Assanges Anwältin im Interview "Er bleibt wohl im Gefängnis"
23.02.2020, 12:32 Uhr
In den USA drohen Assange 175 Jahre Gefängnis.
(Foto: imago images/ZUMA Press)
Wird Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA ausgeliefert? Am Montag beginnt in London das Gerichtsverfahren, das über diese Frage entscheiden soll. Assange ist in den USA wegen der Veröffentlichung von Geheimdokumenten, bei denen es unter anderem um US-Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak geht, auch unter dem US-Spionagegesetz angeklagt und muss sich in 18 Anklagepunkten dem Gericht stellen. Seine Anwältin redet im Interview mit ntv über den Prozess und sagt: "Natürlich machen wir uns große Sorgen um seine Gesundheit."
ntv: Wie genau wird das Verfahren ablaufen, was sind die nächsten Schritte im Prozess?
Jennifer Robinson: Am Montag werden wir das Auslieferungsverfahren eröffnen. Unser Verteidigungsteam wird Gelegenheit haben, auf die Anklage der Vereinigten Staaten zu antworten, und es wird eine Woche lang rechtliche Auseinandersetzungen geben. Später, im Mai, wird es mehrere Wochen lang Anhörungen geben, bei denen Zeugenaussagen angehört werden, sodass wir noch einen recht langen Prozess vor uns haben. Und das noch, bevor wir in das Berufungsverfahren eintreten.
Generell sollen die Verhandlungen bis zum 12. Juni angesetzt sein. Können wir dann schon ein endgültiges Urteil erwarten oder könnte sich der Prozess jahrelang ziehen?
Es ist wahrscheinlich, dass das Urteil des Amtsgerichts erst einige Zeit nach dem Abschluss der Verhandlung kommen wird. Und dann gibt es natürlich ein Berufungsverfahren. Typischerweise kann ein derart komplexes US-Auslieferungsersuchen bis zu drei Jahre in Anspruch nehmen und durch mehrere Gerichte wandern, sodass dies erst der Anfang eines langen Prozesses ist. Und das, nachdem wir fast zehn Jahre nur darüber spekulieren konnten, was die Vereinigten Staaten eigentlich unternehmen wollen.
Julian Assange wurde ja im Mai 2019 zu 50 Wochen Gefängnis verurteilt, weil er die Kautionsauflagen verletzte hatte, als er im Juni 2012 in die ecuadorianische Botschaft hier in London geflüchtet ist, um nicht an Schweden ausgeliefert zu werden. Da drohte ihm ja ein Prozess wegen Vergewaltigungsvorwürfen. Nun wird das Auslieferungsverfahren mit den USA ja länger dauern - muss er, bis das Verfahren beendet ist, also weiterhin im Gefängnis bleiben?
Julian hat seine Strafe im September letzten Jahres abgesessen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die britischen Behörden haben sich bisher geweigert, ihn auf Kaution zu entlassen, und wir werden die Situation weiter beobachten. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass der Richter ihn in nächster Zeit auf Kaution entlässt, sodass er vermutlich auf absehbare Zeit im Gefängnis bleiben wird.
Nun wird das ein sehr kompliziertes Verfahren werden. Wie sicher sind Sie, dass Sie diesen Prozess gewinnen können und Julian Assange nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird?
Natürlich hoffen wir, dass das Auslieferungsverfahren nicht erfolgreich sein wird. Wir haben ein ausgezeichnetes, auf Auslieferungsverfahren spezialisiertes Team, das sich in der Vergangenheit bereits erfolgreich gegen US-Auslieferungen behauptet hat. Allerdings ist dies ein sehr schwieriger und komplexer Fall, und deshalb müssen wir abwarten, was passiert.
Weltweit kritisieren viele eine mögliche Auslieferung. In Deutschland hat zum Beispiel der Journalist Günter Wallraff eine Petition für Assanges Freilassung gestartet, die 130 Politiker, Kunstschaffende und Journalisten unterstützt und mehr als 31.000 Menschen unterschrieben haben. Bekommt Assange das mit?
