Politik

Putin gegen Pussy Riot "Die Frauen waren stolz und unbeugsam"

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Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch im Gerichtssaal.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Der Schuldspruch gegen drei Frauen der Punkband Pussy Riot sorgt hierzulande für Empörung. Bei der Urteilsverkündigung in Moskau ist Marieluise Beck als Beobachterin dabei. Die Grüne sieht im Gerichtssaal "das alte, verkrustete, autoritäre Russland und das offene, moderne, lebendige, hoffnungsvolle Russland" einander gegenüberstehen.

n-tv.de: Sie waren als Beobachterin bei der Urteilsverkündung im Gerichtssaal und sind nun aus Moskau zurück in Deutschland. Welche bleibenden Eindrücke haben Sie von diesem Tag mitgenommen?

Marieluise Beck: Im Gericht wurden friedliche Aktivistinnen wie Schwerverbrecher behandelt. Die Frauen wurden in Handschellen in den Gerichtssaal geführt und in einen Glaskäfig gesperrt, der mit Eisenstreben verstärkt war. Davor standen Uniformierte, einige mit furchterregenden Hunden. Es war, als würde hier ein versuchter Staatsstreich verhandelt, als würden Terroristen vor Gericht stehen. Dabei geht es hier um drei junge Menschen, die ihre politischen Grundrechte wahrgenommen haben.

Zwei Jahre Haft für einen schrillen Protest in der Moskauer Erlöserkathedrale. Was haben Sie gedacht, als Sie dieses Urteil hörten?

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Die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck.

(Foto: www.marieluisebeck.de)

Mich hat das Urteil nicht überrascht. Es liegt ganz auf der Linie von Präsident Wladimir Putin - einem ehemaligen Geheimdienstmann mit dem Motto: Kontrolle und Bestrafung der Widerspenstigen.

Was für einen Eindruck haben die drei Frauen auf Sie gemacht?

Diese Frauen wirkten überaus stolz und unbeugsam. Damit waren sie an sich schon eine Provokation für das System. Sie waren bei der Urteilsverkündung absolut gefasst. Ich glaube aber trotzdem, dass ihnen die ganze Dimension des Urteils erst nach und nach bewusst werden wird.

Und wie wirkte die Richterin auf Sie?

Sie ist eine Frau, deren Äußeres von der Natur nicht besonders freundlich bedacht worden ist. Zugleich hat sie sich als Vollstreckerin in den Dienst der Putinschen Macht gestellt. Das ist in seiner Bildhaftigkeit das genaue Gegenteil zu diesen schönen, wachen jungen Frauen. Damit standen sich auch symbolhaft das alte, verkrustete, autoritäre Russland und das offene, moderne, lebendige, hoffnungsvolle Russland gegenüber.

Was sagen Prozess und Urteil über Russland aus?

Der Widerstand gegen Putin nimmt zu. Der Kreml setzt deshalb auf die staatstragenden und autoritären Strukturen der russisch-orthodoxen Kirche. Das vertieft die Spaltung der Gesellschaft - in westlich orientierte Russen auf der einen Seite und Nationalismus und Orthodoxie auf der anderen Seite.

Die Reaktion der deutschen Politik auf das Urteil fällt einmütig aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht von einem "unverhältnismäßig harten Urteil". Auch Außenminister Guido Westerwelle kritisiert den Schuldspruch. Wird es über die Entrüstung hinaus Konsequenzen geben?

Ich bin der festen Überzeugung, dass es eine Neuausrichtung der Politik gegenüber Russland geben muss - sowohl von der Bundesregierung als auch von der Europäischen Union. Deutschland hat lange Jahre von einer "strategischen Partnerschaft" gesprochen und das nun in eine "Modernisierungspartnerschaft" umgemünzt. Ich sehe in Putin keinen Partner für Modernisierung.

Ist es nicht an der Zeit, Putin mit spürbaren Konsequenzen zu konfrontieren?

Bleiben wir doch realistisch. Die Einflussmöglichkeiten von außen auf solch eine innere Entwicklung sind begrenzt. Was wir zuallererst brauchen, ist eine klare Sprache. Es ist unerträglich, wenn in der Politik aufgrund einer gewissen Ohnmacht die Ereignisse in Russland schöngeredet werden.

Ich halte zugleich nichts davon, in Denkmuster aus dem Kalten Krieg zurückzufallen. Stattdessen gibt es ein wirksames Mittel, das die Zivilgesellschaft Russlands auf der Stelle stärken würde: Das ist die Visa-Liberalisierung. Wir müssen, wenn wir es ernst meinen mit der Solidarität mit der russischen Zivilgesellschaft, das freie Reisen in die EU ermöglichen.

Bislang ist es für Russen aufwändig und teuer, ein Visum zu bekommen. Es gibt hohe bürokratische Hürden, die es vor allem Studenten erschweren, in die EU zu kommen. Das muss sich ändern. Denn nichts ist wichtiger, als die Attraktivität von offenen Gesellschaften erfahrbar zu machen. Das wird Putin auf lange Sicht große Schwierigkeiten bereiten.

Im Oktober findet der Petersburger Dialog statt. Das Forum hat das Ziel, die Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften Russlands und Deutschlands zu fördern. Dabei gibt dieses Jahr auch einen Runden Tisch zum Thema "Wutbürger und demokratische Institutionen: Erfahrungen aus Stuttgart und Moskau". Das klingt angesichts der Ereignisse in der russischen Hauptstadt ein wenig nach Realsatire …

Ich betrachte den Petersburger Dialog, bei dem ich Mitglied bin, schon lange kritisch. Er ist viel zu sehr in eine institutionalisierte Schönwetterpolitik mit dem Kreml mutiert. Dieser Dialog kann nicht mehr so weitermachen wie bisher.

Mit Marieluise Beck sprach Jan Gänger

Quelle: ntv.de

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