Politik

"Wir holen uns unser Land zurück" Die AfD hat viele kleine Trumps

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Leif-Erik Holm lebt im Prenzlauer Berg und tritt in Mecklenburg-Vorpommern an.

(Foto: dpa)

Der Wahlkampf der AfD in Mecklenburg-Vorpommern erinnert an Donald Trump: Die Partei arbeitet mit Signalen, die eindeutig uneindeutig sind.

Wenn man sich die Zwei-Euro-Münze anschaut, auf der das Schweriner Schloss abgebildet ist, könnte man denken, dass ein Halbmond das Gebäude ziert. Vor diesem Schloss, in dem der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern seinen Sitz hat, steht jetzt AfD-Vize Alexander Gauland und sagt: "Wir wollen in diesem Land zu Hause sein, wir wollen nicht von fremden Menschen bevölkert werden!"

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Heimatgefühle vor historischer Kulisse: Die AfD beendet den Wahlkampf vor dem Schweriner Schloss.

(Foto: dpa)

Es ist die Abschlusskundgebung der AfD im Landtagswahlkampf von Mecklenburg-Vorpommern. "Ich will keine weiteren Minarette", sagt Gauland, "ich will keine weitere muslimische Einwanderung." Er beendet seine Rede mit dem Ausruf, jede Stimme für die AfD sei eine Stimme "zur Wiedergewinnung unseres deutschen Vaterlandes".

So ähnlich hatte am Anfang der Veranstaltung schon der Schweriner AfD-Kreisvorsitzende Thomas de Jesus Fernandes geklungen, Listenplatz zehn und damit so gut wie im Landtag. Am kommenden Sonntag "werden wir uns unser Land zurückholen, wir werden Politik für unsere Bürger machen", sagte er. Die Betonung liegt auf "unsere".

Das Schöne an solchen Sprüchen ist, dass jeder sie verstehen kann, wie er will. In den USA macht sich das auch der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump zunutze, auch er hat diesen Satz schon verwendet. Natürlich würde er niemals sagen, dass die Weißen es seien, die sich ihr Land zurückholen sollen, nachdem acht Jahre lang ein Schwarzer Präsident war. Aber er hat wohl auch nichts dagegen, wenn er von Menschen gewählt wird, die ihn so verstehen. Trump distanziert sich zwar immer von Rechtsradikalen und Nazis wie dem früheren Ku-Klux-Klan-Chef David Duke. Dennoch wird es schon einen Grund geben, warum Duke zur Wahl von Trump aufruft.

"Volk, steh auf"

So ähnlich ist das auch mit der AfD. Thomas de Jesus Fernandes sagt dann auch noch: "Hoch die Fahnen, Mecklenburg-Vorpommern steht auf!" Ist es Zufall, dass "Die Fahne hoch" die erste Zeile des nationalsozialistischen Horst-Wessel-Liedes ist? Ralph Weber, AfD-Direktkandidat im Wahlkreis Ostvorpommern II, sagte dem ZDF, derzeit finde in Deutschland eine "Umvolkung" statt. "Und ich sag dagegen: Volk, steh auf und wähle diese Politiker ab, bevor sie euch als Volk abwählen." Weber lehrt Jura an der Universität Rostock, er hat die Promotion des Sängers einer Nazi-Band betreut. Ist es Zufall, dass er einen Satz verwendet, der an die Sportpalastrede von Hitlers Propagandaminister Goebbels erinnert? Die endete bekanntlich mit den Worten: "Nun, Volk, steh auf, und Sturm, brich los!" (Man weiß, wie die Sache ausging.)

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AfD-Anhänger beim Wahlkampfabschluss der Partei in Mecklenburg-Vorpommern.

(Foto: dpa)

"Dog-whistle politics", Hundepfeifenpolitik, heißt diese Strategie in den USA. Wer zum Kreis der Eingeweihten gehört, versteht das Signal, die anderen sollen nichts merken. "Die AfD-Kandidaten jonglieren in ihren Äußerungen, mal radikaler, mal moderater. Das ist eine klare Strategie für Stimmenmaximierung", sagt der Rostocker Politikwissenschaftler Martin Koschkar.

