Dramatische Wende in Ägypten Armee auf der Seite der Demonstranten
01.07.2013, 19:03 Uhr
Auf dem Tahrir-Platz in Kairo feiern die Demonstranten die Ankündigung des Militärs.
(Foto: REUTERS)
Nach den Protesten gegen Präsident Mursi stellt sich die ägyptische Armee auf die Seite der Demonstranten. Der politischen Führung des Landes gibt sie noch bis Mittwochnachmittag Zeit, die Forderungen des Volkes zu erfüllen. Anderenfalls will das Militär eingreifen.

Al-Sisi wird wenig konkret, wenn es um die Maßnahmen geht, die nach Ablauf des Ultimatums ergriffen werden könnten.
(Foto: dpa)
Im Machtkampf der Straße mit Ägyptens Präsident Mohammed Mursi haben sich die Streitkräfte auf die Seite der Demonstranten gestellt und der Regierung ein Ultimatum von zwei Tagen gesetzt. Die "Forderungen der Bevölkerung" müssten "binnen 48 Stunden" erfüllt werden, hieß es in einer im Fernsehen verlesenen Erklärung - andernfalls werde das Militär eingreifen. Unter den Mursi-Gegnern auf dem Tahrir-Platz in der Hauptstadt Kairo brach Jubel aus.
Das rasche Eingehen auf die Forderungen aus dem Volk sei die "letzte Chance" für die Staatsführung, den "historischen Umständen" gerecht zu werden, erklärten die Streitkräfte. Andernfalls werde das Militär selbst einen Fahrplan und Maßnahmen zu seiner Umsetzung verkünden. Mursis Muslimbrüder teilten kurz darauf mit, sie würden die Erklärung "prüfen".
Verteidigungsminister und Armeechef General Abdel Fattah al-Sissi hatte schon vor einer Woche angekündigt, die Streitkräfte würden eingreifen, um Chaos zu verhindern. Bei den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz wurde er am Montag gefeiert. "Sissi komm zu uns, Mursi ist nicht länger unser Präsident", riefen sie.
Al-Sissi zog die Reißleine, nachdem bei den jüngsten Massendemonstrationen am Sonntag 16 Menschen ums Leben gekommen waren. Acht von ihnen wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums bei blutigen Zusammenstößen zwischen Mursi-Gegnern und Anhängern vor dem Sitz der Muslimbruderschaft in Kairo getötet. Am Montagvormittag stürmten Demonstranten das Gebäude und setzten es in Brand. Angreifer warfen Gegenstände aus den Fenstern und plünderten die Räume.
Fünf Minister treten zurück
Die Opposition hatte Mursi ebenfalls ein Ultimatum zum Rücktritt b is Dienstagnachmittag um 17.00 Uhr gesetzt. Bis dahin habe er Zeit, die Macht abzugeben und es den Behörden zu ermöglichen, eine vorgezogene Präsidentschaftswahl zu organisieren, teilte das Bündnis Tamarod mit.
Kurz nach dieser Ankündigung fielen Mursi die eigenen Leute in den Rücken: Fünf Minister seines Kabinetts traten zurück. Es handele sich um die Ressortchefs für Tourismus, Umwelt, Kommunikation, öffentliche Versorgungsunternehmen und Parlamentsangelegenheiten, hieß es aus den Kreisen. Premierminister Hescham Kandil berief umgehend ein Treffen mit den Ministern ein, um ihre Entscheidung zu diskutieren. In den Medien des Landes hieß es, sie hätten aus Sympathie mit den Demonstranten gehandelt.
Muslimbrüder im Zentrum des Hasses
Die Muslimbrüder, die der Polizei Untätigkeit vorgeworfen hatten, drohten mit Vergeltung. Ihre Gegner hätten eine rote Linie überschritten und müssten nun mit Gegenwehr rechnen, sagte ein Sprecher der Islamisten. Die Führung der Bewegung berate über Konsequenzen aus dem Angriff auf die Zentrale, der nicht tatenlos hingenommen werde.
Polizisten solidarisieren sich mit Demonstranten
In Kairo und in der Hafenstadt Alexandria solidarisierten sich uniformierte Polizisten mit den Demonstranten und reihten sich mit dem Ruf "Polizei und Volk sind einig" ein. Mehrere Polizeiführer sprachen zu den Demonstranten am Tahrir-Platz. Das weckte bereits zu dieser Stunde Zweifel, ob Mursi sich im Ernstfall voll auf die Sicherheitskräfte verlassen kann.
Mursi selbst hat Fehler eingeräumt und ihre Behebung angekündigt. Er zeigte sich aber entschlossen, im Amt zu bleiben. Ein Berater Mursis nannte drei Möglichkeiten, die Krise beizulegen: "Das Offenkundigste" seien Neuwahlen zum Parlament. Denkbar seien aber auch ein nationaler Dialog, den die Opposition allerdings verweigere, oder die von Mursis Gegner verlangte Präsidentenwahl, die aber die Demokratie schädigen würde.
Frauenrechtlerinnen klagten über organisierte sexuelle Übergriffe auf dem Tahrir-Platz. Denen seien mindestens 43 Frauen, darunter eine ausländische Journalistin zum Opfer gefallen.
Die in der Nationalen Heilsfront zusammengeschlossenen liberalen und linken Parteien erklärten sich bereits zu Siegern des Machtkampfes. Ihre Wortführer wollten am Nachmittag das weitere Vorgehen beraten. Die USA und die EU haben Mursi zur Machtteilung geraten.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/rts