Politik

Hungerstreik in Italien Abgeordnete fasten für das "ius soli"

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"Italiener ohne Staatsangehörigkeit" protestieren vor dem Parlament in Rom.

(Foto: AP)

Seit zwei Jahren steckt das neue Einbürgerungsgesetz im italienischen Senat fest. Mit einem Hungerstreik wollen Abgeordnete Tempo machen. Allerdings hat sich die Stimmung in Italien gedreht.

Mittlerweile sind es schon über 70 italienische Parlamentarier, darunter ein Minister und mehrere Staatssekretäre, die sich dem Hungerstreik für ein neues Staatsangehörigkeitsrecht anschließen wollen - allerdings abwechselnd, jeder nur einen Tag lang. Ziel dieser für Parlamentarier eher ungewöhnlichen Protestform ist es, das neue Einbürgerungsgesetz doch noch in der laufenden Legislaturperiode zu verabschieden.

Initiator des Hungerstreiks waren Lehrer, rund 900 von ihnen nahmen am 3. Oktober an einem eintägigen Hungerstreik teil. An diesem Tag erinnern die Italiener an die Opfer des Bootsunglücks vor vier Jahren vor der Insel Lampedusa sowie an all die anderen im Mittelmeer Ertrunkenen. Doch was nützen solche Gedenktage, wenn die Politik nicht einmal imstande ist, den legal Eingewanderten grundlegende Rechte zu gewähren? Rechte, zu denen auch die Einbürgerung von in Italien geborenen Kindern ausländischer Eltern zählt.

Bisher folgt das italienische Staatsangehörigkeitsgesetz dem "ius sanguinis", also dem Abstammungsrecht. Die Hungerstreikenden fordern, es durch ein "ius soli" zu ersten, das dem Geburtsortprinzip folgt.

Dass sich dem Hungerstreik auch ein Minister angeschlossen hat, sorgte natürlich für Aufsehen. Der 57-jährige Verkehrsminister Graziano Delrio war Arzt, ist praktizierender Katholik und Vater von neun Kindern. Für ihn geht es hier nicht um eine politische Einstellung, sondern um eine Gewissensfrage. Der Papst selbst habe ja vom "Recht aller Kinder auf eine Staatsbürgerschaft" gesprochen. Und auch Laura Boldrini, die Vorsitzende der Abgeordnetenkammer, hat wissen lassen, sie könnte sich der Aktion anschließen.

Es war Ende 2015, als der "ius soli"-Entwurf von der Abgeordnetenkammer verabschiedet wurde, und zwar mit den Stimmen der Regierungsmehrheit, zu der neben den Sozialdemokraten von Matteo Renzi auch die Abgeordneten der christdemokratischen Alternativa Popolare gehören. Seitdem steckt er im Senat fest. Anfang dieses Jahres hegten die Befürworter noch die Hoffnung, das Gesetz doch noch im diesem Jahr verabschieden zu können. Doch dann überlegte es sich Angelino Alfano, jetziger Außenminister und Vorsitzender der Alternativa Popolare, anders. Die vielen Flüchtlinge, die in den ersten sieben Monaten des Jahres nach Italien gekommen waren, sowie die Terroranschläge haben auch in Italien Ängste in der Bevölkerung geschürt. Und da hierzulande spätestens im nächsten Frühling ein neues Parlament gewählt wird, ließ Alfano wissen, das Gesetz sei im Prinzip richtig, der Zeitpunkt jedoch falsch. Damit würde man nämlich der rechtspopulistischen Lega Nord und ihrem Vorsitzenden Matteo Salvini ein großes Geschenk machen.

In der Tat lässt Salvini keine Gelegenheit aus, gegen das Gesetz zu wettern: Italien sei drauf und dran, seine Identität zu vernichten, seine christlichen Werte zu verleugnen, und das alles nur, weil Renzi seine Wählerschaft vergrößern wolle, behauptet er.

Zwar stimmt es, dass vom "ius soli"-Gesetz sofort rund achthunderttausend Kinder profitieren würden; das entspricht 80 Prozent aller Kinder mit Migrationshintergrund in Italien. Doch automatisch wird die Staatsbürgerschaft auch in Zukunft nicht vergeben. Erstens muss die Einbürgerung immer von den Eltern beantragt werden. Und zweitens gilt das "ius soli" nur für jene Kinder, die in Italien geboren sind und deren Eltern, oder zumindest einer der Elternteile, über ein langfristiges Aufenthaltsrecht verfügen. Für Kinder, die nicht in Italien geboren wurden, aber vor ihrem zwölften Lebensjahr mit den Eltern nach Italien gezogen sind, gilt das "ius culturae: Um Italiener zu werden, müssen sie mindestens fünf Schuljahre in Italien absolviert haben. Für diejenigen, die bei der Einwanderung älter als zwölf Jahre waren, sind es sechs Jahre.

Ob der Hungerstreik der Parlamentarier und eine für den 13. Oktober geplante Kundgebung doch noch die rechtzeitige Verabschiedung des Gesetzes ermöglichen, ist zweifelhaft. Die Haltung der Italiener dazu hat sich nämlich radikal geändert. War 2011 die Mehrheit noch für die Einführung des "ius soli", ist sie heute dagegen.

Quelle: ntv.de

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