Fragen und Antworten Karlsruhe kippt Hartz-IV-Sätze
09.02.2010, 11:00 UhrDie Hartz-IV-Sätze verstoßen gegen die Verfassung: Anhand der Höhe der Leistungen für Kinder hat das Bundesverfassungsgericht die bisherige Berechnung der Leistungen verworfen - auf den Staat kommen nun zusätzliche Milliarden-Kosten zu. n-tv.de beantwortet die wichtigsten Fragen zum Hartz-IV-Grundsatzurteil.
Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?
Die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder und Erwachsene müssen neu berechnet werden. Die bisherige Regelung verstößt gegen die Verfassung. Die Berechnung sei nicht transparent genug, entschied das Bundesverfassungsgericht. Das Gericht forderte den Gesetzgeber auf, bis zum 31. Dezember 2010 eine an der Realität orientierte Neuregelung zu schaffen. "Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung auch einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs […] vorzusehen, der bisher nicht von den Leistungen […] erfasst wird, zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums jedoch zwingend zu decken ist", heißt es in dem Grundsatzurteil.
Werden die Hartz-IV-Sätze jetzt angehoben?
Nein, zumindest nicht zwangsläufig. Ausdrücklich betonen die Richter, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Existenzminimums einen großen Spielraum genießt. Die geltenden Sätze können nach Auffassung des Gerichts durchaus ausreichend sein für die Sicherung eines "menschenwürdigen Existenzminimums".
Was heißt das für Hartz-IV-Empfänger?
Bis zu einer Änderung bleibt die bisherige Regelung gültig. Ab sofort können Hartz-IV-Empfänger jedoch einen besonderen Bedarf geltend machen, der durch die bisherigen Zahlungen nicht gedeckt wird.
Worum ging es in dem Urteil?
Die rechtmäßige Höhe der Hartz-IV-Sätze. Das Bundesverfassungsgericht sollte eigentlich entscheiden, ob die Hartz-IV-Leistungen für Kinder ihrem tatsächlichen Bedarf entsprechen. Das Bundessozialgericht in Kassel und das hessische Sozialgericht hatten die derzeitigen Regeln für verfassungswidrig gehalten. Weil die Hartz-IV-Sätze für Kinder aber einfach pauschal von den Beiträgen für Erwachsene abgeleitet werden, haben die Verfassungsrichter grundsätzlich entscheiden müssen, ob die derzeitige Erhebung der Hartz-VI-Leistungen angemessen ist.
Worum geht es eigentlich?
Um die Frage, wie viel Geld ein Mensch in Deutschland zum Leben braucht. Anders ausgedrückt: Auf Grundlage des ersten Artikels des Grundgesetzes haben die Karlsruher Richter geprüft, was ein menschenwürdiges Existenzminimum ist. Dieses Grundrecht soll der Maßstab für Hartz IV sein.
Wie hoch sind die Hartz-IV-Sätze derzeit?
Der Regelsatz für einen Erwachsenen beträgt 359 Euro. Für Kinder und Jugendliche sind die Beiträge nach Altersstufen gestaffelt: 215 Euro (60 Prozent des Regelsatzes) gibt es für Kinder unter 6 Jahren, 251 Euro (70 Prozent) für Kinder bis zu 14 Jahren.
Wie werden die Sätze bislang berechnet?
Auf Grundlage der durchschnittlichen Ein- und Ausgaben der deutschen Haushalte, die alle fünf Jahre in 60.000 Haushalten erhoben wird. Für die Berechnung "zur Sicherung des Lebensunterhalts" nach Hartz IV wird das unterste Fünftel der Bevölkerung zum Vergleich genommen, ausgenommen Sozialhilfeempfänger. Dann werden noch einige Ausgaben abgezogen, die nach Auffassung der Regierung nicht unbedingt lebensnotwendig sind. So kommt der Staat auf 359 Euro – Miete und Heizkosten werden extra berechnet. Aber genau diese Berechnungsgrundlage ist es auch, die heftig kritisiert wird.
Früher gab es bei der Sozialhilfe den so genannten Warenkorb. Jeder konnte darin offen erkennen, welche Ausgaben für die Hilfebedürftigen vorgesehen sind. Die Hartz-IV-Leistungen dagegen wurden von den Einkünften der untersten Lohngruppe abgeleitet. Ob das ausreicht in einem Land, das nach Überzeugung der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, in manchen Branchen "nur noch als Niedriglohnland" bezeichnet werden kann, hat der Gesetzgeber nicht begründet.
Wie viele Menschen sind betroffen?
Derzeit sind rund sieben Millionen Menschen auf Hartz IV angewiesen. Darunter sind etwa 1,7 Millionen Kinder unter 14 Jahren.
Was kostet die Existenzsicherung den Staat?
Über 50 Milliarden Euro aus Steuergeldern fließen in diese Grundsicherung: Der Bund hat dafür in diesem Jahr Kosten von 38,7 Milliarden Euro veranschlagt, die Kommunen müssen mindestens 12 Milliarden Euro für die Übernahme der Wohnungskosten aufwenden.
Welche Folgen kann das Urteil haben?
Die Regelsätze werden auf eine neue Berechnungsgrundlage gestellt werden müssen. Im Kern dürfte es darum gehen, was zum Existenzminimum gehört und wie der Staat es ermittelt. Besonders bei Kindern müsse sich die neue Berechnung stärker an der Realität orientieren, urteilten die Karlsruher Richter. Eine Änderung der Berechnungsmethode bedeutet aber nicht automatisch höhere Zahlungen.
Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung würde die Erhöhung des Regelsatzes etwa auf 420 Euro, wie sie etwa der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert, jährlich zehn Milliarden Euro kosten. Dabei stellten die Forscher aber auch fest, dass "Haushalte mit Kindern in überdurchschnittlichem Maß von dem höheren Regelsatz profitieren würden." Die Wissenschaftler wie auch andere Kritiker bemängeln allerdings, dass durch eine Erhöhung der Regelsätze der Anreiz, eine niedrig bezahlte Arbeit aufzunehmen, noch geringer ausfallen würde. Denn der Abstand zwischen Hartz IV und niedrigen Löhnen würde weiter schrumpfen.
Quelle: ntv.de, mit dpa/rts/AFP