Merkel und Obama Die Lässigkeit der Mächtigen
20.06.2013, 14:12 Uhr
Scherzen ist erlaubt, wenn Angela Merkel und Barack Obama sich treffen.
(Foto: AP)
Der Obama-Besuch bringt zwei Politikstile zusammen, die nicht unterschiedlicher sein könnten: Merkels kleine Schritte treffen auf Obamas große Geste. Journalisten und Wähler lieben beides – weil beides so echt wirkt.
Das muss sich ein Politiker erst einmal trauen: Bei der Pressekonferenz im Bundeskanzleramt wird Barack Obama zum Thema Syrien befragt, und der macht erst einmal einen Witz. "Ich bin von deinen Deutschkenntnissen beeindruckt, Jeff", sagt er zu dem mitgereisten Journalisten, der seine Frage auf Englisch und auf Deutsch gestellt hatte. Und dann: "Die Kanzlerin sagt, dein Deutsch sei nur okay." Und dann grinst er sein berühmtes Grinsen, bei dem er die Augen zusammenkneift und man alle Zähne sieht. Die Journalisten lachen und freuen sich über die Auflockerung des steifen Termins.
Der mächtigste Mann der Welt hat eine neue Lässigkeit in die Politik gebracht. Er lässt sich beim Basketball fotografieren, faustet mit einer Putzkraft im Weißen Haus ab, bestellt seinen Hamburger selbst und postet zum Vatertag Bilder mit seinen Töchtern auf Facebook. Die Botschaft: "Ich bin der Präsident, aber ich bin einer von euch."
Viel zu inszenieren gibt es bei Merkel nicht
Angela Merkel ist keine Frau, die ihr Privatleben inszeniert. Ein Foto von der Kanzlerin beim Sport? Undenkbar. Als vor einigen Wochen Paparazzi-Bilder von ihrem Urlaub veröffentlich wurden, war die Kanzlerin nicht erfreut. Sie gehört zu den wenigen Regierungschefs großer Länder, die sich nicht auf Twitter inszenieren. Ihr Facebook-Account ist nachrichtlich, der Text "Angela Merkel privat" auf ihrer Homepage hat nur drei knappe Absätze. Auf die Frage "Waren Sie überhaupt einmal jung?", antwortete sie 1994 mal: "Bei mir war das irgendwie anders. Auf Feten war ich unheimlich traurig, dass ich mich nicht in die Musik reinsteigern konnte. Ich war immer das Mädchen, das Erdnüsse isst und nicht tanzt." Viel zu inszenieren, so scheint es, gibt es bei Merkel nicht.
Doch gerade weil Merkel ihr Privatleben nicht als politisches Kapital versteht, wirkt es so sympathisch, wenn sie lachen muss oder selbst einen Witz macht. Einen solchen Moment gibt es auch bei besagter Pressekonferenz: Eine Journalistin stellt mehrere Fragen auf einmal und Obama kommt etwas durcheinander. Merkel versucht, zu helfen: "Über Drohnen sollte ich sprechen und über Guantanamo du." Sofort merkt sie, dass sie selbst verwirrt ist und die Hälfte vergessen hat. Sie schiebt ein "… glaube ich" hinterher, zieht die Schultern hoch, schaut von ihrem Gast weg und grinst die Journalisten an. Ups! Die versammelten Reporter können gar nicht anders, als mit ihr über den kleinen Fauxpas zu lachen.
So ähnlich sich beide im entspannten Umgang mit ihrer Macht sind, so unterschiedlich betreiben sie Politik. Auch das zeigt sich im Kanzleramt. Auf die gleiche Frage – es geht um die Eurokrise – antworten beide sehr unterschiedlich: Merkel geht ins Detail und spricht von Haushaltskonsolidierung, Wettbewerbsfähigkeit, Bürokratieabbau und Strompreisen. Obama wird erst einmal grundsätzlich: "Wir wollen alle das Gleiche: eine wachsende Wirtschaft, in der Menschen, die bereit sind, hart zu arbeiten, eine Chance erhalten."
Obamas Gesten sind eine willkommene Abwechslung
Obama will sich unvergessen machen. Er will in der Rückschau nicht irgendein Präsident unter vielen gewesen sein oder nur wegen seiner Hautfarbe in Erinnerung bleiben. Vor dem Brandenburger Tor sagt er: "Ich bin nach Berlin gekommen, um zu sagen, dass Selbstgefälligkeit nicht zum Wesen großer Nationen gehört." Und dann: "Auch wir müssen Geschichte schreiben."
Merkel ist dagegen die Kanzlerin der kleinen Schritte. Die große Herausforderung der Euro-Krise versucht sie nicht, mit einem einzelnen Kraftakt zu lösen, sondern mit Maßnahmen, deren Auswirkungen sie noch halbwegs abschätzen kann. Ihre ruhige Hand hat sie zuerst zur CDU-Vorsitzenden und dann zur beliebten Kanzlerin gemacht. Wer sie mit großen Schritten überholen wollte, besiegte sich letztlich selbst: Zuerst Minister wie Karl-Theodor zu Guttenberg und Norbert Röttgen, später Staatschefs wie Nicolas Sarkozy und Silvio Berlusconi.
Die Deutschen lieben Merkel und Obama wegen ihres Stils, nicht wegen ihrer Politik. Sie verzeihen Obama, dass er bei seiner Mission ständig stolpert, und Merkel, dass ihre Schritte keine Mission erkennen lassen. Obamas große Gesten sind für die Deutschen dabei eine wohltuende Abwechslung. Sie feiern ihn wie einen Popstar. Doch bei der Wahl freuen sie sich darüber, die verlässliche, wenn auch etwas langweilige Merkel wählen zu können.
Quelle: ntv.de