
Lang ist's her: Noch immer grüßt Hafiz al-Assad, der vor 15 Jahren verstorbene Vater von Baschar al-Assad, in Syrien von Plakaten. Sein einst mit harter Hand regiertes Land gibt es nicht mehr.
(Foto: REUTERS)
Mit der gefährlichen Eskalation zwischen Russland und der Türkei im Grenzgebiet zu Syrien ist die Lage wieder einmal noch komplizierter geworden. Auf der Friedenskonferenz für Syrien in Wien saßen vor zwei Wochen die einflussreichsten Mächte an einem Tisch und schon das gemeinsame Erscheinen von saudischen und iranischen Vertretern wurde als Fortschritt gefeiert. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ausländische Mächte im Syrienkrieg immer noch ihre jeweils ganz eigenen Interessen verfolgen. Ein Überblick.
Iran
Den Iran verbindet eine lange Partnerschaft mit dem syrischen Regime. Diese reicht zurück in die Zeit der Islamischen Revolution 1979. Damals brauchte die junge Islamische Republik neue Verbündete für eine schiitische Außenpolitik. Heute spricht man von der "schiitischen Achse", die so geschaffen wurde. Sie reicht vom Libanon mit der Hisbollah-Miliz über das alawitische Assad-Regime in Syrien bis nach Teheran und von dort weiter in die schiitischen Gruppen der kleinen Golfstaaten, insbesondere Bahrain, sowie in den Jemen.
Im Syrienkrieg mischt der Iran auf mehreren Ebenen mit: Die Regierung in Teheran unterstützt die in Damaskus mit viel Geld. Die syrische Armee hat in großen Mengen Waffen und Ausrüstung durch den Iran erhalten. Zudem kämpfen die sogenannten iranischen Revolutionsgarden an der Seite der assadschen Armee und haben großen Anteil an wichtigen Erfolgen. Mit Hisbollah-Kämpfern aus dem Libanon bevölkern weitere iranisch unterstützte Milizionäre die Schlachtfelder Syriens. Experten sind sich einig: Ohne diese schlagkräftige Hilfe wäre das Assad-Regime längst untergegangen.
Ohne den Iran kann es keine Friedenslösung für Syrien geben. Das bedeutet auch, dass es über die Zukunft des Assad-Regimes früher oder später einen Kompromiss wird geben müssen. Der Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) hat für den Iran nicht erste Priorität und ist nur insofern ein Thema, als die Terrormiliz eine radikal-sunnitische Gruppe ist, deren Unterstützer Feinde des Iran sind.
Russland
Lange hatte sich Russland aus dem Syrienkonflikt herausgehalten - jedenfalls vordergründig. Einfluss auf und Verbindungen mit dem Assad-Regime gab es jedoch schon zuvor. Eine simple, aber vielleicht nicht ganz falsche Einschätzung ist die, dass es dem russischen Präsidenten in Syrien schlicht um die Ausübung und Demonstration von Macht geht.
Die Interessen Russlands in Syrien decken sich mit denen Irans, wenn es darum geht, dass kein Interesse an einem Sturz Assads besteht. Die Erhaltung der schiitischen Achse an sich ist für Moskau hingegen nicht von Bedeutung. Gerade erst versicherten sich Irans Ajatollah Ali Chamenei und Russlands Präsident Wladimir Putin in Teheran ihrer gemeinsamen Ziele und stellten sich gemeinschaftlich hinter ihren Verbündeten Baschar al-Assad. Sie bezeichneten die Einflussnahme anderer Mächte als unzulässige Versuche von außen; stattdessen müsse das syrische Volk seine Zukunft selbst bestimmen. Russland ist es aber eher als dem Iran zuzutrauen, dass es Assad eines Tages doch fallenlässt.
