Innere Unsicherheit Die Angst vor Terror ist paradox
10.04.2015, 10:39 Uhr
"Mental leicht verfügbar" - schon das Wort Terror reicht, und vorm inneren Auge erscheinen furchteinflößende Bilder.
(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)
Die Bundesregierung stutzt Bürgerrechte zusammen und gibt Milliarden aus, um sich selbst und die Gesellschaft mit unzähligen Anti-Terror-Maßnahmen zu beruhigen. Nüchtern betrachtet betreibt sie einen völlig unverhältnismäßigen Aufwand.
2015 könnte als das große Jahr der Anti-Terror-Maßnahmen in die Geschichte eingehen: Im Januar führte die Bundesregierung einen Sonderausweis für Islamisten ein. Im Februar machte sie sich daran, den Versuch einer Reise in Kriegsgebiete wie Syrien zum Straftatbestand zu erklären. Im März warb Innenminister Thomas de Maizière für eine neue Sondereinheit der Bundespolizei. Die Bundesländer statten ihr Personal mit besserer Ausrüstung aus. Das sind nur ein paar der Maßnahmen, und das Jahr ist noch lang.
Angesichts des Aufstiegs des "Islamischen Staates" (IS), angesichts von rund 200 Syrien-Rückkehrern und knapp 300 sogenannten Gefährdern in der Bundesrepublik ist die Wahrscheinlichkeit eines Anschlags tatsächlich so hoch wie nie. Spricht man mit einem Risikoforscher über den Kampf gegen den Terror und konzentriert man sich nur auf Zahlen und Fakten, keimen dennoch Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Gegenmaßnahmen auf.
Ortwin Renn von der Universität Stuttgart sagt, dass es in der Sicherheitspolitik immer wieder zu einer "ineffizienten Ausnutzung der Ressourcen" kommt. Anders ausgedrückt: Die Politik macht zu viel, sie schränkt in unnötigem Maße Bürgerrechte ein und es wird Geld verschwendet. Paradoxerweise stört das viele aber nicht.
Wenn es um den Kampf gegen den Terror geht, wirken besondere Mechanismen, die viel mit der menschlichen Psyche zu tun haben - und mit dem, was Renn als "Webfehler der plebiszitären Demokratie" bezeichnet.
Irrationale Angst
Schon eine einfache Rechnung zeigt: Bereits die Angst der Bürger vor Terror ist unverhältnismäßig. 60 Prozent der Deutschen fürchten, dass es demnächst einen Anschlag im Land geben wird, so das Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. 14 Prozent fürchten, dass sie im Falle eines Anschlags eines der Opfer sein würden, ergab eine Studie, die Renn im vergangenen Jahr veröffentlicht hat. Die Wahrscheinlichkeit in einem europäischen Staat Opfer eines Terroranschlags zu werden, liegt Renns Untersuchungen zufolge aber nur bei 0,002 Prozent.
In Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit sogar noch geringer. Wissenschaftliche Untersuchungen dazu gibt es nicht, was auch an den geringen Fallzahlen liegt. Nach Angaben des Innenministeriums kam es nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 in der Bundesrepublik zu zehn Anschlagsversuchen von Islamisten. Einer dieser Versuche gelang. Im März starben zwei US-Soldaten am Frankfurter Flughafen. Die Bilanz: zwei Tote in 14 Jahren.
Zum Vergleich: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sterben jedes Jahr zwischen zehn und vierzig Menschen an den Folgen eines Wespenstiches. Den Tod durch einen Wespenstich, der um ein vielfaches wahrscheinlicher ist als der Tod durch Terrorismus, fürchtet trotzdem kaum jemand. Und bisher ist auch noch kein Politiker auf die Idee gekommen, Millionen zu investieren, um Menschen vor Wespen zu schützen. "Wenn es um Terrorismus geht, gibt die Politik statistisch gesehen viel mehr Geld dafür aus, ein Menschenleben zu retten, als bei anderen Todesursachen", sagt Renn.
Es kann jeden treffen
Laut Renn gibt es drei Gründe für diese unverhältnismäßig große Angst. Der erste ist eine Veränderung des Terrorismus. Als die Rote Armee Fraktion (RAF) in den 1970er Jahren in Deutschland wütete, fühlten sich die Menschen noch sicher, weil sich die Angriffe auf Unternehmer und Politiker konzentrierten. "Wenn Islamisten wahllos Bomben in einen Zug schmeißen oder ein Selbstmordattentäter versucht, einfach möglichst viele Menschen zu treffen, erscheint die individuelle Bedrohung viel größer."
Der zweite Grund: Ein Terroranschlag lässt sich in der Fantasie eines Menschen leicht durchspielen. Das Wort "Terror" reicht, und sofort entstehen Bilder vorm inneren Auge. "Wenn etwas mental sehr gut verfügbar ist, wird es meist in der Wahrscheinlichkeit überschätzt", sagt Renn. Anders als bei einem Autounfall, den sich Menschen ohne Schwierigkeiten ebenfalls fantasievoll ausmalen können, fallen ihnen beim Terroranschlag aber nicht sofort etliche Fälle ein, in denen es zum Glück nur beim Blechschaden geblieben ist.
