Rassismusopfer kämpft um Glaubwürdigkeit Der Tiefschlag
19.04.2012, 18:38 Uhr
Ibraimo Alberto: "Ich weiß nicht, wie ich weiterleben soll, wenn der Täter nicht verurteilt wird."
(Foto: picture alliance / dpa)
Ibraimo Alberto war immer ein Kämpfer: als Bundesligaboxer, als Ausländerbeauftragter von Schwedt. Selbst als er aus Brandenburg flieht, weil er selbst Opfer von Rassismus wird, zeigt er Stärke. Doch jetzt droht die zähe Seele des 49-Jährigen zu zerbrechen. Bei einem Gerichtsverfahren gegen einen Rassisten steht nun auch seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.
Ibraimo Alberto weiß, was es heißt, über volle zwölf Runden zu gehen. Der gebürtige Mosambikaner war zeit seines Lebens Boxer. Doch am Kampf, den er nun ausfechten muss, droht er zu zerbrechen. Die Schläge die er hinnehmen muss, hinterlassen nicht nur Prellungen und Platzwunden, die Verletzungen gehen viel tiefer. Alberto kämpft dieser Tage nicht um einen Boxtitel. Er kämpft um sein Recht und seine Glaubwürdigkeit.
Schon elfmal stellte der 49-Jährige Strafanzeige, weil er in seiner früheren Heimatstadt Schwedt an der Oder (Brandenburg) rassistisch beleidigt oder angegriffen wurde. Es kam nie zur Anklage, die Täter blieben unbehelligt. Mit seiner letzten Anzeige aus seiner Zeit in Schwedt, der zwölften, hat er es nun immerhin als Nebenkläger bis in ein Verfahren am Amtsgericht Bernau geschafft. Der Prozess, sagt Alberto, sei seine letzte Hoffnung, mit seinem Schicksal in Schwedt abzuschließen.
Ein Paradebeispiel für gelungene Integration?
Alberto kam vor 31 Jahren nach Deutschland. In Schwedt machte er sich schnell als begabter Boxer einen Namen. Er kämpfte sich bis in die erste Bundesliga. Auf Konfrontation war er aber nur im Ring aus. Alberto lächelt viel, trägt knallig bunte Kleider. Er ließ sich zum Sozialarbeiter ausbilden und dank seiner Gabe, schnell Vertrauen bei Menschen zu wecken, durfte er den Posten des Ausländerbeauftragten Schwedts übernehmen – 21 Jahre lang. 2008 dann zeichnete ihn der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble für sein Engagement mit dem Preis "Botschafter für Demokratie und Toleranz" aus. Albertos Biografie klingt oberflächlich betrachtet wie ein Paradebeispiel für gelungene Integration. Sie klingt vielleicht nur so.
Laut Judith Porath von der Opferperspektive Brandenburg ist Alberto seit Jahren in Betreuung der Organisation. Nach Angaben Poraths musste er immer wieder rassistische Angriffe und Anfeindungen überstehen. Angefangen bei schrägen Blicken bis hin zu körperlichen Angriffen. Immer wieder ging er zur Polizei, beschwerte sich in der Stadtverwaltung. "Aber die Ermittlungsbehörden haben nie richtig recherchiert", sagt Porath. Darum, vermutet sie, stellten die Justiz die Ermittlungsverfahren besagte elfmal wieder ein.
Dass ihm niemand glaubte, wenn er über Angriffe auf ihn oder andere Zuwanderer in Schwedt berichtete, war für Alberto nach eigenen Angaben das Schlimmste. Nicht ernst genommen zu werden habe ihn immer wieder an die "Kolonialzeit in Mosambik" erinnert. Nur weil er es nicht anders kannte, habe er es überhaupt so lange in Schwedt ausgehalten, sagt er. Doch der Vorfall, der nun bis Mitte Mai in Bernau verhandelt wird, war selbst für den zähen Boxer einer zu viel.
Als Alberto vor einem guten Jahr ein Fußballspiel seines Sohnes in Schwedt besuchte, beleidigten Spieler der gegnerischen Mannschaft Bernau sein Kind und ihn. So schildert es zumindest Alberto. Von "Hurennegersohn" und "alter Sauneger" soll am Rande der A-Jugend-Partie die Rede gewesen sein. Der Angeklagte, ein heute 19-jähriger Gymnasiast, sagte laut Alberto auch: "Ich schlage dich tot." Mit diesem Vorfall war für Alberto die letzte Grenze überschritten. Er packte seine Koffer, floh mit seiner Familie nach Karlsruhe. Und er sprach erstmals mit Journalisten über sein Schicksal. Mit heftigen Folgen.
Ist Schwedt ein "braunes Nest"?
Ein Bericht über das "braune Nest" Schwedt folgte nach Albertos Offenbarungen dem anderen. Das Bild eines Kämpfers, der zum Opfer wurde war verführerisch. Darüber hinaus galt die Stadt in der Uckermark schon seit den frühen 90ern als Hort des Rechtsextremismus.
