Politik

Behörden in NRW relativieren Mehr Krebs am Atomreaktor Hamm-Uentrop

Gegner des Hochtemperatur-Reaktors Hamm-Uentrop bei einer Protestveranstaltung im Juni 1986. Ein Jahr später wurde die Anlage stillgelegt.

Gegner des Hochtemperatur-Reaktors Hamm-Uentrop bei einer Protestveranstaltung im Juni 1986. Ein Jahr später wurde die Anlage stillgelegt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nach nur zwei Jahren Betrieb und zahlreichen Störfällen wird der Atomreaktor in Hamm-Uentrop 1987 stillgelegt. Nun werden rund um den Reaktor vermehrt Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Frauen festgestellt. Dennoch geben die Behörden Entwarnung.

Johannes Remmel: Es muss weiter nach der Ursache geforscht werden.

Johannes Remmel: Es muss weiter nach der Ursache geforscht werden.

(Foto: picture alliance / dpa)

Rund um den stillgelegten Atomreaktor in Hamm-Uentrop in Nordrhein-Westfalen besteht möglicherweise die erhöhte Gefahr, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken. Das ergab eine Analyse des Krebsregisters NRW, das ein um 64 Prozent erhöhtes Risiko gegenüber einer Referenzregion errechnete. Vor allem seien vermehrt Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Frauen festgestellt worden. Der grüne Umweltminister Johannes Remmel steht der Studie allerdings skeptisch gegenüber. Es gebe keine Hinweise auf den Atomreaktor als Verursacher, weil "typische Strahlenkrebsarten und die Schilddrüsenkrebs-Rate bei Männern unauffällig" seien.

Biostatistiker, Strahlenbiologen und Humangenetiker suchen schon lange nach einer Erklärung, weshalb sich künstliche Strahlungen unterschiedlich auf die Geschlechter auswirken. Dazu gehört unter anderem das "Phänomen der verlorenen Mädchen". Dazu hatten Forscher um den Biomathematiker Hagen Scherb von Helmholtz-Zentrum München in einem Radius von 40 Kilometer um das Zwischenlager Gorleben ein "eindrucksvolles Mädchendefizit" ermittelt. Und zwar genau seit 1995, als die ersten Castor-Behälter mit radioaktivem Müll in die Region rollten.

Ähnliche Ergebnisse hatten die Forscher in der Ukraine nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl ermittelt. "Die Häufigkeit der verstörenden Befunde deutet auf grundlegende Probleme bei der geltenden Bewertung radioaktiver Niedrigstrahlung hin", sagte der Leiter Politik und Presse der Deutschen Umwelthilfe, Gerd Rosenkranz. Er verlangte angesichts der "wachsenden Zahl gleichgerichteter Unregelmäßigkeiten" von der Bundesregierung eine wissenschaftliche Aufklärung. Das sei man den Menschen in den betroffenen Regionen schuldig, die wegen der Befunde erheblich verunsichert seien.

Mehr Untersuchungen - mehr Fälle?

Im Zwischenlager Ahaus lagern atomare Abfälle Gundremmingen, Neckarwestheim, Jülich, Hamm-Uentrop und aus dem DDR-Kernforschungszentrum Rossendorf.

Im Zwischenlager Ahaus lagern atomare Abfälle Gundremmingen, Neckarwestheim, Jülich, Hamm-Uentrop und aus dem DDR-Kernforschungszentrum Rossendorf.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Leiter des Krebsregisters NRW, Oliver Heidinger, erklärt sich die Ergebnisse der jüngsten Analyse auch mit den vermehrten Vorsorgeuntersuchungen verunsicherter Menschen in der Region. Es seien überdurchschnittlich viele der Tumore in einem Anfangsstadium entdeckt worden. Der Datenschutz verhindere aber Aussagen darüber, wann und wie lange die betroffenen Frauen in der Region gelebt haben. Untersucht wurden die Krebsraten in Hamm, Beckum, Ahlen, Lippetal und Welver.

Die Anwohner in der Region verlangen Aufklärung. So sagte ein Besucher auf einer Informationsveranstaltung in Hilbeck: "Wir sind Anwohner des Kraftwerks, leben in Eilmsen-Vellinghausen. In unserer Straße ist Krebs in jedem Haus."

Krebsraten auch ohne Atomanlagen höher

Landesumweltminister Remmel kündigte an, dass nach der Ursache weiter geforscht werde. Allerdings müsse auch darauf hingewiesen werden, dass der Schilddrüsenkrebs in Deutschland und mehreren weiteren Ländern Europas erheblich zugenommen habe. So seien auch in weiteren Regionen Nordrhein-Westfalens ohne Atomanlagen erhöhte Raten von Schilddrüsenkrebs bei Frauen festzustellen.

Im Thorium-Hochtemperatur-Reaktor Hamm-Uentrop war es 1986 zu einem Störfall gekommen. In der Nacht vom 4. zum 5. Mai 1986 traten radioaktive Aerosole aus, als zerbrochene Kugelbrennelemente Rohre der Beschickungsanlage verstopften. In der Folge gelangte der kontaminierte Staub der zerbrochenen Kugeln und kontaminiertes Helium in die Umgebungsluft - wie viel, konnte nie festgestellt werden, weil zu diesem Zeitpunkt die Messinstrumente abgeschaltet waren.

Die kugelförmigen Brennelemente des THTR-Reaktors waren bereits vor Jahren in Castor-Behältern ins Zwischenlager nach Ahaus gebracht worden.

Quelle: ntv.de, ppo/dpa

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