Rechtsradikale übernehmen Klitschkos Opposition Ein Pakt mit dem Teufel
22.01.2014, 15:19 Uhr
Molotow-Cocktails und Steine: Mit friedlichen Protesten haben die Swoboda-Anhänger wenig am Hut.
(Foto: REUTERS)
Seit bald zwei Monaten demonstriert die Opposition gemeinsam gegen die Regierung von Präsident Janukowitsch. Die rechtsradikale Swoboda-Partei wird dabei immer einflussreicher - und hält wenig von friedlichen Protesten.
Es muss ein produktives Treffen gewesen sein, das Holger Apfel und Mychajlo Holowko im Mai 2013 mit einem Erinnerungsfoto vor dem sächsischen Landtag beschließen: Der damalige NPD-Fraktionsvorsitzende grinst glücklich in die Kamera, während sein ukrainischer Kollege von der Swoboda-Partei wohlwollend auf den Betrachter herabblickt. Die beiden Rechtsradikalen sind nic ht nur auf dem Bild im kameradschaftlichen Gruß vereint, auch auf politischer Ebene wollen sie die politische Zusammenarbeit "auf allen Ebenen intensivieren." Holger Apfel sieht gute Voraussetzungen, "die Zusammenarbeit zwischen Nationaldemokraten und ‚Swoboda‘ im Hinblick auf unser gemeinsames Bestreben nach einem Europa der Vaterländer als Gegenmodell zur EU-Diktatur weiter auszubauen."
Ein Dreivierteljahr später ist Holger Apfel mit Burnout aus der Politik ausgeschieden, während Holowkas Swoboda seit Wochen an der Seite von Vitali Klitschko und dem Rest der ukrainischen Opposition gegen die Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch protestiert. Es ist eine paradoxe Situation, in der die prowestliche Opposition gemeinsame Sache mit erklärten Feinden der "EU-Diktatur" macht - doch bei den Parlamentswahlen 2010 holte Swoboda 10,4 Prozent und bei den Demonstrationen auf dem Kiewer Maidan sind die Mitglieder der Partei stets ganz vorne mit dabei. "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" scheint deshalb der Grundsatz der vereinigten Opposition zu lauten. Es ist ein Pakt mit dem Teufel, den Klitschko und seine Mitstreiter geschlossen haben - und bei dem sie vergessen haben, das Kleingedruckte zu lesen.
Auffangbecken für alle Desillusionierten
Denn Klitschko verliert mit jedem weiteren Tag, der ergebnislos verstreicht, die Menge auf dem Maidan ein Stückchen mehr. Das Auffangbecken für alle Desillusionierten, denen Klitschko nicht radikal genug gegen Janukowitsch vorgeht, heißt Swoboda, zu deutsch: Freiheit. Die Gründe für den massiven Zustrom sind im Kern dieselben kampferprobten Mittel, die vor mehr als 80 Jahren den Siegeszug der NSDAP in Deutschland vorbereiteten: Ein klares Feindbild, pseudopatriotische Parolen, eine streng hierarchische Struktur nach dem Führerprinzip und ein wortgewaltiger Demagoge an der Spitze - Oleg Tjagnibok.
Der studierte Mediziner hat die Kunst der Agitation perfektioniert. Wenn er die ukrainische Regierung als "Gangster, Diebe und Tiere" bezeichnet und im nächsten Satz die "echten Ukrainer" zum "heroischen Kampf gegen das Regime" auffordert, sind die Massen wie elektrisiert. Dass er bereits 2004 vor der "Moskauer Juden-Mafia, die die Ukraine regiert" ausgespuckt hat und das Parteiprogramm so antise mitisch und rassistisch daherkommt, dass die EU schon im Dezember 2012 vor Swoboda warnte: geschenkt. Was für die meisten Demonstranten auf dem Maidan stattdessen zählt, ist das Gemeinschaftsgefühl, das ihnen Swoboda im Gegensatz zu Klitschkos Udar-Partei und Julia Timoschenkos Vaterlands-Partei bietet - und die Entschlossenheit, mit der die Freiheits-Partei Janukowitsch vom Thron stürzen will.
Da verwundert es auch nicht, dass sich die Auseinandersetzung in der ukrainischen Hauptstadt in den vergangenen Tagen so drastisch radikalisierte. Mit Gasmasken vermummte Aktivisten warfen Brandsätze und Steine und lieferten sich blutige Straßenschlachten mit der Polizei. Das Resultat waren ausgebrannte Autos und Busse und weit über 200 Verletzte. Das Innenministerium verhängte daraufhin ein verschärftes Demonstrationsrecht. Dazu zählen längere Haftstrafen für die Blockade und Besetzung von Regierungsgebäuden sowie Geldstrafen für Demonstranten, die sich mit Gesichtsmasken vermummen oder Helme tragen. Bei Gefahr für Leib und Leben, wie es offiziell heißt, dürfen die Polizisten seitdem auch ihre Waffen benutzen.
Alle Zutaten für einen handfesten Bürgerkrieg angerührt
Nach dem Tod von drei Demonstranten in der Nacht auf Mittwoch, zwei von ihnen erschossen, einer auf der Flucht vor der Polizei tödlich gestürzt, sieht das nun nach Mord mit Ansage aus. Aber so klar wie auf den ersten Blick ist die Situation nicht, beide Seiten schieben sich gegenseitig die Schuld zu: "Heute schießt die Regierung als Antwort auf die Forderungen der Menschen auf das eigene Volk", teilte Klitschko in einer Erklärung mit, während Ministerpräsident Nikolai Asarow den Schwarzen Peter weiterschiebt. "Die Anschuldigungen gegen die Vertreter der Sicherheitskräfte entbehren jeder Grundlage, da sie keine Schusswaffen einsetzen."
Ob die Morde überhaupt zweifelsfrei aufgeklärt werden, darf stark bezweifelt werden - dürfte für den weiteren Verlauf der Proteste aber ohnehin keine Rolle spielen. Wichtig ist für beide Seiten nur, dass der Konflikt ein neues Level erreicht hat; eines, von dem vor allem Swoboda profitieren dürfte. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird die Antwort der Rechtsradikalen nicht lange auf sich warten lassen - wie sie ausfällt, ist indes noch unklar. Fest steht nur, dass im Kiewer Hexenkessel mittlerweile alle Zutaten für eine Eskalation der Lage angerührt sind.
Wie verheerend so eine Eskalation wäre, skizziert die "Ukrainische Assoziation der Waffenbesitzer" in einem dramatischen Appell: "Allein in der Hauptstadt sind 400.000 Schusswaffen in den Händen der Menschen, und das sind nur die registrierten", sagte der Aufsichtsratsvorsitzende Georgi Utschaikin. "Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass wir nach dem ersten Schuss nicht mehr zurück können."
Quelle: ntv.de