EU-Kritiker machen Wahlkampf AfD will "die politische Korrektheit abräumen"
30.07.2014, 15:38 Uhr
Auf zu neuen Ländern (v.l.): Alexander Gauland, Björn Höcke, Frauke Petry und Bernd Lucke.
(Foto: picture alliance / dpa)
Von Brüssel nach Sachsen, Thüringen und Brandenburg: Die AfD ringt um den Einzug in drei Landtage. Vor allem zwei Schwergewichte sollen es richten - mit erzkonservativen Forderungen und bewährter Kampfrhetorik.
Björn Höcke sieht sich nicht als Berufspolitiker. Der 41-Jährige hat sich entschieden, in die Politik zu gehen, weil er sich Sorgen macht. Um die Zukunft seiner vier Kinder und die seines Landes, sagt er, der die Journalisten mit "liebe Freunde" anspricht. Ein einfacher Mann aus dem Volk, könnte man meinen. Bis er diesen einen Satz einleitet. "Höcke. Doppelpunkt. Anführungszeichen unten", beginnt er also tatsächlich, so dass jeder mitschreiben kann. "Die politische Korrektheit liegt wie der Mehltau auf unserem Land und ich bin angetreten, um sie abzuräumen." Anführungszeichen oben - und dann will der thüringische AfD-Spitzenkandidat wieder über Bildungspolitik reden.
Infratest | |
Sachsen | 7 % |
Thüringen | 4 % |
Brandenburg | 6 % |
Quelle: | wahlrecht.de |
Mit viel Trommelwirbel starten die Eurokritiker in diesen Tagen in gleich drei Landtagswahlkämpfe. In Sachsen (31. August), Brandenburg und Thüringen (14. September) wird in diesem Sommer gewählt. Die AfD ist, noch immer beschwingt vom eigenen Erfolg bei der Europawahl, bereit, die ersten deutschen Landtage zu entern. Laut den Meinungsforschern sind die Aussichten vielversprechend. Auch weil die Partei auf die bewährte Mischung aus Krawall, konservativer Nischen-Politik und Protestwähler-Ansprache zurückgreift.
Man sei weit entfernt von all den Versprechungen, die vor 25 Jahren, nach der friedlichen Revolution in der DDR, gemacht worden seien, sagt Bernd Lucke. Der Parteichef sitzt ganz am Rand des Podiums. Er spielt heute eigentlich nicht die Hauptrolle. Doch so schnell mag der Professor das Mikrofon nicht weitergeben. Zunächst braucht es noch einen echten Lucke. Einen echten Knaller. Der Parteichef geißelt die profillosen Altparteien. Jeder koaliere mit jedem. "Das erinnert an die Beliebigkeit von Beziehungen in einem Swingerclub."
Drei-Kind-Politik und Familienwahlrecht
Björn Höcke, Frauke Petry und Alexander Gauland grinsen. Dieser Tag gehört ihnen, den Spitzenkandidaten bei den Landtagswahlen. Aber was wollen sie, wie will die AfD bei den Wählern punkten? Petrys Schwerpunkt ist die Familienpolitik. Die 39-Jährige, die in Sachsen von einem zweistelligen Ergebnis träumt, beklagt den Kindermangel in Deutschland. Die AfD will in den Ländern eine aktive Bevölkerungspolitik betreiben. Mehr Familienförderung, eine Drei-Kind-Familie soll zum Standard werden, sagt Petry, die Mutter von vier Kindern ist. Ein Familienwahlrecht soll es ermöglichen, dass Eltern ein Stimmrecht für ihre minderjährigen Kinder erhalten. "Wir müssen das Konzept der Familienförderung von den Füßen … vom Kopf wieder auf die Füße stellen", korrigiert sich Petry.
Für Bildungspolitik ist Oberstudienrat Höcke zuständig. Die AfD ist gegen die Einheitsschule, die flächendeckende Inklusion und Gender Mainstreaming. Der Gleichberechtigung gegenüber sei man aufgeschlossen, so Höcke, aber man wolle keinen neuen Menschen schaffen. Ihm missfalle die Entwicklung, die Identität der zwei Geschlechter aufzulösen. "Wir leben in einer Zeit der Gleichschaltungstendenzen." Da fällt also zum ersten Mal eines dieser Wörter. Von "Entartungen von Demokratie" hatte Lucke im September am Abend der Bundestagswahl gesprochen. Der kalkulierte Tabubruch. Aufmerksamkeit ist gewiss.
"Es hat überhaupt nichts mit Rassismus zu tun"
Harsche Töne trifft auch Gauland beim Thema Innere Sicherheit. Der Staat stelle nicht genügend Polizisten zur Verfügung. Dies gehe zu Lasten der Sicherheit, gerade im Bereich der Grenzen. "Man muss die Frage stellen, ob Schengen nicht mal ausgesetzt werden kann." Gauland mahnt mehr Ehrlichkeit an. Es sei falsch, dass die Nationalitäten in den Kriminalitätsstatistiken nicht angegeben würden. In Sachsen habe er Zahlen gesehen, wonach 15 Prozent der Täter keine Deutsche seien, obwohl der Ausländeranteil nur bei 2,2 Prozent liege. "Es hat überhaupt nichts mit Rassismus zu tun, wenn ich wissen will, welche Gruppe von Ausländern wie straffällig geworden ist", sagt Gauland. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, schwingt da mit.
Der 74-Jährige ist längst noch nicht am Ende mit seinem Rundumschlag, der Islam darf natürlich auch nicht fehlen. Er sei nicht der Meinung, dass der Islam zu Deutschland gehöre, sagt er betont zerknirscht. Es sei zwar gut so, dass viele Mitbürger islamischen Glaubens "zu uns" gehörten, aber der Islam habe in Deutschland noch nichts hervorgebracht, weshalb man sagen könne, dass er zu Deutschland gehört. "In der kulturellen Tradition unseres Landes spielt der Islam keine Rolle, ich habe aber nichts dagegen, dass das in 100 oder 200 Jahren vielleicht anders ist."
Vorsicht Tabus
Nicht, dass diese Themen allesamt relevant wären bei den Landtagswahlen. Aber die AfD schaut eben gerne über den Tellerrand. Auch eine kurze Bewertung der Sanktionen - die Eurokritiker halten sie für falsch - mag sich Landespolitiker Gauland nicht verkneifen. Mit Petry und ihm schickt die Partei zwei Schwergewichte aus dem Bundesvorstand in die Wahlen. Und dann ist da ja noch Björn Höcke. Wie er das denn nun gemeint habe mit dem Mehltau, will ein Reporter wissen. Auf diese Frage scheint der Oberstudienrat nur gewartet zu haben. Lässt sich der eigene Slogan "Mut zur Wahrheit" dabei doch so gut bewerben.
Der fünfte Artikel des Grundgesetzes sei für ihn eines der Grundfundamente der Demokratie, erwidert dieser. "Aber in Deutschland gibt es eine informelle Einschränkung der Meinungsfreiheit", sagt er mit bedauerlicher Miene. Große politische Felder seien von Tabus umgeben. Wer eine aktive Bevölkerungspolitik fordere, werde schnell im Damals, in jenen "12 Jahren" zwischen 1933 und 1945 verortet. Da ist es wieder, dieses grenzwertige Kokettieren. In Höckes Partei weist man rechtspopulistische Tendenzen immer gerne von sich, darauf verzichten mag man jedoch nicht. Fortsetzung folgt.
Quelle: ntv.de