Warum die deutsche Asylpolitik menschenunwürdig ist Aushungern und abblocken
17.07.2012, 13:37 Uhr
Etliche Flüchtlinge darben in den Auffanglagern an Europas Außengrenzen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Asylbewerber leben in Deutschland weit unter dem Existenzminimum. Darum wird das Bundesverfassungsgericht das Asylbewerberleistungsgesetz mit seinem Urteil kassieren. Doch das reicht nicht. Die Asylpolitik der Bundesrepublik insgesamt gehört auf den Prüfstand.
In einem unbedachten Satz offenbarte Kay Hailbronner um das Asylbewerberleistungsgesetz die Logik der deutschen Flüchtlingspolitik. Der Prozessvertreter der Bundesregierung sagte: Auch die Menschenwürde müsse "in einem großen europapolitischen und migrationspolitischen Kontext gesehen werden." Er saß im Sitzungsaal des Bundesverfassungsgerichts, jener Institution, deren einzige Aufgabe es ist, das Grundgesetz zu schützen. Im ersten Artikel heißt es darin: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."
Der Vizepräsident des Gerichts machte dann auch schnell klar, was er von Hailbronners Satz hält. Er warf der Bundesregierung vor, getreu dem Motto zu handeln: "Ein bisschen Hunger, dann gehen die schon." Seit diesem Prozessauftakt im vergangenen Monat gilt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts als sicher: Am 18. Juli wird es das Asylbewerberleistungsgesetz kippen.

Bundesverfassungsgericht: "Ein bisschen Hunger, dann gehen die schon."
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Regelung trat 1993 im Rahmen des Asylkompromisses in Kraft und legt fest, wie viel Geld einem politischen Flüchtling in Deutschland zusteht. Damals waren das 360 Deutsche Mark. Und daran hat sich trotz einer Preissteigerung von 30 Prozent seither nichts geändert. Der Lebensunterhalt eines Asylbewerbers liegt heute 40 Prozent unter dem eines Hartz-IV-Empfängers, 40 Prozent unter dem Existenzminimum.
Das Urteil heißt nun zunächst nur, dass Flüchtlingen mehr Geld winkt. Doch bei Menschenrechtlern lässt es schon jetzt eine Hoffnung aufkeimen: dass es auch einen Wandel in der Asylpolitik der Bundesrepublik insgesamt einleitet.
"Ich hoffe, dass dieses Urteil die Bundesregierung und die Abgeordneten generell dazu veranlasst, sich nochmal mit der deutschen Asylpolitik auseinanderzusetzen", sagt Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. "Die deutsche Asylpolitk ist keine Erfolgsgeschichte."
Falsche Maßstäbe
Wer das Innenministerium mit Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik konfrontiert, bekommt zu hören, was die Bundesrepublik doch alles leistet: Deutschland beherbergt weit mehr Flüchtlinge als alle anderen europäischen Staaten. 2011 waren es rund 572.000. Zudem übersteigen die Standards bei der Versorgung und Unterbringung bei Weitem die vieler europäischer Nachbarländer. Das Ministerium erwähnt dagegen nicht das Offensichtlichste: dass Deutschland auch das mit Abstand bevölkerungsreichste Land Europas ist.
Eine belastbarere Zahl ist nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR die Zahl der Flüchtlinge pro 1000 Einwohner. Vorne liegen da in Europa Malta mit 20,1 und Zypern mit 17,1 Flüchtlingen auf 1000 Einwohner. Deutschland landet hier nicht einmal unter den ersten zehn und kommt darum in dieser Kategorie im statistischen Report des UNHCR nicht vor.
Die deutschen Standards in Unterbringung und Versorgung wiederum mögen zwar die vieler Nachbarländer übersteigen, doch schon das Beispiel Asylbewerberleistungsgesetz zeigt, dass italienische oder griechische Zustände vermutlich nicht der passende Maßstab sind. Tatsächlich war es die Bundesregierung, die die Messlatte für eine menschenwürdige Asylpolitik legte, doch das ist schon Jahrzehnte her.
Andere Zeiten
Während der Nazi-Herrschaft von 1933 bis 1945 mussten etliche Deutsche selbst erfahren, was es heißt, politischer Flüchtling zu sein. Eine Erfahrung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Grundgesetz der Bundesrepublik niederschlug. In Artikel 16 hieß es schlicht: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht."
Wer in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Schutz beantragte, bezog die volle Sozialhilfe. Wer einen Job fand, durfte arbeiten. Die Flüchtlinge konnten Wohnungen anmieten, mussten nicht in Heimen leben. Der Wandel setzte in den 1980er Jahren ein.
Pro-Aysl-Vize Mesovic hat eine unbequeme Theorie dafür, wie es dazu kam, dass Asylbewerber dann plötzlich schlechter behandelt wurden. "Die Menschen, die damals Asyl suchten, waren andere", erinnert er sich. "Die Debatten über das Asylrecht fingen an, als Menschen aus anderen Kontinenten und mit anderen Hautfarben kamen. Da wurde auch die Anerkennungspraxis weniger generös." Mesovic fügt hinzu: "Es ist ein Element von Rassismus dabei gewesen." Hinzu kam, dass schlicht immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland drangen.
