Welt vor Grippe-Pandemie Zweithöchste Stufe 5
29.04.2009, 22:44 UhrDie Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat wegen der sich ausbreitenden Schweinegrippe das Pandemierisiko auf die zweithöchste Stufe 5 angehoben. Das teilte WHO-Generaldirektorin Margaret Chan vor Journalisten in Genf mit. Damit steht die weltweite Ausbreitung des mutierten Schweinegrippevirus H1N1 unmittelbar bevor. Chan appellierte an alle internationalen Organisationen wie die Weltbank sowie an die Pharmaindustrie und die Forschung, alle Kapazitäten bereitzustellen, um eine Pandemie zu vermeiden. Die Welt sei auf eine Pandemie aber besser vorbereitet als je zuvor in der Geschichte.
Erst am Montag war die seit 2005 wegen der Vogelgrippe geltende Stufe 3 auf 4 heraufgesetzt worden. Das bedeutete, dass das neue Grippevirus von Tieren auch Menschen infizieren kann und von Mensch zu Mensch übertragen wird. Die Aufstockung auf 5 bedeutet, dass die Übertragung von Mensch zu Mensch zur Ausbreitung in mindestens zwei Ländern derselben Region geführt hat, was mit den USA und Mexiko der Fall ist. Bei der höchsten Alarmstufe 6 wird von einer weltweiten Übertragungsgefahr, einer Pandemie, ausgegangen.
Jetzt ruft die WHO auch zur verstärkten Produktion von Grippemitteln und weiteren Vorsorgemaßnahmen etwa im Gesundheitswesen auf. Die Eindämmung der Krise läuft nun auf vollen Touren und in allen Bereichen an. Am härtesten betroffen ist Mexiko mit bis zu 159 Toten.
EU-Krisentreffen in Luxemburg
Am Donnerstag wollen die EU-Staaten bei einem Krisentreffen ihr Vorgehen absprechen. Die Gesundheitsminister der 27 Mitgliedstaaten und die EU-Kommission wollen in Luxemburg über die Verfügbarkeit von Impfstoffen und über mögliche Reisebeschränkungen beraten. . In den EU-Ländern wurden bis zum Mittwochabend rund 20 Fälle von Schweinegrippe gemeldet. Frankreich hat ein vorläufiges Verbot aller EU-Flüge nach Mexiko gefordert. Für Deutschland wird Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt erwartet. Auch mehrere Bundesbürger sind an der gefährlichen Schweinegrippe erkrankt, die weltweit für Unruhe sorgt.
Deutsche Erkrankte auf dem Weg der Besserung
Die Erkrankten - ein Mann und eine Frau in Bayern sowie eine Frau in Hamburg - sind bereits wieder auf dem Weg der Besserung. Lebensgefahr besteht nach Angaben der Krankenhäuser vom Mittwoch in keinem Fall. Bei allen drei Betroffenen handelt es sich um Rückkehrer von Mexiko-Reisen. Nach den Worten von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird die Regierung alle Vorkehrungen zum Schutz der Bevölkerung treffen. Aus den Epidemien der vergangenen Jahre habe man gelernt und entsprechende Schutzpläne aufgestellt. Wissenschaftler und Politiker warnten vor Panik und Hysterie. Auch die WHO-Chefin warnte: "Wir sollten es nicht übertreiben. Wir brauchen eine gewisse Ebene der Ruhe, damit wir das auf rationale Weise bewältigen können."
"Niemand weiß, wie es sich weiterentwickelt"
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) räumte ein, die Situation erfülle sie mit Sorge. "Niemand kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, wie es sich weiterentwickelt." Sie versicherte, dass die Bundesrepublik für den Notfall einer Ausbreitung der Epidemie gut vorbereitet sei. Es gebe Medikamente zur Behandlung. Durch frühzeitiges Erkennen müsse ein weiteres Ausbreiten der Grippe verhindert werden, sagte Schmidt. Per Verordnung würden die Ärzte angewiesen, Verdachtsfälle sofort den Gesundheitsämtern zu melden. Als Symptom gilt vor allem hohes Fieber. Im Nationalen Referenzzentrum für Influenza des Robert Koch-Instituts wurde das Fachpersonal aufgestockt. Das Gesundheitsministerium richtete eine Hotline für Bürger ein: Informationen zur Schweinegrippe gibt es ab sofort von den Experten des Ministeriums unter der Telefonnummer 01805 / 99 66 19. Die Experten sind dort von montags bis donnerstags von 8.00 bis 18.00 Uhr erreichbar. Am Freitag ist die Leitung von 8.00 bis 12.00 Uhr besetzt.
Auf Mexiko-Reisen besser verzichten
An den deutschen Flughäfen sehe man bereits viele Menschen mit Mundschutz, sagte Schmidt. Sie begrüßte es, dass einige Bundesländer Reisende bei der Rückkehr aus Mexiko oder den USA an Flughäfen von Ärzten beobachten ließen. Schmidt warnte vor Reisen nach Mexiko. "Wer nicht unbedingt nach Mexiko reisen muss, sollte das verschieben." Nach Angaben von Gesundheitsstaatssekretär Klaus Theo Schröder halten sich im Schnitt 9000 deutsche Touristen in Mexiko auf.
