kabine gegeben habe.
Quelle: ntv.de