Politik

Piratenpartei stellt sich vor Die drei Fragezeichen

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Andreas Baum, Marina Weisband, Sebastian Nerz (v.l.n.r.).

(Foto: dpa)

Alle Welt spricht über den Euro, nur die Piraten haben dazu keinen Beschluss. Immerhin verrät ihr Bundesvorsitzender Nerz, dass er eine eigene Meinung dazu hat. Die jedoch behält er für sich. Auch über Koalitionen will er eigentlich nichts sagen. Dann sagt er doch etwas: "Ja."

Politsprech können sie auch, es klingt nur deutlich anders. "Wir haben kein Programm anzubieten, sondern ein Betriebssystem", sagt die Bundesgeschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband. Der Satz zieht sich durch den gut einstündigen Auftritt der Piratenpartei vor der Bundespressekonferenz in Berlin.

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Parteichef Nerz trägt Hemd und Anzug - und das Piraten-Logo am Revers.

(Foto: REUTERS)

Es geht um "bundespolitische Vorstellungen der Piratenpartei", so der Titel der Veranstaltung. Erst am Morgen ist eine neue Umfrage veröffentlicht worden, die die Piratenpartei auf Bundesebene bei 8 Prozent sieht. Ist Deutschland auf dem Weg zum Sechs-Parteien-System? "Vielleicht bleibt es ja bei fünf Parteien", sagt Piraten-Chef Sebastian Nerz trocken. Die Journalisten lachen. Die FDP liegt derzeit bei 3 Prozent.

Die Umfragewerte seien "kein Eintagshype mehr, das ist der Einstieg in eine grundlegende politische Veränderung", sagt Nerz. Er sieht die Piraten als sozialliberale Grundrechtspartei. "Wir sind keine Netzpartei", betont der Parteichef. Das klassische Links-Rechts-Schema hält er für "historisch überkommen". Sozialpolitisch seien die Piraten eher links, ihre Bürgerrechtspolitik sei "mittig". An die CDU/CSU der 1980er Jahre erinnern Weisbands Ausführungen über die Frauen in der Piratenpartei, die keine Quote bräuchten - wenn man von ihren flankierenden Bemerkungen über "Geschlecht" als Kategorie einmal absieht.

Form und Stil

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Marina Weisband ist politische Geschäftsführerin der Piraten - und eine von wenigen Frauen in der Partei.

(Foto: dapd)

Den Piraten - zumindest jenen, die dort auf dem Podium sitzen - geht es vor allem um die Form, um Mitbestimmung, Teilhabe, Transparenz, weniger um Inhalte. "Wir wollen den Stil der Politik ganz grundlegend verändern", sagt Nerz. Der Mensch solle durch Zugang zu Informationen in die Lage versetzt werden, Verantwortung zu übernehmen. Bildung sei ein zentraler Punkt, es sei die "Grundvoraussetzung für die Wissensgesellschaft, die wir schaffen wollen", sagt Weisband.

Bis dahin müssen einige Fragen beantwortet werden. Wie kann Datenschutz im Internet gegen die Interessen der Wirtschaft durchgesetzt werden? "Wir haben noch keine konkrete Lösung, wie sich das Problem lösen lässt, weil es ein sehr komplexes Problem ist", sagt Nerz. Wollen die Piraten das Urheberrecht abschaffen? Nein, sie wollen es grundlegend reformieren, sagt er und spricht über Kindergärten, denen die Gema das Singen traditioneller Lieder unmöglich gemacht habe. Konkreter wird er nicht.

"Es gibt Diskussionen"

Afghanistan, Libyen, die Euro-Rettung? Er habe dazu eine persönliche Meinung, das immerhin verrät Nerz. Da es noch keine Position der Partei dazu gebe, will er sie jedoch nicht verraten. Sozialpolitik? Es gebe Diskussionen, aber noch keine Modelle. "Wir bieten keine leeren Versprechungen", sagt Weisband, "sondern fundierte Lösungen." Nerz zeigt sich zuversichtlich, dass diese Lösungen bis zur Bundestagswahl 2013 vorliegen werden. "Wie viele dieser Themen wir bis 2013 abschließen, kann ich derzeit noch nicht sagen." Am Ende fragt ein Journalist mit leicht genervtem Unterton, ob die Partei sich für ein Grundrecht auf Schulden einsetze, ob die Schulden ins Internet verschoben werden sollen. Nerz bleibt bei seinem Standardsatz. "Wir haben dazu noch keine Lösung", es werde viel diskutiert, aber es gebe noch keinen Beschluss.

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"Wir haben dazu noch keine Lösung": Piraten vor der Bundespressekonferenz.

(Foto: REUTERS)

Auch über Koalitionen - vielleicht mit Rot-Grün, denen der Erfolg der Piratenpartei in den Umfragen die Mehrheit weggenommen hat - will Nerz eigentlich nichts sagen. Dies sei eine Frage, "die sich aktuell nicht stellt", sagt er im feinsten Politiker-Jargon. Aber kann er sich vorstellen, nach der Wahl in Koalitionsverhandlungen zu gehen? "Ja", sagt Nerz.

Schneller als die FDP

Er und Weisband wirken wie halbwegs normale Berufspolitiker, denen lediglich die Orientierung fehlt, die üblicherweise von Grundsatzprogrammen ausgeht. Der Berliner Fraktionsvorsitzende Andreas Baum dagegen demonstriert ein Stück der Coolness, die einer der Gründe für den Wahlerfolg der Berliner Piraten war. Gefragt nach dem Unterschied zwischen seiner Partei und dem sozialliberalen Flügel der FDP sagt er: "Das grundlegende Verständnis, wie das Netz funktioniert, die Beteiligung vieler." In der Zeit, die verstrichen sei, bis in der FDP genügend Unterschriften für einen Mitgliederentscheid gesammelt wurden, hätten die Berliner Piraten zahllose Entscheidungen gefällt - allesamt über ihre Meinungsbildungssoftware Liquid Feedback.

Die Piraten haben aus der Not fehlender Beschlüsse eine Tugend gemacht. Als ein Journalist schließlich wissen will, wie sich die drei nach einer Stunde Fragerei "angesichts der vielen offenen Baustellen" fühlen, gibt Nerz die Frage einfach zurück: "Wie fühlt man sich, wenn man von einem Politiker die Antwort hört 'Dazu kann ich nichts sagen'?" Der Kollege lacht: Das passiere hier öfter.

Quelle: ntv.de

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