Demo vor dem Bundestag "Die Polizisten haben einfach zugeschlagen"
22.06.2015, 10:14 Uhr
"Die Polizei war überfordert", sagt der Journalist Sofian Philip Naceur über die Demonstration vor dem Reichstagsgebäude.
(Foto: picture alliance / dpa)
Tausende protestieren vor dem Bundestag mit Särgen gegen die Flüchtlingspolitik der EU. Der Journalist Sofian Phillip Naceur erzählt im Interview, wie die Demonstration plötzlich eskalierte - und wie er von Polizisten sogar tätlich angegriffen wurde.
n-tv.de: Teilnehmer des vom "Zentrum für politische Schönheit" organisierten "Marsches der Entschlossenen" haben die Grünfläche vorm Bundestag gestürmt. Einige haben angefangen, symbolische Gräber auszuheben. Wie hat die Polizei reagiert?
Sofian Philip Naceur: Die Polizei war völlig unterbesetzt. Zu Beginn sind deshalb kleine Polizei-Grüppchen in die Menschenmenge eingedrungen. Sie haben offenbar nach Leuten Ausschau gehalten, die weitere Gräber buddeln wollen. Haben sie jemanden in flagranti erwischt, sind sie hinterhergelaufen. Die anderen Demonstranten haben den Beamten allerdings den Weg versperrt. So ist immer wieder eine Front entstanden - Polizisten auf der einen, Demonstranten auf der anderen Seite. Kleinere Rangeleien waren die Folge.
Wo waren Sie?

Das "Zentrum für politische Schönheit" organisierte die Protestaktion vor dem Bundestag.
(Foto: imago/Future Image)
Ich habe mich diesen Situationen immer wieder genähert oder stand genau an der Front und habe auf einen Moment gewartet, in dem ich ein Foto machen kann.
Dann hat es Sie erwischt …
Ja. Einer der Polizisten hat mich direkt angeguckt, hat ausgeholt und mir mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Ich konnte mich nicht einmal schützen, weil ich in der einen Hand die Kamera und in der anderen Hand den Presseausweis hielt.
Einfach so. Sie haben keinen Anlass gegeben?
Ich war zwischen Polizisten und Demonstranten eingezwängt und habe meine Kamera hochgehalten, um Bilder zu machen. Das ist sicherlich kein Anlass, um wahllos Menschen ins Gesicht zu schlagen.
Waren Sie verletzt?
Meine Brille flog durch die Luft, ich habe nichts mehr sehen können. Zum Glück hat einer der Demonstranten die Brille aufgehoben und mir wiedergegeben. Das Ganze ist mir ein paar Minuten später aber nochmal passiert. Mir hat wieder ein Polizist ins Gesicht geschlagen. Dieses Mal war es ein Volltreffer, ich habe gemerkt, dass meine Nase anfängt zu bluten.
Sie waren nicht der Einzige, dem das passiert ist...
Nein, ich habe mehrmals gesehen, dass Polizisten Demonstranten geschlagen haben.
Wie erklären Sie sich die Reaktion der Polizei?
Die waren einfach überfordert. Es waren anfangs wie gesagt viel zu wenige Polizisten da. Weitere Mannschaftswagen kamen erst später.
Sie sprechen von Überforderung. Die kleinen Polizei-Trupps wurden allerdings auch mehrmals eingekesselt. Einige Demonstranten riefen "Haut ab!", obwohl das offensichtlich nicht möglich war. Spielte womöglich auch Angst eine Rolle?
Es gab auf der Demonstration ein paar Leute, die nach Schwarzer Block aussahen. Aber immer, wenn sich Demonstranten und Polizisten direkt gegenüberstanden, waren die Demonstranten friedlich. Es gab kleinere Rangeleien, bis die Stimmung bei den Demonstranten langsam zu kippen drohte. Als Polizist hat man aber eine entsprechende Ausbildung hinter sich, das muss man erkennen.
Es gab Auflagen für die Demonstration. Das Betreten der Grünfläche vor dem Bundestag war nicht vorgesehen. Demonstranten haben Zäune, die schon seit Wochen dort stehen und den Rasen vorm Betreten schützen sollen, niedergedrückt.
Es ist ja nichts Neues, dass bei Demonstrationen Auflagen missachtet werden. Darauf muss die Polizei gefasst sein. Und das Entscheidende ist doch, dass die Stimmung auf der Wiese bis zum Auftauchen der kleinen Polizei-Trupps völlig friedlich war. Es ging den Leuten darum, Gräber auszuheben und sich vor dem Bundestag zu zeigen. Gewalt war da einfach nicht angebracht.
Erwägen Sie rechtliche Schritte gegen die Beamten, die Sie geschlagen haben?
Ich werde Strafanzeige gegen Unbekannt stellen. Mehr ist leider nicht möglich, weil die Polizisten ihre Erkennungsnummern in Berlin nur auf dem Rücken tragen. Und da sich die Beamten gegenseitig abgeschirmt haben, konnte ich die Männer nicht identifizieren.
Der Großteil der Demonstration verlief vollkommen friedlich. Gewalt war die Ausnahme. Unabhängig von Ihren schlechten Erfahrungen mit der Polizei: Wie haben Sie den "Marsch der Entschlossenen" erlebt?
Ich habe nicht mit so vielen Teilnehmern gerechnet. Die Aktion war erfolgreich. Auch die Mischung des Publikums war überraschend. Es war nicht die typische linke Kreuzberger-Neuköllner Szene. Der Protest war deutlich bürgerlicher, als ich es erwartet hätte.
Mit Sofian Philip Naceur sprach Issio Ehrich
Quelle: ntv.de