Nicht an die Nase fassen
Für die Bevölkerung in Deutschland gebe es nach wie vor "keine allgemeine Gefährdung" durch die Schweinegrippe, teilte das Robert Koch-Institut in Berlin mit. "Generell empfohlene persönliche Hygienemaßnahmen sollten aber besonders beachtet werden, insbesondere bei Kontakt zu Reiserückkehrern aus betroffenen Regionen." Vor allem beim Niesen oder Husten könnten Grippe-Erreger auf die Hände gelangen und dadurch weiterverbreitet werden.
Im Notfall sind für die Behandlung in Deutschland in den meisten Bundesländern für 20 Prozent der Bevölkerung Medikamente wie Tamiflu und Relenza eingelagert, wie es die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt. Die Medikamente waren im Zuge der Vogelgrippe und der damaligen Pandemie-Gefahr angeschafft worden. Darüber hinaus verfügen auch Krankenhäuser und Apotheken über die antiviralen Medikamente.
Impfstoffe sollten rasch entwickelt werden, betonten Schmidt und der Leiter des Robert Koch-Instituts, Jörg Hacker. Dies dauere aber noch einige Zeit. Hacker: "Wir haben einen Impfstoff, wissen aber noch nicht, ob er bei dieser neuen Variante der Viren wirkt." Über den Einsatz entscheide die WHO. Schmidt sagte, in einem solchen Fall müsse die Bevölkerung zwei Mal "durchgeimpft" werden. Dies könne aber wie bei der allgemeinen Grippeschutzimpfung nur freiwillig geschehen.
Vize-Regierungssprecher Thomas Steg warnte davor, sich jetzt beim Arzt Medikamente verschreiben zu lassen und diese vorbeugend einzunehmen. Die Mittel wirkten nur, wenn tatsächlich Krankheitssymptome vorlägen.
New York: "Wie jede andere Grippe"
In New York gibt es nach Angaben des Gesundheitsdezernenten Thomas Frieden "keine Anzeichen dafür, dass die Schweinegrippe gefährlicher ist als jede andere Grippe". Die Stadt gehe inzwischen von Hunderten von Erkrankungen aus, die meisten von ihnen unter Schülern und Lehrern der Privatschule Saint Francis. "Aber allen geht es vergleichsweise gut. Keiner ist ernsthaft krank", sagte Frieden. Das Bild, das sich den Gesundheitsbehörden in New York bisher biete, unterscheide sich nicht von jeder anderen Grippewelle, bekräftigte der oberste Gesundheitshüter der Acht-Millionen-Stadt bei einer Pressekonferenz. Die US-Seuchenkontrollbehörde CDC hat bislang 51 Infektionen mit dem mutierten Schweinegrippevirus H1N1 im Bundesstaat New York labortechnisch bestätigt.
In den USA gibt es den ersten Grippetoten außerhalb Mexikos. Allerdings handelt es sich um ein 23 Monate altes mexikanisches Kind, das von seinen Eltern eigens zur Behandlung in eine US-Klinik gebracht worden war.
Nach Angaben der mexikanischen Regierung sind bisher in dem Land 159 Menschen an der Schweinegrippe gestorben, gemeldet auf der Basis von Symptomen und ersten Schnelltests. Von der Weltgesundheitsorganisation WHO wurden bislang allerdings nur sieben Fälle durch Intensivtests bestätigt. In dem Land gibt es nach mexikanischen Angaben 26 bestätigte Fälle von Schweinegrippe und etwa 2500 Verdachtsfälle.
Unterdessen gibt es einen ersten Verdachtsfall in Afrika: Südafrikas Institut für meldepflichtige Krankheiten erklärte am Mittwoch in Pretoria, bei einer Frau aus dem Großraum Johannesburg bestehe der Verdacht auf Infizierung. Sie gelte aber als nicht besonders schlimm erkrankt, hieß es.
Kein Schwein hat "Schweinegrippe"
Der Name "Schweinegrippe" ist irreführend. "Das betreffende Virus wurde bisher nicht bei Schweinen isoliert. Es wurde isoliert bei kranken Menschen", sagte der Generaldirektor der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE), Bernard Vallet, der Deutschen Presse-Agentur in Paris. Sein Ursprung sei völlig ungewiss. "Man sollte nicht von Schweinegrippe sprechen, sondern lieber den geografischen Ursprung benennen."
Das Virus sei eine Kombination von vier Elementen, von denen zwei von Schweineviren und je einer von Menschen- und Vogelviren stammten, sagte Vallet. Das Virus könnte seinen Ursprung auch in Vögeln oder Menschen haben. "Alles ist möglich. Man weiß noch nichts", sagte Vallet. "Leider haben wir bisher keine Verbindung zwischen Tier und Mensch schaffen können." Um Verwechselungen zu vermeiden, spricht die EU-Kommission daher von "novel flu" ("neuartige Grippe").
Quelle: ntv.de, AFP / dpa / rts