Politik

"Vier Milliarden für vier Minuten" Der Streit um Stuttgart 21

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Das Ziel: Ein Durchgangsbahnhof mit auffälligen Deckenlichtern.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das Bahnprojekt Stuttgart 21 ruft die Bürger auf die Barrikaden: Tausende demonstrieren gegen das Milliarden-Vorhaben und wollen den Bau noch verhindern. Was hinter Stuttgart 21 steckt und wieso das Projekt so umstritten ist – ein Überblick.

Was verbirgt sich hinter Stuttgart 21?

Der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs sowie der Ausbau der Bahnstrecke Stuttgart – Ulm. Die etwa 160 Jahre alte Trasse soll für moderne Hochgeschwindigkeitszüge modernisiert werden, damit diese vor allem schneller über die Schwäbische Alb fahren können. Damit soll die Reise von Mannheim nach Ulm beziehungsweise von Stuttgart nach München deutlich schneller gehen. Perspektivisch ist auch an die Einbindung ins europäische Streckennetz gedacht, das einmal Budapest – Paris verbinden könnte.

Bislang ist der Stuttgarter Bahnhof zudem ein Kopfbahnhof, der Züge bei ihrem Halt dort unnötige Zeit koste, meint die Bahn. Deshalb soll der Bahnhof modernisiert werden, um ihn attraktiver zu machen, Zeit beim Umsteigen zu sparen und das Durchfahren der Züge zu erleichtern.

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Der Start: Der Abriss der Seitenflügel des alten Bahnhofs hat bereits begonnen.

(Foto: dpa)

Dafür werden die Seitenflügel des alten, denkmalgeschützten Gebäudes abgerissen. Der Mittelteil des sogenannten Bonatzbaus soll aber erhalten und in den Neubau integriert werden. Dieser wird um 90 Grad gedreht, tiefer gelegt und in einen Durchgangsbahnhof verwandelt. Sogenannte Lichtaugen sollen dann die unterirdische Bahnhofshalle mit Licht versorgen. Zudem wird die Anzahl der Gleise auf acht verringert. Weil sie damit unter der Erde verschwinden und das neue Bahnhofsdach begehbar sein wird, verändert sich auch das Innenstadtbild von Stuttgart. Ein etwa 100 Hektar großes Gelände wird dadurch frei und kann neu bebaut werden.

Worum dreht sich der Streit bei Stuttgart 21?

Um die Kosten-Nutzenrechnung des Projekts. Während die Bahn, die Stadt und das Land die Vorteile durch die Modernisierung, Zeitersparnis und neuen Möglichkeiten für Stuttgart betonen, bezweifeln Kritiker die erhofften Effekte und monieren vor allem die enormen Kosten.

Was kostet Stuttgart 21?

Die Bahn gibt die Kosten derzeit mit 4,088 Milliarden Euro an. Davon bezahlt das Unternehmen selbst 1,469 Milliarden, der Bund übernimmt mit EU-Hilfe 1,229 Milliarden. Das Land Baden-Württemberg sagte bislang 823,8 Millionen zu, die Stadt Stuttgart 238,58 Millionen, der Flughafen 227,2 Millionen und der Verband Region Stuttgart 100 Millionen Euro.

Was sagen die Befürworter?

Zum einen führen sie die schnelleren und bequemeren Bahnverbindungen ins Feld. In Stuttgart soll sich zum Beispiel die Fahrt vom Bahnhof zum Flughafen von derzeit 27 auf 8 Minuten verkürzen. Oder die Strecke München – Stuttgart. Hier soll sich die Fahrtzeit um 40 Minuten verringern. Da die Gleise in der Stuttgarter Innenstadt zudem zu einem großen Teil unter der Erde verschwinden, sinken die Lärmbelastungen für die Anwohner. Die Stadt gewinne mit dem dadurch frei werdenden Areal zudem eine riesige nutzbare Fläche in der Innenstadt.

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Das Modell: Der neue Bahnhof wird das Stadtbild von Stuttgart völlig verändern.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Außerdem soll Stuttgart 21 wie ein kleines Konjunkturprogramm in Baden-Württemberg wirken. Die vielen Baumaßnahmen in den nächsten Jahren sollen allein 7000 Arbeitsplätze bringen. Auch mittel- und langfristig erhoffen sich die Planer wirtschaftlichen Nutzen. Die Bahn führt ein Gutachten der Universität Karlsruhe ins Feld, nach dem das Projekt dem Land Baden-Württemberg einen Zuwachs von 500 Millionen Euro pro Jahr bringen soll. Durch die verbesserte Anbindung sowie die Baumaßnahmen in Stuttgart sollen zudem 10.000 Arbeitsplätze dauerhaft entstehen.

Was sagen die Gegner?

