Politik

Überwachungsgesetz im Parlament So trickst die Koalition die Öffentlichkeit aus

Kanzlerin Merkel von der CDU und Außenminister Gabriel von der SPD ein paar Stunden vor der Abstimmung im Bundestag.

Kanzlerin Merkel von der CDU und Außenminister Gabriel von der SPD ein paar Stunden vor der Abstimmung im Bundestag.

(Foto: AP)

Erst kurz vor der Abstimmung im Bundestag beginnt die Debatte über ein weitreichendes Überwachungsgesetz der Koalition. Der Grund: Die Bundesregierung hat alles daran gesetzt, die heikle Novelle zu verstecken.

So richtig kam die Berichterstattung erst am Montag in Gang. "Bundestag beschließt diese Woche das krasseste Überwachungsgesetz der Legislaturperiode", titelte das Portal Netzpolitik.org. Doch dann schwoll die Empörung mit jedem Tag an. Im Berliner "Tagesspiegel" hieß es: "Wenn der Staat zum Hacker wird". In einem Kommentar in der "Süddeutschen Zeitung": "Was heute im Bundestag geschieht, ist so dreist, dass einem die Spucke wegbleibt."

Es ist ein erstaunlicher Vorgang: Fast wäre eine der einschneidendsten Novellen der Überwachungsgesetze fast unbemerkt im Bundestag gelandet. Und das nicht, weil das journalistische Berlin gedanklich schon in der Sommerpause stecken würde, sondern weil Union und SPD offensichtlich versucht haben, die Reform zu verstecken.

Worum geht es genau? Der Bundestag wird an diesem Nachmittag aller Voraussicht nach ein Gesetz verabschieden, das die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung erheblich ausweitet.

Die Installation von Schadsoftware über Sicherheitslücken in Smartphones oder Computern ermöglicht es Sicherheitsbehörden mit diesen Mitteln zum Beispiel, die Kommunikation in Messenger-Diensten wie WhatsApp mitzulesen oder den kompletten Inhalt der Festplatte eines Gerätes abzurufen.

Nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts waren solche Eingriffe bisher weitgehend auf die Prävention äußerst schwerer Verbrechen wie dem internationalen Terrorismus beschränkt. Das soll sich nun ändern.

Stimmt der Bundestag zu, wovon trotz des geschlossenen Neins der Opposition angesichts der Mehrheit der Großen Koalition auszugehen ist, dürfen sogenannte Staatstrojaner und mit ihnen das Mitlesen von Nachrichten bei der Eingabe und Online-Durchsuchung künftig auch zur Strafverfolgung genutzt werden, wenn ein Richter zustimmt - auch bei Steuerdelikten, Computerbetrug oder Asylmissbrauch. Theoretisch ist gar möglich, die Kamera oder das Mikrofon eines Endgeräts zu steuern. Und das nicht nur bei Verdächtigen, sondern auch bei Personen, die mit ihnen in Kontakt stehen, sofern das für die Ermittlungen notwendig erscheint. Ein immenser Eingriff in die Privatsphäre.

Kein gewöhnliches Gesetzgebungsverfahren

Dass es nicht schon viel früher wie bei vorhergehenden schwerwiegenden Eingriffen dieser Art einen öffentlichen Aufschrei gegeben hat, liegt vor allem daran, dass es für die Novelle kein eigenes Gesetzgebungsverfahren im üblichen Sinne gegeben hat.

Die Koalition hat die Reform an ein bereits laufendes und harmlos erscheinendes Verfahren angedockt. Darin geht es unter anderem um Sanktionsausweitungen und die Verhängung von Fahrverboten, auch im Falle von Vergehen, die nicht im Straßenverkehr erfolgten. Eine weitreichende Überwachungs-Novelle wird deshalb nun als kurzfristig eingearbeiteter Änderungsantrag vorangetrieben.

Unklar ist, wie lange die Regelung Bestand hat, sollte sie es tatsächlich durch den Bundestag schaffen. Klagen, die auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts drängen, erscheinen ausgesprochen wahrscheinlich. Zumal sich potenzielle Kläger durch die Trickserei der Bundesregierung im besonderen Maße motiviert fühlen dürften.

Die Chancen einer Klage sind laut Kennern groß: "Beide Maßnahmen sind schwere Grundrechtseingriffe, die in den vergangenen zehn Jahren nicht nur die öffentliche Debatte beschäftigt haben, sondern auch vom Bundesverfassungsgericht nur unter strengen Auflagen erlaubt wurden", sagte Hartmut Pohl, Sprecher des Arbeitskreises "Datenschutz und IT-Sicherheit" der Gesellschaft für Informatik Netzpolitik.org. Und Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum, sagte dem "Tagesspiegel": "Das wird auf jeden Fall vor dem Verfassungsgericht landen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche."

Quelle: ntv.de

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