Als die Journalisten die Stadtverwaltung mit Fragen überhäuften, schienen viele Veranwortliche mehr um den Ruf der Stadt als um Albertos Schicksal besorgt zu sein. Ein Tiefschlag für Alberto. Der SPD-Bürgermeister, Jürgen Polzehl, sagte damals etwa: "Ich bedauere den Weggang Albertos sehr" und fügte hinzu, "aber es ist schade, dass ein Einzelner die Stadt jetzt so in Verruf bringt."
Was Polzehl wohl mit Verruf meinte, zeigt ein nüchterner Blick auf die Kriminalitätsstatistiken der Stadt. Extremismusexperten bewerten angesichts von niedrigen einstelligen Werten bei rechtsextremistischen Übergriffen Schwedt seit Jahren nicht mehr als Schwerpunkt. Doch für Alberto war es ein weiterer Schlag, dass die Behörden seine Klagen vor diesem Hintergrund nicht so ernst nahmen, wie er es sich wünschte. Denn ein nüchterner Fakt ist auch, dass es jenseits der Kriminalitätsstatistiken Rassismus in Schwedt gibt - so wie auch in vielen anderen Städten in Deutschland. Der Umgang damit ist indes verschieden.
Als etwa betrunkene Randalierer kurz nach dem Vorfall auf dem Fußballfeld einen deutsch-polnischen Jugendclub überfielen, eine polnische Flagge von der Wand rissen und die Angestellten aufforderten, sich "zurück nach Polen zu verpissen", sagte der Leiter des hiesigen Kriminalkommisariats für politisch motivierte Kriminalität, Klaus-Dieter Puhr, das dabei von Rassismus keine Rede sein könne. Der Sprachgebrauch der Jugend hätte sich schlicht geändert.
Ähnliche Antworten habe auch er immer wieder bekommen, sagte Alberto. "Keiner hat mich ernst genommen." Porath von der Opferperspektive übt darum auch heftige Kritik am Vorgehen der Ermittlungsbehörden in der Region. "Ich schätze Alberto als absolut glaubwürdig ein."
Alberto droht der Knockout
Kurz vor dem Prozessauftakt in Bernau sagte Alberto. "Ich will heute eine faire Lösung bekommen." Nach den ersten acht Verhandlungsstunden glaubte er kaum an Gerechtigkeit. In Runde zwölf seines Kampfes um sein Recht und seine Glaubwürdigkeit deutet alles darauf hin, dass er zu Boden gehen wird.
Der Angeklagte behauptet, Worte wie "Neger" seien bei dem Fußballspiel nie gefallen. Der Schiedsrichter der Partei sagte aus, er habe nicht genau mitbekommen, wer damals was sagte. Und fügte hinzu: "Ich halte mich aus solchen Sachen raus, wenn ich nicht betroffen bin."
Der Trainer des Bernauer Teams befragte nach eigenen Angaben seine Spieler nach der Partie. Vor Gericht sagte er dann: "Sie haben nichts geäußert, was diese Verhandlung heute rechtfertigen würde." Er selbst habe beim Spiel nur "Lapalien" mitbekommen, und er habe sich abgewöhnt, auf Kleinigkeiten zu reagieren."
Besonders schwer für Albertos Glaubwürdigkeit wiegt, dass ausgerechnet sein Sohn seine Aussagen nicht stützen kann. Er bekam nach eigenen Angaben nichts von den Angriffen mit. Denn als der Angeklagte ihn als "Hurennegersohn" bezeichnet und seinem Vater mit dem Tod bedroht haben soll, war er in der Umkleidekabine.
Nur ein Zeuge bestätigte Albertos Vorwürfe. Nach einem Dutzend von Nachfragen des Richters sagte der Spieler des Schwedter Fußballvereins, dass er gehört habe: "Neger, geh nach Hause."
Sollte Alberto mit seiner Klage scheitern, würde das Urteil wohl all die Stimmen in Schwedt stützen, die Alberto nachsagen, er würde viel zu sensibel reagieren und manchmal übertreiben.
"Ich weiß nicht, wie ich weiterleben soll, wenn der Täter nicht verurteilt wird", sagte Alberto am Rande des Prozesses. "Ich weiß nicht, wie ich dieses Gefühl, die Verletzungen, dann verarbeiten soll."
Nachdem Alberto in seiner neuen Heimat Karlsruhe sein Glück gefunden hat, trübt sich sein Bild von Brandenburg immer schwärzer. "Die wollen bloß nicht ihre Gesellschaft kaputtmachen", sagt er. Sie wollten das Image von Schwedt nicht zerstören. Dann sagt Alberto: "Und ich steh wieder alleine da als Schwarzer."
Quelle: ntv.de