Sie setzen bei den immensen Kosten für Stuttgart 21 an. Derzeit werden sie auf 4,1 Milliarden Euro geschätzt. Allerdings befinden sich Teile des Bauprojekts derzeit noch im Planfeststellungsverfahren, damit seien die Anforderungen und damit die Kosten noch nicht endgültig absehbar. Da die Schätzungen im Lauf der Planungszeit aber bereits mehrfach angepasst wurden, erwarten die Kritiker auch unabhängig davon einen weiteren Anstieg. So sollte das Projekt bei seiner Vorstellung 1994 noch 2,4 Milliarden Euro kosten, Anfang 2009 waren es 3,1 Milliarden – nun sind es über vier Milliarden. Der Bundesrechnungshof schätzte den Bedarf aber vor zwei Jahren bereits auf 5,3 Milliarden Euro. Gegner von Stuttgart 21 verweisen zudem auf ein Gutachten des Münchener Büros Vieregg-Rösler, das von 6,3 Milliarden Euro ausgeht.

Dabei ärgert es die Kritiker, dass ein Großteil des Geldes vom Steuerzahler kommen muss. Die Bahn übernimmt nicht einmal 50 Prozent der Kosten. Darüber hinaus sei das Geld in Zeiten von Rekordschulden und knapper Kassen falsch ausgegeben und fehle für andere, wichtigere Projekte. So werde etwa die Rheintal-Bahn, die Nordsee und Mittelmeer verbinden soll, auf die lange Bank geschoben. Um Geld zu sparen, haben die Gegner deshalb das Projekt "Kopfbahnhof 21" ins Leben gerufen. Sie treten für eine Modernisierung des alten Bahnhofs ein. Das könne ein Viertel bis ein Drittel der Kosten sparen und durch den Ausbau des Kopfbahnhofs trotzdem den Anforderungen an den Zugverkehr gerecht werden.

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Das Problem: Der Protest gegen den Bau wächst, viele Bürger fühlen sich übergangen.

(Foto: REUTERS)

Neben den Kosten bezweifeln die Gegner von Stuttgart auch die erhofften Effekte des Großprojekts. Die niedrigere Anzahl der Gleise sei etwa ein Nadelöhr in der neuen Streckenführung, die beim kleinsten Problem zu erheblichen Behinderungen führen könnte. Auch der Zeitgewinn wird angezweifelt: Auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke über Stuttgart zwischen Ulm und Mannheim betrage dieser nur etwa vier Minuten. "Vier Milliarden für vier Minuten", lästerte bereits der Grünen Oberbürgermeister Tübingens, Boris Palmer, in der "Zeit". Die Kritiker glauben auch nicht, dass die angesetzte Bauzeit von zehn Jahren reichen wird. Sie gehen eher von bis zu 15 Jahren für die "größte Baustelle Europas" aus.

"Gefährlicher Untergrund"

Für richtig großen Ärger sorgt allerdings die fehlende Aufklärung über das Projekt und dass die Bürger nicht in Entscheidungen eingebunden wurden. Zwar ist Stuttgart 21 von Kommunen, Land und Bund abgesegnet. Doch trotz des mehr als 15 Jahre dauernden Planungszeitraums fühlen sich viele Bürger nicht ausreichend beteiligt. Allerdings gab es durchaus Anhörungen zu einzelnen Bauabschnitten. Dem Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster wird aber vorgehalten, dass er 2004 einen Volksentscheid versprochen hatte, falls die Kosten weiter steigen würden. Obwohl genau das geschehen ist, blieb die Abstimmung aber aus.

Inzwischen hat auch einer der beiden Architekten, die den Bahnhof in den 90er Jahren entworfen haben, Bedenken gegen das Projekt. Anlass ist die tiefe Lage der Gleise. Frei Otto befürchtet, dass der Bahnhof eventuell überschwemmt werden könnte, oder dass er "wie ein U-Boot aus dem Meer" aufsteigen könnte. Denn die Erde unter Stuttgart ist voller Wasser und Quellen sowie Gipsschichten mit hohem Anhydridanteil. Kommt dieses Mineral mit Feuchtigkeit in Berührung, quillt es auf und verschiebt alles um sich herum, auch Tunnelröhren für Züge. Ein geologisches Gutachten von 2003 bestätigte Ottos Bedenken. Die von der Bahn in Auftrag gegebene Studie stufte den Untergrund als "gefährlich" ein, weil er von Senken und Hohlräumen durchzogen sei. Dieser "gefährliche" Untergrund könnte das Projekt erheblich verzögern und verteuern, wenn nicht gar zum Einsturz bringen.

Welche politischen Auswirkungen könnte Stuttgart 21 haben?

Ende März 2011 wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt. Weil vor allem die seit Jahrzehnten regierende CDU das Projekt vorantreibt, könnten Ministerpräsident Stefan Mappus und seine Partei einigen Schaden davon tragen. Sogar ein Machtverlust scheint nicht mehr ausgeschlossen. Das ist ein Grund, warum sich seine politischen Gegner besonders gegen Stuttgart 21 engagieren. In Umfragen gewinnen vor allem die Grünen als explizite Baugegner an Zustimmung.

Besonders schwer hat es auch der derzeitige Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster. Selbst in seiner Partei, der CDU, gilt Schusters Ende als ausgemacht. Bei einer Neuwahl in der Landeshauptstadt haben die Grünen gute Chancen, das neue Stadtoberhaupt zu stellen. Bei der Kommunalwahl im Juni 2009 lösten sie bereits die CDU als stärkste Kraft ab.

Quelle: ntv.de

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