Politik

"Regelrecht vor die Wand gefahren" Missstände bei der Bundeswehr

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Robbe, verabschiedet sich mit einem brisanten Jahresbericht aus seinem Amt. Demnach fehlen in der Bundeswehr hunderte Ärzte. Er berichtet von sexuellen Belästigungen, unwürdigen Ritualen, schlechter Ausrüstung, ineffizienter Führung und hohen psychologischen Belastungen.

Robbe (r.) übergibt seinen Bericht an Bundestagspräsident Lammert.

Robbe (r.) übergibt seinen Bericht an Bundestagspräsident Lammert.

(Foto: dpa)

Nach der Veröffentlichung des Jahresberichts durch den Wehrbeauftragten des Bundestags, Reinhold Robbe, muss man den Eindruck haben, bei der Bundeswehr gehe es drunter und drüber. Robbe berichtet über Missstände im Sanitätswesen, schlecht gepanzerte Fahrzeuge für Soldaten im Auslandseinsatz, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Belästigungen aller Art, von menschenunwürdigen Ritualen und psychischen Erkrankungen. Aber auch von großer Solidarität, vor allem unter Soldaten im Auslandseinsatz.

Aufgrund dieser Mängel und Defizite mahnt Robbe in seinem Bericht eine umfassende Modernisierung der Bundeswehr an. In den deutschen Streitkräften gebe es eine unübersichtliche Führungsstruktur, zu viel Bürokratie, Reibungsverluste sowie eine veraltete Planung für den Einsatz von Material und Personal. In vielen Bereichen sei die Bundeswehr noch nicht in der Einsatzrealität angekommen.

Immer mehr Ärzte kehren der Bundeswehr den Rücken.

Immer mehr Ärzte kehren der Bundeswehr den Rücken.

(Foto: dpa)

Der Missstand im Sanitätswesen bildete den Schwerpunkt des Jahresberichts 2009. Im Sanitätsdienst der Bundeswehr habe sich die Situation von Jahr zu Jahr verschlechtert, so Robbe. Er warf der Sanitätsführung, insbesondere dem verantwortlichen Inspekteur, ein "klares Versagen" vor. "Es gibt nicht wenige Experten in der Bundeswehr die davon sprechen, dass dieser Inspekteur die Sanität regelrecht vor die Wand gefahren habe", sagte Robbe. Über 120 Ärzte hätten gekündigt, insgesamt fehlten 600 Militärärzte.

Psychologische Belastung steigt dramatisch

Der Wehrbeauftragte offenbarte, dass immer mehr Bundeswehrsoldaten wegen des Afghanistan-Einsatzes unter schweren psychischen Belastungen leiden. Im vergangenen Jahr seien 466 Soldaten wegen posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) behandelt worden. Damit habe sich die Anzahl der Erkrankten im Vergleich zu 2008 fast verdoppelt. Fast 90 Prozent der erkrankten Soldaten gehörten zur Internationalen Schutztruppe ISAF in Afghanistan, heißt es in dem Bericht.

Der Wehrbeauftragte führte zwei Gründe für den Anstieg der Zahlen an: Zum einen seien mehr Soldaten als früher im Einsatz. Zum anderen gebe es in Afghanistan, vor allem im Raum Kundus, kriegsähnliche Verhältnisse. Nach wie vor ungeklärt sei die Dunkelziffer psychisch erkrankter Soldaten. "Nach meinen Erkenntnissen werden in der Truppe psychische Erkrankungen nach wie vor als stigmatisierend empfunden und von den Betroffenen insbesondere aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht offenbart", betont Robbe.

Mangelhafter Schutz für Soldaten

Es gibt Fahrzeuge, die nicht für den Einsatz geeignet sind.

Es gibt Fahrzeuge, die nicht für den Einsatz geeignet sind.

