Politik

"Dämonisierung von Putin ist keine Strategie" Kissingers Vier-Punkte-Plan

Machtpolitiker trifft Realpolitiker: Putin begrüßt Kissinger bei einem Treffen im April 2007.

Machtpolitiker trifft Realpolitiker: Putin begrüßt Kissinger bei einem Treffen im April 2007.

(Foto: AP)

Henry Kissinger, die Legende der amerikanischen Außenpolitik, wirft dem Westen Versagen im Umgang mit Russland vor. Für die Ukraine entwirft er eine Zukunft nach dem Vorbild Finnlands.

Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger hat sowohl Russland als auch den USA und Europa im Streit um die Ukraine Fehler vorgeworfen. Besonders scharf ist seine Kritik am Westen: Dieser habe keinen Plan, schreibt der 90-Jährige in einem Beitrag für die "Washington Post": "Die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Strategie; es ist ein Alibi für die Abwesenheit einer Strategie."

Russland riskiere mit einer militärischen Lösung des Konflikts die Isolierung - "und das zu einem Zeitpunkt, wo zahlreiche Außengrenzen des Landes ohnehin instabil sind". Die russische Führung müsse akzeptieren, dass die Ukraine nicht zurück in einen Satellitenstatus gedrängt werden könne. Geschehe dies doch, werde Russland in einen Teufelskreis gegenseitigen Drucks mit Europa und den Vereinigten Staaten geraten - wie einst die Sowjetunion.

Ukraine braucht Ausgleich nach innen und außen

Beiden Seiten wirft Kissinger vor, die Interessen der Gegenseite zu missachten, doch auch hier ist seine Kritik am Westen deutlicher. "Der Westen muss verstehen, dass die Ukraine für Russland niemals nur ein fremdes Land ist." Die Europäische Union kritisiert Kissinger für ihr "bürokratisches Zaudern". Im Umgang mit der Ukraine habe sie "das strategische Element" vernachlässigt und so zum Entstehen der Krise beigetragen.

Die Wurzel des gegenwärtigen Konflikts sieht Kissinger allerdings in der ukrainischen Innenpolitik. Die Politiker der Ukraine hätten die Kunst des Kompromisses nicht verstanden und würden stets versuchen, ihren Willen der jeweiligen Gegenseite aufzuzwingen. "Das ist der Kern des Konflikts zwischen (dem abgesetzten Präsidenten) Viktor Janukowitsch und seiner politischen Hauptgegnerin Julia Timoschenko. Sie stehen für zwei Flügel der Ukraine und waren nicht bereit, die Macht zu teilen."

Die Zukunft der Ukraine sieht Kissinger als Brücke zwischen Ost und West. Kluge amerikanische Außenpolitik müsse versuchen, beide Teile des Landes zur Kooperation zu bewegen. Die EU drängt die ehemalige Opposition in Kiew bereits dazu, "nicht in den alten Fehler verfallen, den politischen Gegner zu bestrafen, sobald man selbst an der Regierung ist", wie der CDU-Europapolitiker Elmar Brok n-tv.de sagte.

Kein Beitritt zur Nato

Vier Punkte schlägt Kissinger als "Prinzipien" zur Lösung des Konflikts vor: Die Ukraine müsse erstens das Recht haben, politische und wirtschaftliche Bündnisse selbst zu wählen. Der Nato solle die Ukraine allerdings nicht beitreten. Drittens solle die Ukraine ihre Regierung frei wählen; kluge Politiker würden dann einen Pfad der Aussöhnung einschlagen. Außenpolitisch könne die Ukraine sich am Vorbild Finnlands orientieren. "Dieses Land lässt keinen Zweifel an seiner entschlossenen Unabhängigkeit und kooperiert auf den meisten Gebieten mit dem Westen, vermeidet jedoch sorgsam institutionelle Feindschaft mit Russland." Finnland ist Mitglied der EU, nicht jedoch der Nato.

Punkt vier wird sich vermutlich nicht realisieren lassen: Mit den Regeln der bestehenden Weltordnung sei es unvereinbar, dass Russland die Krim annektiert. Die Ukraine solle der Krim stattdessen verstärkte Autonomierechte gewähren und Zweifel über den Status der russischen Schwarzmeerflotte ausräumen. Dies wird weder aus der Sicht Moskaus noch aus der Sicht der meisten Bewohner der Krim akzeptabel sein.

Kissinger ist heute der Helmut Schmidt der USA. 1923 im bayerischen Fürth zur Welt gekommen, war der Republikaner von 1973 bis 1977 US-Außenminister unter den Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford. Auch spätere Präsidenten ließen sich von dem Friedensnobelpreisträger beraten. Kissinger gilt als Prototyp des kühl analysierenden Geostrategen, der die Interessen seines Landes über moralische Erwägungen stellt. Seine "Realpolitik" schließt Verständnis für die Interessen der Gegenseite ein - sofern diese Gegenseite machtvoll genug ist, ihre Interessen durchzusetzen. Berühmt-berüchtigt ist Kissingers Beteiligung an der Vorbereitung des Militärputsches in Chile 1973.

Quelle: ntv.de

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