Bei 21 bis 23 Prozent sehen die jüngsten Umfragen die AfD im Schweriner Landtag. Dass eine Protestpartei in einem Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern stark wird, sollte niemanden überraschen. Junge Menschen ziehen fort, ältere pendeln wochenweise zur Arbeit nach Westdeutschland oder in die Schweiz, die Arbeitslosenquote ist noch höher als im ostdeutschen Durchschnitt. Vor allem in Vorpommern gibt es Regionen, die völlig abgehängt sind.

Das alles gilt auch für Sachsen-Anhalt, wo die AfD im März 24,3 Prozent erreichte. Überraschend ist dennoch, dass die AfD in ihrem Wahlkampf über diese Probleme kaum spricht. Auch in Schwerin sagt Spitzenkandidat Leif-Erik Holm wieder, er sei in die Politik gegangen, "obwohl ich es eigentlich nie wollte". Als Grund nennt er nicht die wirtschaftliche Situation seines Heimatbundeslandes, sondern "Merkels inländerfeindliche Politik" und die "Einheitspartei", zu der er außer der AfD alle anderen Parteien zählt. Sein Wahlziel: stärkste Partei im Landtag werden. Komplett unrealistisch ist das nicht.

"Angst wegen Arbeitsplätzen hat die Bevölkerung nicht"

Ein Mann im Publikum weiß den Grund für den Erfolg der AfD. Auf die Frage, was das zentrale Thema im Wahlkampf sei, antwortet er: "Dass uns die Angst genommen wird." Er meint die Angst vor Kriminalität und sexuellen Übergriffen, wahrscheinlich denkt er auch an die "Umvolkung". Dieser Mann, der selbst Mitglied der AfD ist, trifft den Nagel auf den Kopf. Die AfD macht Angst und verspricht, die Angst zu nehmen. So bildet sie ein Bündnis aus abgehängter Unterschicht, den Abstieg fürchtender Mittelschicht und den unzufriedenen Gutbetuchten, die es in Mecklenburg-Vorpommern ja auch gibt.

"Angst wegen Arbeitsplätzen hat die Bevölkerung nicht", sagt der Mann noch. Tatsächlich zeigen die gängigen Indikatoren, dass es mit Mecklenburg-Vorpommern, wenn auch von niedrigem Niveau aus, aufwärts geht. Die Abwanderung ist zumindest im Durchschnitt des Landes gestoppt, die Zahl der Arbeitslosen sinkt, die Zahl der Stellen steigt. Doch mit ihren Erfolgsmeldungen dringen SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering und CDU-Spitzenkandidat Lorenz Caffier nicht durch. Zumal Caffier, Innenminister im Kabinett Sellering, den Eindruck vermittelt, als Juniorpartner ganz zufrieden zu sein.

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Leif-Erik Holm arbeitete früher für die Berliner AfD-Politikerin Beatrix von Storch.

(Foto: dpa)

Juniorpartner käme für die AfD nicht infrage. "Die AfD wird Regierungsverantwortung übernehmen, wenn wir die Mehrheit haben", sagt die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch n-tv.de. Sie ist ebenfalls nach Schwerin gekommen, um Holm im Wahlkampf zu unterstützen. Auf die Frage, ob sie eine alleinige Mehrheit der AfD meine, fügt sie hinzu: "Wir bewegen uns ja jetzt darauf hin. Ich denke, dass wir hier in Mecklenburg-Vorpommern die Opposition sein werden. Aber warten wir die Wahlen mal ab. Wir werden uns der Verantwortung stellen, die uns der Wähler aufträgt."

Geht man durch die historische Altstadt von Schwerin, fühlt man sich in dieser Mischung aus Klassizismus, Neorenaissance und Fachwerk fast wie in einer schwäbischen Kleinstadt. Man sieht Eltern mit Kindern, junge Leute, eine Reisegruppe aus Frankreich. Aber man sieht auch Armut. Vor einem Imbiss sitzt eine Frau, auf ihrem T-Shirt steht: "Gestern habe ich aufgehört, Bier zu trinken, heute feiere ich mein Comeback."

