Politik

Extremismuskongress ohne Höcke AfD bemüht sich um Debatte und Selbstkritik

Der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski auf dem Extremismus-Kongress.

Der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski auf dem Extremismus-Kongress.

(Foto: dpa)

Die Alternative für Deutschland lädt in Berlin zum Extremismuskongress. Vor allem ein Pranger für linke und islamistische Ideologien? Die Partei gibt sich dieses Mal erstaunlich selbstkritisch. Außer bei einem Thema.

Björn Höcke hätte ohnehin nicht kommen dürfen. Der Thüringer Landesvorsitzende hat in allen Maritim-Hotels Hausverbot. Und er hätte an dieser Veranstaltung auch keinen Spaß gehabt: In Berlin lud die AfD zum Extremismuskongress und war bemüht, sich in vielen Bereichen vom rechten Flügel der Partei abzugrenzen und auf die eigenen demokratischen Ziele zu pochen. Dabei trat ein überraschendes Maß an Selbstkritik in den Parteireihen zu Tage.

BKA-Terrorexperte Uwe Kemmesies auf dem Kongress.

BKA-Terrorexperte Uwe Kemmesies auf dem Kongress.

(Foto: dpa)

"Gefahren für die Demokratie durch linken, rechten und religiös motivierten Extremismus", lautete der Untertitel des Kongresses, zu dem neben Wissenschaftlern aus dem AfD-nahen Spektrum zumindest eine politisch weitgehend neutrale Persönlichkeit, der BKA-Terrorexperte Uwe Kemmesies eingeladen war. Nachdem drei Störer, die sich eingeschlichen hatten und "Nazi-Pack" skandierten, von den Sicherheitsleuten entfernt wurden, gab Kemmesies mit seinem Referat über Ursachen des Terrorismus gewissermaßen die Richtung der Veranstaltung vor. "Ich kann mich mit den Wertvorstellungen der AfD überhaupt nicht identifizieren", sagte er. Und fuhr mit einem "möglichst wertungsfreien" Vortrag vor.

Die Fakten, die er mitgebracht hatte, lösten nicht gerade Begeisterungsstürme aus. Zwar überwiege in manchen Bereichen die Anzahl linksmotivierter Gewalttaten. Gewaltbereite rechte Extremisten seien jedoch deutlich gewaltintensiver. Von allen Gewaltverbrechen habe besonders die Zahl politisch rechts motivierter Taten stark zugenommen. "Auf ein linksmotiviertes Tötungsdelikt kommen derzeit 18 rechtsmotivierte Delikte", gab er den Zuhörern zu verdauen. Doch der um Neutralität bemühte Beamte sagte auch, es bringe eben nichts, wenn die unterschiedlichen politischen Lager sich gegenseitig vorhielten, welcher Extremismus nun extremer sei. "Es gibt keinen schlimmeren oder weniger schlimmen Extremismus". Damit war die politisch neutrale Gästeliste dann auch schon abgearbeitet.

"Exzentriker und Problembären"

Doch auch der Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek, der in seiner Vergangenheit durch verschiedene Publikationen keinen Zweifel an seiner mindestens nationalistischen Gesinnung ließ, mahnte, die AfD müsse sich klar von extremistischen Tendenzen abgrenzen. Dass bereits der Verdacht entstanden sei, die Partei könne möglicherweise vom Verfassungsschutz beobachtet werden, sei ein gewaltiger Schaden. Daher sei es wichtig, dass man auf sich vor "Exzentrikern und Problembären, die durch Provokation Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen" in Acht nehme. Bei Wiederholung müsse die Konsequenz ein Parteiordnungsverfahren sein. Eine klare Spitze gegen Thüringens AfD-Chef Höcke. Das gab Applaus in den Reihen.

Der Dresdner Politikprofessor Werner Patzelt ist Mitglied der CDU.

Der Dresdner Politikprofessor Werner Patzelt ist Mitglied der CDU.

