Politik

Hitlers Sommeroffensive 1943 "In Russland hält sich der Mythos von Prochorowka bis heute"

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Sowjetische Soldaten begutachten im Raum Charkiw ein deutsches Panzerwrack.

Sowjetische Soldaten begutachten im Raum Charkiw ein deutsches Panzerwrack.

(Foto: IMAGO/SNA)

Bei Kursk will die Wehrmacht im Sommer 1943 sowjetische Truppen einkesseln. Die letzte deutsche Großoffensive im Osten scheitert aber schon nach wenigen Tagen. In Russland ist die Erinnerung an die größte Schlacht des Zweiten Weltkriegs bis heute von Legenden geprägt, sagt der Historiker Roman Töppel.

Im Frühjahr 2022 vertrieben ukrainische Truppen Moskaus Verbände aus dem Raum Charkiw. Für die Ukraine war es ein wichtiger Sieg im russischen Angriffskrieg. Die Stadt stand vor 80 Jahren schon einmal im Mittelpunkt der Geschichte. Damals endete die Schlacht bei Kursk mit der Befreiung Charkiws durch die Rote Armee. Dabei begannen die Kämpfe um den Kursker Frontbogen eigentlich mit einer Großoffensive der Wehrmacht.

Im Frühjahr 1943 musste das Deutsche Reich gleich mehrere Rückschläge hinnehmen. Nach dem Untergang der 6. Armee in Stalingrad und dem Rückzug aus dem Kaukasus, drohte mit der Kapitulation der Heeresgruppe Afrika in Tunesien die nächste Katastrophe. Zudem startete die britische Royal Air Force mit der massiven Bombardierung des Ruhrgebiets, und auch im U-Boot-Krieg zeichnete sich eine Wende ab.

Der Historiker Roman Töppel forscht seit Jahren zur Schlacht bei Kursk. 2017 erschien sein Buch "Kursk 1943 - Die größte Schlacht des Zweiten Weltkriegs".

Der Historiker Roman Töppel forscht seit Jahren zur Schlacht bei Kursk. 2017 erschien sein Buch "Kursk 1943 - Die größte Schlacht des Zweiten Weltkriegs".

(Foto: Roman Töppel)

Adolf Hitler und seinen Militärs war bewusst, dass die deutschen Kräfte für großangelegte Operationen nicht mehr ausreichten. Mit einer räumlich begrenzten Offensive im Osten wollten sie dennoch eine Wende herbeiführen. Die Generalfeldmarschälle Erich von Manstein und Günther von Kluge plädierten für einen Angriff am 150 Kilometer langen Frontbogen bei Kursk zwischen Belgorod und Orjol, wo die Rote Armee starke Verbände zusammengezogen hatte. Hitler stand der Idee zurückhaltend gegenüber. Er favorisierte eine Offensive im Donezbecken. Schließlich stimmte der Diktator aber den Plänen für eine Operation gegen den Kursker Bogen zu. Deckname der Offensive: "Unternehmen Zitadelle".

"Mit ihrem Angriff wollten die Deutschen vier Ziele erreichen", sagt der Historiker Roman Töppel im Gespräch mit ntv.de. "Die Rote Armee sollte entscheidend geschwächt werden, um Verbände zeitweilig in den Westen verlegen zu können. Das zweite Ziel war eine Verkürzung der Front, um die überdehnten Linien zu entlasten. Drittens sollten viele Gefangene gemacht werden, um sie als Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie einzusetzen. Mit einem Sieg sollten Deutschlands wankelmütige Verbündete zudem von der angeblichen Unbesiegbarkeit der Wehrmacht überzeugt werden."

Hitler hegte Zweifel

"Jeder Führer, jeder Mann muss von der entscheidenden Bedeutung dieses Angriffs durchdrungen sein. Der Sieg von Kursk muss für die Welt wie ein Fanal wirken", verkündete Hitler in seinem Operationsbefehl vom 15. April. Schon Anfang Mai wollte der Diktator losschlagen. Doch der Angriffstermin wurde immer wieder verschoben.

"Nach der Niederlage in Tunesien fürchtete Hitler zunächst eine baldige Invasion der Angloamerikaner in Kalabrien oder auf dem Balkan. Dann regnete es im Bereich der Heeresgruppe Mitte über mehrere Wochen, was Truppenbewegungen unmöglich machte", so Töppel. "Später entschied Hitler, auf stärkere Waffen wie die neuen Kampfpanzer Tiger und Panther sowie das Sturmgeschütz Ferdinand zu warten, die den sowjetischen Modellen weit überlegen waren."