Drittens verstärken Medien durch ihre Berichterstattung das Gefahrenbewusstsein. In verschiedenen Studien ließ sich nachweisen, dass Menschen, die häufiger Medien konsumieren, die Welt für einen gefährlicheren Ort halten, als er es in Wirklichkeit ist. Gewalt, Leid und eben auch Terror kommen in der fiktionalen, aber auch der Nachrichtenberichterstattung, überproportional oft vor.
Politik - Gefangener und Nutznießer der Angst
Die Politik ist Gefangener dieser paradoxen Angst. Gibt ein Innenminister zu viel für die Gefahrenabwehr aus, rügt ihn vielleicht der Bundesrechnungshof. Mit größeren Konsequenzen muss er nicht rechnen. Gibt er zu wenig aus, und es kommt zur Katastrophe, ist seine Karriere zu Ende.
Für die Politik ist Angst aber auch Nährstoff. Kurz nach dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" in Frankreich sprachen sich in einer YouGov-Erhebung fast die Hälfte der Befragten dafür aus, die strengen Regeln für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu locken - allen furchtbaren historischen Erfahrungen zum Trotz. Kurzum: Mit harschen sicherheitspolitischen Maßnahmen lassen sich Wahlen gewinnen. Das hat sich längst über den Kreis rechtskonservativer Politiker hinaus herumgesprochen. Grenzen für weitere sicherheitspolitische Maßnahmen gibt es kaum, denn es gilt: Sicherer geht's immer. Die Frage, wie sicher dieses Land bereits ist, spielt in dieser Logik keine Rolle mehr.
Mehr Sicherheit geht oft mit weniger Freiheit einher - sei es nun bei der Freizügigkeit oder beim Datenschutz. Der Preis dieser Politik ist aber auch monetärer Natur. Wer nun behauptet: Geld dürfe keine Rolle spielen, wenn es um Menschenleben geht, führt zwar ein moralisches Totschlagargument an, verkennt aber, dass Geld auch beim Schutz von Menschenleben längst eine bestimmende Größe der Politik ist - zumindest, wenn das Thema nicht so emotional aufgeheizt ist wie der Terrorismus. Jahrelang vernachlässigte die Politik die Verkehrsinfrastruktur in dünn besiedelten Regionen. Verwaschene Fahrbahnmarkierungen, marode Brücken und Schlaglöcher waren die Folge. Allein im Jahr 2014 verloren fast 3400 Menschen ihr Leben auf der Straße.
Preis - unbekannt
Wenn es dagegen um Terrorismus geht, ist nicht einmal bekannt, wie viele Milliarden seit dem Anschlag auf das World Trade Center in die Abwehr geflossen sind. Aus dem Innenministerium heißt es: "Eine entsprechende Auflistung existiert nicht und kann in dieser Allgemeinheit auch nicht erstellt werden, schon weil die Aufgaben der Terrorismusbekämpfung sowohl im Zuständigkeitsbereich der Länder als auch in der des Bundes liegen. Außerdem lassen sich regelmäßig bestimmte Kosten nicht ohne weiteres einer bestimmten Aufgabe, einem bestimmten Phänomen zuordnen." Das mag stimmen. Problematisch ist es trotzdem, denn der Blick für das große Bild geht verloren.
Renn fordert mehr "Augenmaß" bei der Einführung neuer Anti-Terrormaßnahmen und, ohne die Symbolik solcher Maßnahmen völlig außer Acht zu lassen, vor allem "nüchterne Berechnungen". "Es wäre gut, wenn Politiker ihre Ideen öfter durchrechnen, bevor sie damit in die Öffentlichkeit drängen." Und damit meint er nicht, die bloßen Kosten einer neuen Maßnahme abzuschätzen, was bei neuen Gesetzen ja passiert. Er meint auch eine Rechnung, die Aufwand und Nutzen ins Verhältnis setzt. Gerade bei vielen der jüngsten Anti-Terrormaßnamen ist der Nutzen umstritten.
Das Dilemma: Selbst bei einer bewussten und nüchternen Betrachtung der tatsächlichen Risiken lässt sich laut Renn eine gewisse Irrationalität kaum vermeiden. "Terrorismus ist eben etwas Unheimliches", sagt der Risikoforscher. "Da spielen Dinge eine große Rolle, die durch eine rein kognitive Beurteilung kaum zu fassen sind." Am Ende, so sagt er, bleibt wie bei der Flugangst auch dann eine Diskrepanz zwischen Angst und echter Gefahr, wenn alle Statistiken bekannt sind.
Quelle: ntv.de