Der Kampf gegen den IS ist zwar ein erklärtes Ziel der Russen, sie bombardieren jedoch in weitaus größerer Zahl Stellungen von Rebellengruppen, die den IS oder das syrische Regime bekämpfen. Seit der ägyptische IS-Ableger auf der Sinai-Halbinsel mutmaßlich ein mit Touristen vollbesetztes Linienflugzeug zum Absturz gebracht hat, dürfte Russland der Anti-IS-Kampf etwas wichtiger geworden sein. Wenn heute der französische Präsident François Hollande im Kreml vorstellig wird, um ein breiteres Anti-Terror-Bündnis zu werben, dürfte es weiterhin Uneinigkeit über den Umgang mit Assad geben.
Betrachtet man das Dreieck Moskau-Damaskus-Teheran, so gibt aber es noch eine Ebene: Das syrische Regime will durch die russische Hilfe etwas gegen sein eigenes Ausgeliefertsein gegenüber dem Iran tun. Für den Iran bedeutet das insofern eine Konkurrenz.
Türkei
Kurz zusammengefasst, könnte man sagen: Die Türkei ist gegen das Assad-Regime und gegen die Etablierung eines Kurdenstaates im Norden Syriens - und das bestimmt die Syrienpolitik der Türkei. Zum IS hat die Regierung in Ankara eine pragmatische Position. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Türkei dem Treiben an der Grenze zu Syrien - Ein- und Ausreisen von Dschihadisten und Waffenschmuggel etwa - zumindest wissentlich geschehen ließ. Auch wurden verwundete IS-Kämpfer in grenznahen türkischen Krankenhäusern behandelt. Wenn die Türkei auf syrischem oder irakischem Gebiet vermeintlich den IS angreift, sind es nicht selten kurdische Stellungen, insbesondere der verbotenen Arbeiterpartei PKK.
Die russische Intervention gefällt der Türkei überhaupt nicht. Der Vorfall mit dem abgeschossenen SU-24 ist daher von einiger Brisanz. In dem Gebiet, wo der Kampfjet abstürzte, kämpfen syrische Turkmenen gegen die Assad-Truppen. Die Türkei will die Turkmenen schützen, Russland bekämpft sie. Da halten es Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu lieber mit den anderen sunnitischen Mächten der Region: Es gibt Absprachen und Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien und mit Katar.
Saudi-Arabien und die kleinen Golfstaaten
Das Herrscherhaus in Riad setzt prinzipiell auf alle sunnitischen Kräfte, die gegen das Assad-Regime und gegen schiitischen Islamismus vorgehen. Das macht die Türkei zu einem logischen Partner für die Saudis. Doch die Wiege des strengen Wahhabismus, der saudischen Islamauslegung vom Range einer Staatsräson, engagiert sich in Syrien eher aus übergeordneten Gründen: Es geht um den Wettstreit mit dem Iran, der auf syrischem Boden mitentschieden wird. Daraus ergibt sich das Interesse, das Assad-Regime stürzen zu sehen und die schiitische Achse zu schwächen.
Die kleinen Golfstaaten - Katar, Bahrain, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate - ziehen zum Teil mit Saudi-Arabien mit. Es gibt aber auch Differenzen und in einzelnen Punkten haben die Kleinstaaten ihre eigene Agenda. So sind einige von ihnen durchaus froh, dass sie nach der Beilegung des Atomstreits mit dem Iran wieder Handel mit dem Nachbar am Persischen Golf treiben können.
Gegen die syrische Armee hat Saudi-Arabien diverse Rebellengruppen aufgerüstet und zu Zusammenschlüssen ermuntert. Eine der größten islamistischen Rebellenallianzen ist die Eroberungsarmee (Dschaisch al-Fatah). Die salafistische Rebellenformation "Ahrar asch-Scham" wurde von Saudi-Arabien, Kater und den Emiraten gemeinsam ausgerüstet. Die Unterstützung für dschihadistische Gruppen ist für das Königreich aber ein Drahtseilakt: Einerseits gibt es natürlich eine ideologische Nähe. Andererseits ist islamistischer Terror im eigenen Staatsgebiet ein großes Problem für das Herrscherhaus, das seinerseits von radikalen Islamisten als korrupt und bigott abgelehnt wird, zumal es nach wie vor ein Verbündeter der USA ist.