Deutsche Sturmgeschütze vom Typ Ferdinand kamen erstmals in der Schlacht bei Kursk zum Einsatz. Wegen der starken Panzerung galten die Fahrzeuge bei ihren Besatzungen als "wahre Lebensversicherung".

Deutsche Sturmgeschütze vom Typ Ferdinand kamen erstmals in der Schlacht bei Kursk zum Einsatz. Wegen der starken Panzerung galten die Fahrzeuge bei ihren Besatzungen als "wahre Lebensversicherung".

(Foto: picture alliance / akg-images)

Durch die Verzögerungen kam der Diktator selbst ins Grübeln. "Die Niederlagen der vergangenen Monate hatten Hitler verunsichert", sagt Töppel. "Er wusste, dass er sich keinen strategischen Fehler mehr erlauben konnte und hoffte, dass Stalin ihm zuvorkommt und selbst zum Angriff übergeht." Doch der Despot im Kreml tat ihm diesen Gefallen nicht.

Denn die Sowjets waren über die deutschen Angriffsvorbereitungen gut informiert. Durch Spione, Partisanen und Überläufer wussten sie, dass die Deutschen den Kursker Frontbogen von Norden und Süden kommend mit einer Zangenbewegung abschneiden wollten. "Schon Ende März hatten sich die Sowjets darauf geeinigt, zunächst den deutschen Angriff abzufangen und dann selbst in die Offensive zu gehen", erklärt Töppel. "Dafür wurde der Kursker Frontbogen zu einer riesigen Festung mit sechs Verteidigungsgürteln ausgebaut. Im Hinterland stand zudem mit der Steppenfront eine Reserve für den Gegenschlag bereit."

Anfang Juli machten sich am Kursker Bogen 780.000 deutsche Soldaten mit 3400 Panzern und Selbstfahrlafetten, 7400 Geschützen und Granatwerfern sowie 1800 Flugzeugen für die größte Schlacht des Zweiten Weltkrieges bereit. Ihnen gegenüber standen 1,9 Millionen Rotarmisten mit 5600 Panzern und Selbstfahrlafetten, 31.400 Geschützen und Granatwerfern sowie 3600 Flugzeugen.

Sowjets erwarteten Hauptangriff im Norden

Mit dem Befehl "Panzer, Marsch!" setzten sich am frühen Morgen des 5. Juli die deutschen Verbände in Bewegung. Die Heeresgruppe Süd attackierte mit drei Angriffskeilen den südlichen Teil des Frontbogens, während im Norden General Walter Model seinen Hauptstoß mit zwei Panzerkorps führte. Die tief gestaffelten Verteidigungsanlagen und Minenfelder der Sowjets verhinderten allerdings ein rasches Vorankommen.

Der Kursker Frontbogen und der deutsche Angriffsplan für das "Unternehmen Zitadelle".

Der Kursker Frontbogen und der deutsche Angriffsplan für das "Unternehmen Zitadelle".

(Foto: © Roman Töppel)

Der sowjetische Generalstab erwartete den Hauptschlag an der Nordflanke, während er tatsächlich im Süden erfolgte, wo die Deutschen zügig durch die ersten drei Verteidigungsgürtel stießen. Am Abend des 11. Juli stand das II. SS-Panzerkorps bereits wenige Kilometer vor dem Dorf Prochorowka, was bei den sowjetischen Militärplanern für Panik sorgte. Um den deutschen Vormarsch zu stoppen, schickte man am nächsten Tag die 5. Gardepanzerarmee nach vorne. Doch die Attacke war völlig überhastet und schlecht koordiniert. Die SS-Panzergrenadierdivision "Leibstandarte Adolf Hitler" hatte mit den frontal anstürmenden T-34 leichtes Spiel.

"Der Angriff der 5. Gardepanzerarmee scheiterte katastrophal", sagt Töppel. "Von sowjetischer Seite wurde behauptet, bei Prochorowka hätten die Deutschen 300 Panzer verloren. Doch das ist kompletter Unsinn. Die deutschen Totalverluste beliefen sich an diesem Tag auf vier Panzer und 17 Schützenpanzer. Die 5. Gardepanzerarmee meldete hingegen 196 eigene Panzer als zerstört."