(Foto: dpa)

Werner Patzelt, der sich in seinen Ausführungen sozusagen mit der Stammwählerschaft der AfD auseinandersetzte - er sprach von "gesellschaftlicher Mitte" und "Wutbürgern" -, schlug kritische Töne an. Der Dresdener Politikprofessor mahnte, dass er bei AfD-Wählern und Pegida-Anhängern eine besondere Affinität zu völkischem Gedankengut beobachte, die zu einer Extremismusspirale führen könne, wenn reale Probleme demagogisch thematisiert würden. Die AfD als rechte Partei habe eine besondere Verantwortung, eine klare Grenze zum Rechtsextremismus zu ziehen. Und er forderte die Partei auf, alle Auftritte, die nicht demokratisch-patriotischen Charakter, sondern demagogischen hätten, streng zu unterbinden. "Die deutsche Erinnerungskultur ist international vorbildlich und bedarf keine Drehung um nur ein Grad", fügte er an. Der zweite direkte Vorstoß gegen Höcke. Wieder Applaus.

Beim Islam kippt die Debatte

Die Veranstalter wirkten in vielen Bereichen um eine sachliche Debatte bemüht. Der Kongress war offen für die Presse, Journalisten wurden aktiv eingeladen. Doch während die Referenten bemüht waren, zum Rechtsextremismus und scheinbar auch zum rechten Flügel der Partei eine klare Trennlinie zu ziehen, blieben die Vorträge in anderen Bereichen bei Pauschalurteilen und Stereotypen.

Dieses Feld, die islamfeindliche Ausrichtung der AfD, bearbeitete vor allem der Dominikanerpater Wolfgang Ockenfels. Er bezeichnete die Kreuzzüge als Defensivmaßnahme, sagte, er sehe keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus und behauptete, der Islam zeichne sich global vor allem durch Gewalt aus. "Es ist eine grauenhafte Zumutung, den Koran lesen zu müssen", sagte er und zitierte dazu einige blutige Suren. Jubel im Publikum. Die bis dahin erstaunlich selbstkritische und konstruktive Debatte hatte wieder das Niveau der Vorverurteilungen erreicht. So wenig wie die AfD pauschal in die rechte Ecke gestellt werden möchte, geben ihre Anhänger einer ganzen Religion den Stempel einer gewaltsamen Ideologie.

In das Narrativ des drohenden und gewaltsamen Islam passte auch die energische Rede der deutsch-kurdischen Menschenrechtsaktivistin Leyla Bilge. Nach eigenen Angaben oft in den Krisengebieten des Nahen Ostens unterwegs, bot sie den Zuhörern das ganze Spektrum von Horrorgeschichten aus arabischen Ländern: Menschenhandel, Versklavung, Todesstrafe. "Die kommen aus Ländern, in denen Mord und Totschlag zum Alltag gehören. Und sie kommen bewusst nach Deutschland und berauben, vergewaltigen und ermorden ihre Gastgeber." Dass das tatsächlich so sei, steht für sie außer Frage: "Ich bin die einzige, die mit der Wahrheit zurück nach Europa kommt", sagte Bilge, die selbst seit einer Weile AfD-Mitglied ist.

In der Podiumsdiskussion versuchte der Sicherheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion in Sachsen, Carsten Hütter, ein Bild zu zeichnen, in dem in Sachsen die Kriminalität, vor allem die politisch motivierte Kriminalität von Ausländern, stark zugenommen habe. Und es lag am BKA-Mann Kemmesies, diese Behauptungen zu entkräften: Nein, unter Ausländern sei der Trend zu politisch motivierten Straftaten gegenläufig und sinke. Und vor allem die Zahl der rechtsmotivierten Straftaten sei stark gestiegen. Also das Feld, auf das laut Patzel, vor allem die AfD Acht geben solle.

Quelle: ntv.de

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