USA
Die Strategie der USA in Syrien ist von ambivalenten Interessen geprägt. Eines davon ist: Bloß nicht zu tief hineinziehen lassen. Wäre Präsident Barack Obama ehrlich, müsste er wahrscheinlich sagen, dass er einfach auch nicht weiß, wie Syrien befriedet werden kann.
Die USA haben durch ihren Einmarsch im Irak 2003 einigen Anteil an der jetzigen Situation. Aber sie ist ihrer Kontrolle entglitten, denn mittlerweile gibt es zu viele Akteure und zu undurchschaubare Interessen im arabisch-iranischen Geflecht. Da geht es drunter und drüber: Die USA sind der Türkei einerseits über die Nato verbunden, andererseits sind sie wenig begeistert vom türkischen Krieg gegen die Kurden, die die einzig erfolgreichen Gegner des IS sind. Die Beziehungen zu Saudi-Arabien sind nicht zuletzt wegen der gegenläufigen Interessen in Syrien deutlich abgekühlt.
Wollten die USA ursprünglich Baschar al-Assad auf jeden Fall stürzen, ist das jetzt nicht mehr so eindeutig. Das Interesse der USA in Syrien ist im Moment vor allem eines der Risikeneindämmung. Obama hat die Losung ausgegeben, den IS zunächst einzudämmen und dann zu vernichten. Seit Russland in Syrien Angriffe fliegt, ist für die Amerikaner zusätzlich ein Wettkampf um Einfluss entstanden. Vor den Wahlen im kommenden Jahr wird es aller Voraussicht nach kein größeres Engagement der USA geben - und schon gar keine Bodentruppen, die von Experten als unerlässlich in einem ernsthaften Kampf gegen den IS gesehen werden. Im Kampf gegen den IS führen die USA eine internationale Allianz, der auch arabische Staaten angehören.
Europa
Das ist nicht gerade friedensnobelpreisverdächtig: Erst mit der Flüchtlingskrise ist Europa aufgewacht und hat begriffen, dass der Syrienkrieg nicht ganz so weit weg ist wie gedacht. Die Terroranschläge von Paris rüttelten die Europäer vor knapp zwei Wochen endgültig auf. Frankreichs Präsident François Hollande will nun eine noch größere Anti-IS-Allianz schmieden und reist dazu in dieser Woche um die halbe Welt. Vor allem will er Russland mit ins Boot holen. Auch die USA wollte er zu größerem Engagement überreden. Dem Bündnis der USA gegen den IS von 2014 hatten sich mehrere europäische Staaten angeschlossen, darunter Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Polen und Dänemark. Nicht alle engagieren sich militärisch - so zum Beispiel Deutschland.
Vor den Europäern mischten bereits zu viele andere Parteien in Syrien mit (siehe oben). Für die EU-Staaten ist die Lösung des Konflikts aus finanziellen Gründen dringend: Milliarden fließen in die Versorgung von Flüchtlingen, die vor allem nach Deutschland zu Hunderttausenden gekommen sind. Der deutsche Entwicklunghilfeminister Gerd Müller fordert 10 Milliarden Euro Soforthilfe für die Flüchtlingslager in Syriens Nachbarstaaten. Doch nicht einmal innerhalb Europas mag man sich über die Verteilung und Statusfragen der Flüchtlinge einigen. Die EU bezahlt aus purer Hilflosigkeit hohe Summen an die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen.
Europa steckt angesichts der syrischen Katastrophe im Dilemma: Der eigene Anspruch, für Menschenrechte und Demokratie einzustehen, wird hier zu einer nahezu unlösbaren Herausforderung. Bei den Wiener Gesprächen müssen sie zusehen, wie unvereinbare Interessen von Saudis, Türken, Iranern und Russen aufeinanderprallen. Mit all diesen Parteien unterhalten europäische Staaten bilaterale Verbindungen, die durch die gegensätzlichen Interessen in Syrien in Frage gestellt werden.
Quelle: ntv.de