"Diese angeblich ostdeutsche Frau"

Auf dem Marktplatz von Schwerin, im Schatten des Doms, findet an diesem Abend ein Weinfest statt. Eine Coverband spielt den Song "Es geht mir gut". Er passt zur Stimmung, die hier herrscht. Trotzdem sitzen vermutlich auch hier Wähler, die aus einem Gefühl der Angst heraus AfD wählen. "Ich weiß wirklich nicht, wovor die Angst haben", sagt eine junge Frau am Rande des Platzes. Sie war heute nicht bei der Demonstration gegen die AfD dabei, hat aber auch schon gegen die Partei protestiert. "Ich habe Angst davor, dass die mit vielen Leuten in den Landtag einziehen."

Das Publikum vor dem Schweriner Schloss wirkt nicht so, als müsste man Angst vor ihm haben. An einem Auto, mit dem Wahlkampfmaterial herangefahren wurde, prangt ein Aufkleber des Kreuzritterordens - ein Symbol, das Islamfeinde gern verwenden. Auch so ein Pfiff mit der Hundepfeife. Auf die Frage, warum die AfD sich im Landtag nicht am sogenannten Schweriner Weg beteiligen wolle, der vorsieht, dass die demokratischen Fraktionen grundsätzlich gegen jeden Antrag der NPD stimmen, sagt Holm n-tv.de: "Wir lehnen diesen Schweriner Weg ab, weil es kein demokratischer Weg ist." Eine Zusammenarbeit mit der NPD werde es nicht geben. "Aber was Anträge angeht, da werden wir weiterhin unseren Standpunkt behalten, dass wir diese inhaltlich beurteilen, der Sache nach." Holm hätte auch sagen können: Die NPD wird ja voraussichtlich gar nicht in den Landtag kommen, sie wird dann in gar keinem Landtag mehr vertreten sein, was auch unser Verdienst ist. Er hat sich für ein anderes Signal entschieden.

In einem früheren Leben war Holm Moderator bei einem privaten Radiosender, man kennt ihn in Mecklenburg und Vorpommern. Später war er Büroleiter von Beatrix von Storch. Er stammt aus einem Dorf bei Schwerin, lebt aber im Berliner Nobelkiez Prenzlauer Berg. Da kann man sich ihn gut vorstellen - er ist kein aus der Zeit gefallener Reaktionär wie der westdeutsche Wahl-Brandenburger Gauland und kein völkischer Ideologe wie der hessische Thüringer Björn Höcke. Er sieht freundlich aus und hat eine angenehme Stimme. Wenn er fies wird, dann nur um die Ecke. Es wundere ihn nicht, dass man die SPD als "Scharia-Partei Deutschlands" bezeichne. Auffallend oft beruft er sich auf 1989. Der erwartete Erfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern ist in dieser Erzählung die Erfüllung der friedlichen Revolution.

Bei der AfD gibt es nicht einen Trump, sondern viele. Gauland ist einer von ihnen. Er sagt dem Publikum, es habe 1989 doch nicht die Demokratie erkämpft, "damit sie uns jetzt von dieser angeblich ostdeutschen Frau genommen wird". Er meint die in Hamburg geborene Angela Merkel, die als Baby mit ihren Eltern in die DDR umzog. Für Gauland ist sie auch hier die "Kanzler-Diktatorin", und natürlich zitiert er auch in Schwerin "meinen Freund Björn Höcke" mit den Worten, die AfD sei "die letzte evolutionäre Chance, Deutschland zu verändern". Immer wieder skandieren die Zuschauer "Merkel muss weg", obwohl es ein bisschen pflichtschuldig wirkt. Das kann aber daran liegen, dass das Publikum überschaubar geblieben ist.

Der Halbmond auf dem Schweriner Schloss ist übrigens kein Halbmond, sondern, wie man vor Ort leicht erkennt, der Erzengel Michael. Er gilt als Bezwinger des Bösen, darüber hinaus wisse man nicht genau, was es mit dem Symbol auf sich habe, sagte eine Mitarbeiterin des Schlossmuseums vor ein paar Jahren. Und das ist ja auch eigentlich ganz passend.

Quelle: ntv.de

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