Der Ostblock zeigte erste Auflösungserscheinungen, dann brachen die Kriege auf dem Balkan los. Von ein paar Tausend Flüchtlingen pro Jahr in den 50er Jahren stieg die Zahl auf mehr als 400.000 Anfang der 90er. Schnell war von einer "Flüchtlingsflut" die Rede. Und die Politik reagierte unter anderem mit jenem Asylkompromiss.
Minimale Anreize
Die damalige Bundesregierung aus Union und FDP änderte mit Stimmen der Opposition das Grundgesetz. Mit einer Zweidrittel-Mehrheit schuf sie Artikel 16a und schränkte das Grundrecht auf Asyl durch etliche Vorbehalte ein.
Die erste Prämisse der Politik jener Tage lautete: Die Bundesrepublik darf Asylbewerbern möglichst wenig Anreiz für eine Flucht nach Deutschland bieten. Eine Logik des Aushungerns. In diesem Sinne ersetzte jenes Asylbewerberleistungsgesetz die Sozialhilfeleistungen. Das Verbot, eine Arbeit aufzunehmen, zwang Flüchtlinge, ihre Tage in notdürftig eingerichteten Asylantenheimen einfach nur verstreichen zu lassen. Und die Residenzpflicht stellte sicher, dass sie den Landkreis, in dem ihre Ausländerbehörde saß, nicht mehr verlassen durften.

Die Agentur Frontex überwacht Europas Grenzen. Auch mit Hilfe deutscher Steuergelder.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Töne gegen Asylbewerber wurden zunehmend schriller. "Bis ins letzte Negerdorf in Afrika" sollten diese Signale hörbar sein, polemisierten damals Hardliner vom Rande des Parteienspektrums. Aber auch in den etablierten Parteien versuchten Politiker wie die frühere SPD-Größe Oskar Lafontaine die Maßnahmen zumindest zu rechtfertigen. Mit Argumenten allerdings wie dem drohenden "Asylmissbrauch".
Daran hat sich seither wenig geändert. Die schwarz-gelbe Bundesregierung und etliche Bundesländer halten an den Regeln und den Argumenten dieser Tage fest. So heißt es im Innenministerium etwa: Das Aus für die Residenzpflicht komme nicht in Frage. "Diese ist zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des Asylverfahrens beziehungsweise zur Erschwerung des Untertauchens weiterhin erforderlich."
Maximale Blockade
Die zweite Prämisse der Asylpolitik lautete Anfang der 90er: Möglichst wenig Flüchtlinge sollen überhaupt ihren Fuß auf deutschen Boden setzen. Die damalige Bundesregierung verfolgte eine Strategie des Abblockens. Das wichtigste Instrument war dabei die Drittstaatenregelung. Danach verlor ein Flüchtling seinen Anspruch auf Asyl in Deutschland, wenn er auf seiner Suche nach Schutz durch einen als sicher eingestuften Staat reiste. Die Bundesrepublik mitten in Europa, umgeben von etlichen als sicher eingestuften Staaten - auf dem Landweg war Deutschland seither nur noch theoretisch legal zu erreichen. Im Rahmen der europäischen Einigung erweiterte das Dublin-Abkommen diese Regelung dann noch und legte fest, dass jeweils das EU-Land für das Asylverfahren zuständig war, das ein Hilfesuchender nach seiner Flucht zuerst betreten hatte. In der Regel also Länder an den EU-Außengrenzen.
Der Luftweg nach Deutschland war ohnehin seit jeher eng, da sich Flüchtlinge Flug und Visum entweder nicht leisten konnten oder den Umgang mit Behörden in ihrem Heimatland zum eigenen Schutz meiden mussten. Zusätzlich erlaubte der Asylkompromiss den Bau sogenannter Flughafengefängnisse. Nach einem Schnellverfahren konnten dort Flüchtlinge abgewiesen werden, ohne je wirklich deutschen Boden betreten und ohne je die Hilfe eines Rechtsbeistands genossen zu haben.
In den 80er und 90er Jahren sagten Politiker wie der damalige CDU-Ministerpräsident Baden-Würtembergs Lothar Späth: Asylbewerber gehörten schon an der Grenze "abgeblockt".
Auch an dieser Haltung hat sich wenig geändert. Am Dublin-Abkommen will Schwarz-Gelb nicht rütteln. Es sei im Interesse des Asylbewerbers, damit ein "gesicherter Zugang zu einem Asylverfahren besteht", heißt es beim Innenministerium. Und es sei auch im Interesse der Mitgliedstaaten, "um zu verhindern, dass der Asylbewerber parallel oder sukzessiv Asylverfahren in mehreren Mitgliedstaaten betreibt."
Die Politik des Aushungerns und Abblockens erreichte ihr Ziel. Die Zahl der Flüchtlinge sank auf rund 50.000 im Jahr. Und dabei soll es, unabhängig davon, wie viele Schutzbedürftige es auf der Welt gibt, offensichtlich auch bleiben. Das machte die Politik jüngst einmal wieder deutlich. Am neuen Berliner Flughafen entsteht dieser Tage ein weiteres Flughafengefängnis - mit einer Kapazität von 300 Schnellverfahren pro Jahr.
Quelle: ntv.de