"Mit neuer Kraft von den Toten auferstanden"

"In Russland hält sich der Mythos von Prochorowka bis heute. Die Legende über den sowjetischen Sieg setzte der Befehlshaber der 5. Gardepanzerarmee, General Pawel Rotmistrow, in die Welt", erzählt Töppel. "Er musste sich vor Stalin für die schweren Verluste rechtfertigen. Um nicht in Ungnade zu fallen, erfand er die Lüge, wonach man der deutschen Panzerwaffe eine vernichtende Niederlage zugefügt habe. Unterstützung erhielt Rotmistrow dabei von Generalstabschef Alexander Wassilewski, dem eigentlichen Hauptverantwortlichen, der den Befehl für den Angriff gegeben hatte."

Für den Stellungsbau im Kursker Bogen zog die Rote Armee nach sowjetischen Angaben 300.000 Zivilisten ein.

Für den Stellungsbau im Kursker Bogen zog die Rote Armee nach sowjetischen Angaben 300.000 Zivilisten ein.

(Foto: imago/ITAR-TASS)

Im Gegensatz zum Süden kam Models 9. Armee im nördlichen Abschnitt deutlich langsamer voran. Auch, weil seine Reserven zu weit hinter den Angriffsverbänden lagen. Als sich abzeichnete, dass der deutsche Sturmlauf zum Erliegen kam, gingen die Sowjets am 12. Juli bei Orjol zum Gegenangriff über und fielen Models Truppen in den Rücken. Daraufhin brach Hitler einen Tag später das "Unternehmen Zitadelle" ab.

Am 17. Juli griffen sowjetische Verbände auch im Donezbecken an. Anfang August starteten dann die Steppenfront und weitere Armeen mit fast einer Million Rotarmisten im Süden des Kursker Frontbogens die "Operation Rumjanzew". Die erschöpften Deutschen waren erschüttert von der riesigen Zahl frischer Einheiten, die vor ihnen auftauchten. Auch Manstein hatte einen so mächtigen Ansturm nicht erwartet. "Für die müde deutsche Infanterie war es, als sei der gerade geschlagene Feind mit neuer Kraft von den Toten auferstanden", notierte der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd später.

Deutschen fehlte es an Infanterie und Luftunterstützung

Mit der Befreiung von Charkiw endeten am 23. August die sowjetischen Gegenangriffe. Für die Wehrmacht war die 50 Tage andauernde Schlacht eine schwere Niederlage. Keines ihrer Ziele konnte sie erreichen. "Der Hauptfehler der Deutschen war, dass sie die sowjetischen Kräfte massiv unterschätzt hatten", meint Töppel. "Für die Masse, die die Rote Armee im Kursker Frontbogen versammelt hatte, waren die deutschen Offensivkräfte viel zu schwach. Vor allem fehlte es an Infanterie und Luftunterstützung."

Die deutschen Verluste an Gefallenen, Verwundeten und Vermissten lagen bei 203.000 Mann. Die sowjetischen Ausfälle werden von Historikern auf 1,2 Millionen Mann geschätzt. Ein Verhältnis von 1:6. Schätzungsweise dürften 7000 sowjetische Panzer und Selbstfahrlafetten zerstört worden sein. Demgegenüber verlor die Wehrmacht etwa 1200 Panzerfahrzeuge. Die Luftwaffe büßte rund 650 Maschinen ein, die Rote Armee mindestens 3000.

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Die Niederlage bei Kursk hatte für die Deutschen gravierende Folgen. "Schon vor der Schlacht war das Ostheer stark ausgeblutet. Die im Sommer 1943 erlittenen Verluste konnten nicht mehr ausgeglichen werden", sagt Töppel. "Kursk war die letzte Großoffensive der Wehrmacht an der Ostfront. Nach der Schlacht ging die Initiative im Osten endgültig auf die Rote Armee über. Auf die deutsche Moral wirkte sich die Niederlage verheerend aus. Der Glaube an einen deutschen 'Endsieg' schwand zunehmend."

Wie schon in der Sowjetunion nimmt Kursk im heutigen Russland einen wichtigen Platz ein. "Neben Moskau und Stalingrad betrachtet die russische Geschichtsschreibung Kursk als dritte Entscheidungsschlacht des Krieges und als Beleg für die sowjetische Überlegenheit", erklärt Töppel. "Die Forschung kommt jedoch zu einem anderen Urteil. Der Krieg war für das Deutsche Reich eigentlich schon mit der Niederlage vor Moskau im Winter 1941 verloren. Doch Historiker, die sich kritisch mit der Schlacht und dem dazugehörigen Heldenkult befassen, werden in Russland immer noch als Geschichtsfälscher diffamiert."

Quelle: ntv.de

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