Waffenruhe in Syrien? Die Welt muss auf Putin und Assad setzen
26.02.2016, 12:55 Uhr
Ein Bild aus dem Jahr 2012: Anhänger des syrischen Regimes unterstützen Russlands Rolle in dem Konflikt. Doch verbessert hat sich die Lage im Land seither nicht. Im Gegenteil.
(Foto: AP)
Um 23 Uhr Mitteleuropäischer Zeit ist es vielleicht soweit. Nach fünf Jahren des Bürgerkriegs sollen in Syrien die Waffen schweigen. Aber nur die Rebellengruppen stehen unter Druck, sich wirklich an die Abmachung zu halten.
Gibt es nach fünf Jahren des Bürgerkriegs, nach dem Tod Hunderttausender Menschen endlich wieder Grund zur Hoffnung? Hat die geplante Waffenruhe in Syrien Aussicht auf Erfolg? Zumindest in der Theorie sieht die Vereinbarung nicht schlecht aus.
- In der Nacht zu Samstag sollen alle Konfliktparteien das Feuer einstellen - mit einigen Ausnahmen. Weiterhin angegriffen werden dürften der sogenannte Islamische Staat (IS), der syrische Al-Kaida-Ableger Nusra-Front und andere vom UN-Sicherheitsrat als Terrorgruppen eingestufte Organisationen.
- Der Syrien-Gesandte der Vereinten Nationen Staffan di Mistura will schon wenige Stunden vor Eintritt der Waffenruhe bekanntgeben, wann die unterbrochenen Friedensgespräche, an der die wichtigsten Konfliktparteien teilnehmen, in Genf fortgesetzt werden sollen. Angepeilt wird der 7. März. Das berichtet zumindest die Nachrichtenagentur Reuters und beruft sich auf Insider aus dem russischen Außenministerium.
- Die Friedensgespräche ebnen wiederum den Weg, den mittelfristigen Plan des UN-Sicherheitsrats von Dezember weiterzuverfolgen. Damals einigten sich die fünf Vetomächte (USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China) darauf, bis zum Sommer eine syrische Übergangsregierung zu etablieren, Syrien eine neue Verfassung zu geben und im Sommer 2017 freie Wahlen zu ermöglichen.
Neben den USA und Russland, die das Konzept der Waffenruhe ausgehandelt haben, stimmten das syrische Regime, die wichtigste Oppositionsgruppe HNC, die kurdischen Kämpfer der YPG/YPJ und mehrere Rebellenfraktionen zu.
Praktisch krankt das Abkommen aber vor allem an einem Punkt: All jene, die sich einen Frieden in Syrien herbeisehnen, müssen sich auf den guten Willen des russischen Präsidenten Wladimir Putins und seines syrischen Schützlings Baschar al Assad verlassen.
Rebellen würden bei Verstößen nur ihr Ende besiegeln
Natürlich könnte auch eine Rebellengruppe - die Gesinnung einiger ist durchaus fragwürdig - die Waffenruhe brechen. Doch ihnen dürfte bewusst sein, dass sie damit ihr eigenes Ende besiegeln würden. Der Westen würde seine ohnehin schon leidliche Unterstützung weiter zurückfahren. Und auch das Königreich Saudi-Arabien, das als Finanzier einiger der sunnitisch-islamischen Kräfte gilt, könnte seine Unterstützung kaum noch rechtfertigen. Auf sich gestellt können die Milizen den blutigen Bürgerkrieg zwar noch in die Länge ziehen, eine Wende zugunsten der Opposition ist angesichts der russischen Feuerkraft, auf die Assad sich verlassen kann, aber unwahrscheinlich.
Moskau hat bei den Verhandlungen über die Waffenruhe dagegen sichergestellt, dass für die russischen und syrischen Regimekräfte Verstöße gegen den Geist der Waffenruhe möglich bleiben, ohne die Vereinbarung an sich zu brechen.
Es wird im Zweifelsfall sehr schwer, die zulässigen militärischen Ziele im Einklang mit der Waffenruhe klar zu bestimmen. Putin und Assad werden sich immer darauf zurückziehen können, dass ihre Angriffe der Nusra-Front und ihren Verbündeten gelten.
Die Rebellengruppen in Syrien reichen von moderat bis zu religiös fundamentalistisch. Ihre Einflusssphären liegen aber sehr nah beisammen, wechseln immer wieder. Gleiches gilt für die Allianzen, die sie schließen, um gegen das Regime zu kämpfen. Angesichts der heftigen Bombardements russischer Jets sind in den vergangenen Wochen wieder neue Zusammenschlüsse entstanden. Selbst einige der Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA), die vom Westen unterstützt werden, stecken Berichten zufolge in Bündnissen, an denen sich auch die Nusra-Front und die, wenn überhaupt, nur geringfügig moderatere Gruppe Ahrar al-Scham beteiligen.
Eine unabhängige Institution, die bei der Unterscheidung der zulässigen militärischen Ziele für Klarheit sorgt, ist in der Vereinbarung nicht wirklich vorgesehen. Militärs aus Moskau und Washington sollen im Dialog eine Arbeitsgruppe führen und festlegen, wer angegriffen werden darf und wer nicht. Ob dieses Zusammenspiel wirklich funktioniert, wird sich zeigen müssen, wenn Streit über mögliche Verstöße der Waffenruhe aufkommt. Bisher stuften Moskau und Damaskus alle Rebellengruppen äußerst undifferenziert als Terroristen ein - und bombardierten sie großflächig.
Assad Plan B heißt Pseudolegitimität
Fraglich ist auch der Friedensprozess, selbst wenn die Waffenruhe tatsächlich hält. In den vergangenen Tagen bekräftigte Machthaber Assad noch einmal, bald Parlamentswahlen abzuhalten. Der geplante Termin: der 13. April.
Selbst wenn die Friedensgespräche in Genf erfolgreich verlaufen sollten, ist es mehr als fraglich, ob es gelingen kann, in so kurzer Zeit die Voraussetzungen für eine freie Abstimmung zu schaffen. Geradezu illusorisch wirkt, bis dahin eine neue Verfassung zu etablieren, die der Lage in Syrien gerecht wird. Und so entsteht ein besorgniserregender Eindruck von Assads Strategie: Er setzt darauf, die Schlacht diplomatisch für sich zu entscheiden, sollte es mit einer militärischen Lösung nicht funktionieren - indem er sich mit einem absurden Mandat durch eine hastige Parlamentswahl Pseudolegitimität verschafft.
Der letzte Versuch einer Waffenruhe in Syrien - er wurde auf der Münchener Sicherheitskonferenz ausgehandelt - stimmt nicht optimistisch. Es kam zu keinem nennenswerten Rückgang der Gewalt, nicht alle Orte, die laut der Vereinbarung Hilfslieferungen bekommen sollten, bekamen sie, und das nächste Treffen der Syrienkontaktgruppe in Genf musste verschoben werden. Viel Hoffnung gibt es also nicht. Aber es existiert derzeit offensichtlich auch keine Alternative dazu, auf friedfertige Absichten Putins und Assads zu setzen.
Quelle: ntv.de