Merkel erklärt Ukraine-Strategie Donbass soll fallen wie die DDR
07.02.2015, 13:46 Uhr
Merkel skizzierte bei der Münchner Sicherheitskonferenz ihre Idee vom überlegenen demokratischen System, das nur einen langen Atem beweisen müsse.
(Foto: AP)
Wenn die US-Amerikaner Waffen in die Ukraine liefern, wird das zu mehr Opfern führen, sagt die Kanzlerin. Sie klingt dabei fast wie Joschka Fischer 2003. Und sie lässt einen seltenen Einblick in ihre Motive zu.
Wenn Journalisten nach einer Erklärung für den Erfolg Angela Merkels suchen, dann landen sie oft bei Merkels Jugend in der DDR. Gerade weil sie als junge Frau nicht in einem demokratischen System lebte, lernte sie die Spielregeln dieser Systeme nach der Wende besonders gut. Gerade weil sie beide Seiten kennt, glaubt sie an die Überlegenheit der Demokratie.
In einem seltenen Moment der Offenheit hat Merkel dieses Erklärmuster auf der Münchner Sicherheitskonferenz ausgebreitet und als Begründung für ihr Handeln in der Ukraine-Krise herangezogen. Ihr Auftritt zeigt, wie sie in dieser Sache weiter vorgehen möchte, und warum sie sich von der Kritik der Amerikaner dabei nicht beeindrucken lassen wird.
Dabei enthält ihre zwanzigminütige Rede zunächst wenig Unerwartetes. Russland müsse jetzt seinen Beitrag für die Umsetzung des Minsker Abkommens leisten. Merkel befindet sich mitten in einem diplomatischen Prozess. Am Sonntag ist das nächste Gespräch angesetzt. Sie will jetzt weder neue Schärfe einbringen, noch in ihrer Position nachgeben.
Es kann Jahrzehnte dauern
Doch Merkel hält nicht nur eine Rede, sie lässt auch Fragen zu. Dabei kommen US-amerikanische Senatoren zu Wort, die wenig Verständnis dafür haben, dass Merkel sich so deutlich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausspricht. Die USA hätten sich mit diesen Lieferungen vor allem wegen des deutschen Widerstandes zurückgehalten, sagt ein Abgeordneter. Warum wolle Merkel den Ukrainern nicht helfen, sich zu verteidigen? Ein anderer Senator fragt: Wenn militärische Optionen von vornherein ausgeschlossen werden, welchen Anreiz sollte Putin dann haben, seine Politik zu ändern? Die Einwürfe sind scharf, sie beinhalten den Vorwurf, wegen Merkels Politik würden in der Ukraine unnötigerweise Menschen sterben.
Aber Merkels Antwort hat es in sich: Sie erinnert an den Kalten Krieg, den sie auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs erlebte. Damals habe auch niemand geglaubt, dass man den DDR-Bürgern mit Waffengewalt zu einem Leben in Freiheit verhelfen könne. Merkel vergleicht die abtrünnigen Gebiete in der Ostukraine mit der DDR.
Die USA seien nicht in den Krieg gezogen, als die Mauer gebaut wurde. Stattdessen hätten sie einen langen Atem bewiesen. "Dass die USA die Stange hielten, hat dazu geführt, dass ich heute hier sitze", sagt Merkel. Im Westen haben viele den Eindruck, die Ukraine-Krise müsse schnell gelöst werden. Merkel hält ihre Erfahrung dagegen, dass demokratische Systeme langfristig überlegen sind. So, wie die DDR irgendwann zusammenbrach, weil neben ihr die demokratische BRD florierte, soll es auch den Volksrepubliken in der Ostukraine ergehen. Das kann Jahrzehnte dauern. Hardliner kritisieren, die Sanktionen gegen Russland hätten noch keinen Effekt gehabt. Dabei gebe es sie noch nicht einmal seit 12 Monaten, sagt Merkel: "Ich bin überrascht, wie schnell wir verzagt sind."
Kann man Ukraine-Krise und Kalten Krieg vergleichen?
Der vermeintlich schnellen Variante zur Befriedung der Ukraine steht sie skeptisch gegenüber: "Ich glaube einfach, dass militärisches Engagement zu mehr Opfern führen wird, aber nicht dazu, dass Putin besiegt wird", sagt sie und erinnert dabei fast an Joschka Fischer, der 2003 im Vorfeld des Irakkrieges an gleicher Stelle den Amerikanern sein "I am not convinced!" entgegenschleuderte und eine Beteiligung Deutschlands an diesem Krieg ablehnte. Wie Recht er damit hatte, zeigt sich gerade jetzt im Norden des Landes, der von der brutalen Terrororganisation IS beherrscht wird. Merkel stand damals auf der Seite der kriegswilligen Amerikaner – die folgenden Jahre waren ihr eine Lehre.
Aber ist Merkels Haltung auch jetzt richtig? Verlaufen der Kalte Krieg und die Ukraine-Krise so parallel, wie sie es darstellt? Es gibt gravierende Unterschiede: Der Kalte Krieg war ein stabiles System, das auf der Abschreckung durch Atomwaffen beruhte. Die Ukraine-Krise und ihre Begleiterscheinungen sind aber alles andere als stabile Systeme: Die Ostgrenze der Ukraine ist nichts mehr wert, Russland verwischt bewusst die Grenze zwischen Soldaten und lokalen Kämpfern, und auch die Grenze zwischen dem besetzten Donbass und dem Rest der Ukraine hat keinen klaren Verlauf. Es wird eben keine Mauer gebaut, wie es in der DDR der Fall war. Alles, was wie eine Mauer verlässliche Fakten schaffen könnte, wird eingerissen. Der Begriff dafür, er fällt auf dieser Sicherheitskonferenz in München sehr häufig: "hybride Kriegsführung".
Auch darauf hat Merkel, zumindest indirekt, eine Antwort. Der Westen habe doch gerade alle Hände voll damit zu tun, auf den nicht-militärischen Teil der hybriden Kriegsführung zu reagieren, also auf Propaganda, Cyberangriffe und das Schüren von Unruhen. "Wir müssen uns überhaupt erst einmal bewusst machen, was da abläuft", sagt Merkel, aber vielleicht seien die USA da ja auch schon weiter? Insgesamt aber, daran lässt Merkel keinen Zweifel, ist sie der Überzeugung, dass die Demokratie mit ihren freien Medien und ihren inneren Widersprüchen nicht nur stärker ist als kommunistische Diktaturen, sondern dass sie auch das beste Mittel gegen entgrenzte Kriege ist. Hoffentlich hat sie Recht.
Quelle: ntv.de