Das Wort "Völkermord" bleibt tabu Bundesregierung auf Distanz zu Schädeln
20.11.2013, 11:02 Uhr
Bei der Übergabe von 20 Schädeln an eine Delegation aus Namibia im September 2011.
(Foto: REUTERS)
Zehntausende Menschen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von Deutschen im heutigen Namibia getötet. Dieser Genozid gehört in Deutschland nicht zur Erinnerungskultur. Die Bundesregierung tut alles dafür, dass dies auch so bleibt.
Die Nachfahren der vor über 100 Jahren von kaiserlich-deutschen Truppen getöteten Namibier warten weiterhin vergeblich auf eine Entschuldigung des deutschen Staates. Auch die Rückgabe von namibischen Schädeln, die infolge des Völkermords an den Herero und Nama zwischen 1904 und 1908 nach Deutschland kamen, will die Bundesregierung nicht selbst organisieren.
Wie aus der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht, will die Bundesregierung möglichst vermeiden, mit menschlichen Gebeinen aus der Kolonialzeit in Verbindung gebracht zu werden. Eine entsprechende Sammlung, die bis 2011 im Besitz des Berliner Universitätsklinikums Charité war, ging damals an das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin - an einen Museumsverbund also, der als Tochter der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) zu 75 Prozent dem Bund und zu 25 Prozent den Bundesländern gehört.
Die Bundesregierung strebt an, diese Sammlung "an eine Einrichtung außerhalb der SPK" zu geben, wie es in der Antwort heißt. Zwar sei die Abgabe an eine "private Institution" sei nicht vorgesehen. Der Linken-Abgeordnete Niema Movassat geht allerdings davon aus, "dass die Bundesregierung mit allen Mitteln vermeiden will, legal selber die Eigentümerin von Sammlungen menschlicher Gebeine zu sein, um auch nicht Ansprechpartner für Rückgabeforderungen zu sein und um die Gebeine nicht selbst an die Herkunftsländer übergeben zu müssen".
Historiker stuft Krieg als "Genozid" ein
Der Krieg der deutschen Truppen gegen die Herero und Nama im heutigen Namibia war ein Vernichtungsfeldzug, bei dem 50 bis 70 Prozent der bis zu 100.000 Herero und bis zu 50 Prozent der rund 20.000 Nama ums Leben kamen. Einige von ihnen wurden getötet, andere in die Wüste getrieben, um dort zu verhungern und zu verdursten. Tausende starben auch in Konzentrationslagern, die die Deutschen in ihrer Kolonie einrichteten. Der Historiker Jürgen Zimmerer nennt diesen Krieg einen Völkermord. "Ein Genozid ist nicht nur das Ermorden von Menschen, sondern das gezielte Zerstören von Gemeinschaften und Gesellschaften", sagte er 2012 im Interview mit n-tv.de. "Das war hier zweifellos gegeben."
Das Thema spielt in der namibischen Öffentlichkeit eine ungleich wichtigere Rolle als in Deutschland. Als die Charité vor zwei Jahren die ersten 20 Schädel übergab, reiste eine große Delegation aus dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika nach Berlin. Obwohl auch ein Minister der Delegation angehörte, wurde die Gruppe von keinem deutschen Regierungsvertreter offiziell begrüßt. Die Ausrichtung der Übergabezeremonie wurde vollständig der Charité überlassen, Außenstaatsministerin Cornelia Pieper sprach dabei nur als "Gast".
Seit Jahren verweigert Deutschland den Herero und Nama jedes Wort der Entschuldigung. In ihrer Rede in der Charité sprach Pieper von "Bedauern", "Scham" und "Hochachtung", doch die von den Namibiern erhofften Wörter "Entschuldigung", "Völkermord" und auch "Entschädigung" fielen nicht. Stattdessen formulierte Pieper, sie bitte im Namen der Bundesregierung um "Versöhnung". Für die namibische Delegation war dies ein Affront.
Gebeine mit "ethisch problematischem Kontext"
Die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linksfraktion zeigt, dass die Bundesregierung an ihrer unnachgiebigen Haltung festhält: Staatliche Stellen sollen möglichst nichts mit menschlichen Gebeinen aus der Kolonialzeit zu tun haben, die "einem ethisch problematischen Kontext unterliegen". Das ist wohl auch der Grund, warum Gebeine aus Namibia und Australien nicht an das Museum für Vor- und Frühgeschichte gegangen sind, sondern nur solche menschliche Überreste, für die es bislang keine Restitutionsansprüche gibt.
"Die Gebeine aus Namibia oder Australien will die SPK nicht übernehmen, weil hier schon Rückgabeforderungen vorliegen", sagt Movassat. Die übrigen Gebeine, die sich bereits im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befänden, wolle die Stiftung "möglichst schnell an eine andere Institution abgeben, um zu vermeiden, dass Rückgabeforderungen direkt an sie gestellt werden".
Darüber hinaus bezweifelt Movassat, dass es in den Beständen der SPK - wie von der Bundesregierung behauptet - keine "ethisch problematischen" Gebeine gibt. So müssten sich in dieser Sammlung beispielsweise Schädel aus Tansania, der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika, befinden, die "eindeutig aus Gewaltzusammenhängen" stammten. "Es liegen hierzu nur noch keine Rückgabeforderungen vor", so Movassat.
Quelle: ntv.de