Er bekommt Briefe, Notizen und Nachrichten ins Gefängnis geschickt, und ich versuche, ihm einige Bilder mitzubringen, manchmal auch von den Protesten, die in der ganzen Welt stattfinden. Das hilft ihm wirklich. Er ist sehr dankbar für die zunehmende Unterstützung, die wir auf der ganzen Welt sehen. Und es macht für ihn einfach einen großen Unterschied, wenn er sieht, dass Menschen zu den Protesten kommen.
Dann gibt es jetzt auch eine Gruppe von 120 Ärzten und Psychologen, die ein Ende "der psychologischen Folter und medizinischen Vernachlässigung" von Julian Assange fordern. Sie sagen, dass sogar sein Leben in Gefahr sei, und wenn er in seiner Zelle im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh sterben sollte, er "effektiv zu Tode gefoltert worden" wäre. Kann dieses Argument Ihnen helfen, um ihn auf Kaution freizubekommen?
Das bleibt abzuwarten. Natürlich machen wir uns große Sorgen um seine Gesundheit, sowohl wegen der vielen Jahre, die er in der Botschaft in Isolation ohne Zugang zu medizinischer Versorgung verbracht hat, als auch wegen der Umstände seiner Inhaftierung jetzt hier im Hochsicherheitsgefängnis. Seine Gesundheit wird ein Thema in dem Verfahren sein, so dass ich noch nicht darüber sprechen kann. Aber Sie werden dann nächste Woche sehen, wie dies vor Gericht präsentiert wird.
Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, sagt, die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Julian Assange in Schweden seien konstruiert gewesen. Seinen Angaben zufolge hat es nach den Aussagen der betroffenen Frau "nie eine Vergewaltigung gegeben". Sind das auch Ihre Informationen?
Es ist wichtig zu erwähnen, dass der schwedische Fall im vergangenen Jahr zum dritten Mal endgültig eingestellt wurde. Das einzige Auslieferungsersuchen, das für Julian Assange vorliegt, ist das der USA, wo ihm bis zu 175 Jahre Gefängnis drohen. Hier geht es um seine Veröffentlichungen in den Jahren 2010 und 2011, für die er weltweit mit zahlreichen Journalistenpreisen ausgezeichnet worden ist. Natürlich war er viele Jahre lang mit dem Prozess in Schweden beschäftigt - weswegen er ja in der Botschaft bleiben musste - aber dieser Prozess ist vorbei. Wir können uns jetzt darauf konzentrieren, worum es in diesem Fall eigentlich immer ging: nämlich um die Vereinigten Staaten.
Jetzt läuft in Spanien auch noch ein Verfahren, in dem Julian Assange Undercover Global, die Firma, die während seiner Zeit in der ecuadorianischen Botschaft für die Sicherheit dort zuständig war, verklagt. Sie soll Treffen zwischen ihm und seinen Anwälten überwacht und dem US-Auslandsgeheimdienst CIA Audio- und Videoaufnahmen davon übermittelt haben. Wie geht es da weiter?
Das Verfahren, das Herr Assange in Spanien gegen das spanische Unternehmen führt, ist noch nicht abgeschlossen. Was wir im Moment von einem Informanten wissen, der sich bei uns gemeldet hat, ist, dass unsere juristischen und medizinischen Besprechungen von der Sicherheitsfirma in der Botschaft aufgezeichnet und an die Vereinigten Staaten übergeben wurden. Dies ist eine schwerwiegende Verletzung unseres Anrechts auf Vertraulichkeit und seines Anrechts auf eine Verteidigung. Die Tatsache, dass wir ausspioniert wurden, während wir seine Verteidigung vorbereitet haben, wird auf jeden Fall Teil der Beweise dieser Auslieferungsanhörungen sein und ist eine Angelegenheit, die für Anwälte auf der ganzen Welt von großer Bedeutung ist.
Mit Jennifer Robinson sprach Katharina Delling
Quelle: ntv.de