(Foto: AP)

Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan klagen nach wie vor über Mängel bei ihrer Ausrüstung. Sie rügen unter anderem, dass es zu wenige geschützte Fahrzeuge gebe, so Robbe. "Die ohnehin angespannte Situation verschärft sich, sobald Fahrzeuge nach Unfällen oder Anschlägen ausfielen, weil für diese Fahrzeuge kein Ersatz verfügbar war", heißt es in dem Bericht. Neben einer zu geringen Anzahl von Fahrzeugen hätten die Soldaten auch darüber geklagt, dass bestimmte Fahrzeuge gar nicht für den Einsatz im Gefecht geeignet seien. Es fehle aber auch an Maschinengewehren, Transportflugzeugen und Hubschraubern. Für den optimalen Schutz unserer Soldaten dürfte aber fehlendes Geld kein Argument sein, sagte Robbe.

Solidarität mit der Führung

Das verheerende Bombardement von Kundus hatte nach Auffassung Robbes erhebliche Auswirkungen auf alle Ebenen der Bundeswehr. So schreibt der SPD-Politiker, es gebe in der Truppe viel Unterstützung für den Bundeswehroberst Georg Klein, der den Angriffsbefehl gegeben hat. Er habe in den Streitkräften "keine einzige Stimme" vernehmen können, die sich nicht mit Klein solidarisch gezeigt habe. Die Reaktionen hätten von menschlicher Sympathie für Klein, über Verständnis für eine schwierige und folgenreiche Entscheidung, bis hin zu Respekt für einen damals notwendig erscheinenden Schritt gereicht.

Menschenverachtende Anschauungen und Rituale

In seinem Jahresbericht geht Robbe ausführlich über die unverändert hohe Klagen von Soldatinnen über sexuelle Belästigungen und frauenfeindliche Einstellungen ein. "Leider bleiben Vorfälle, die antiquierte und mit Vorurteilen belastete Anschauungen offenbaren, nach wie vor nicht aus." Im Januar 2000 hatte der Europäische Gerichtshof mit einem Urteil Frauen den Dienst an der Waffe erlaubt. Im vergangenen Jahr leisteten durchschnittlich 16.495 Frauen bei der Bundeswehr ihren Dienst. Ihr Anteil an den Berufs- und Zeitsoldaten stieg im Vergleich zum Jahr 2008 von 8,4 auf 8,7 Prozent.

Rund 16.500 Frauen waren 2009 bei der Bundeswehr angestellt.

Rund 16.500 Frauen waren 2009 bei der Bundeswehr angestellt.

(Foto: dpa)

Robbe erhielt nach eigenen Angaben weiterhin Zuschriften, in denen es auch um Diskriminierung von Soldaten wegen Homosexualität ging. "Auch wenn nach nunmehr geltender Rechtslage jede Benachteiligung von homosexuellen Soldatinnen und Soldaten untersagt ist, kann eine faktische Benachteiligung nicht absolut ausgeschlossen werden."

Die entwürdigenden Rituale bei den Gebirgsjägern und in anderen Teilen der Bundeswehr sieht Robbe als Einzelfälle. Die bisherigen Untersuchungen hätten ergeben, dass die bekannten Fälle nicht "die Spitze des Eisbergs" seien, sondern nur an wenigen Standorten stattgefunden hätten. Robbe regte aber eine Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr an, um die Verbreitung und Art der Rituale möglichst genau festzustellen. Auf der Grundlage einer solchen eingehenden Prüfung könne dann entschieden werden, ob es grundsätzlichen Handlungsbedarf gebe.

Robbe betonte, die Soldaten leisteten trotz der Probleme einen großartigen Job. Sie kompensierten die Mängel mit einem "unglaubliches Improvisationstalent" und mit kameradschaftlicher Unterstützung. In seinen Jahresbericht flossen rund 5700 Eingaben von Soldaten ein und die Erkenntnisse, die Robbe selbst bei Truppenbesuchen gewann.

Es war der letzte Bericht des SPD-Politikers als Wehrbeauftragter. Robbes fünfjährige Amtszeit läuft im Mai aus. Als Nachfolger ist der FDP-Politiker Hellmut Königshaus nominiert.

Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP

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