Politik

Triumph des politischen Islams? Muezzin ruft ab heute von Kölner Moschee

In Köln darf künftig ein Muezzin aus der Moschee in die Umgebung rufen - das gibt es zwar in Deutschland bereits, dennoch handelt es sich hier um ein neuartiges Modellprojekt. Und daran gibt es auch Kritik.

Wer an Köln denkt, denkt unweigerlich an den Dom, der von weit her über dem Rhein zu sehen ist. An diesem Freitag vielleicht nicht so sehr: Da könnten viele eher an die Moschee im Stadtteil Ehrenfeld denken, wo gegen Mittag erstmals der Ruf eines Muezzins erklingen soll. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sieht die Erlaubnis als Zeichen der Toleranz und der Religionsfreiheit. Diese Woche wurde ein entsprechender Vertrag unterschrieben, damit war der Weg frei - allerdings unter strengen Auflagen.

Die sehen vor, dass der Ruf nur einmal freitags erklingen soll, mit höchstens 60 Dezibel bei den Anwohnern ankommen darf und maximal fünf Minuten lang sein soll. Laut "Kölner Stadtanzeiger" wird er wohl nur etwa 100 Meter weit bis zum Bürgersteig vor dem Gotteshaus zu hören sein. Er soll auch nicht von den Minaretten erschallen, sondern aus Lautsprechern, die auf einen Hof gerichtet sind. Um 13:24 Uhr soll es so weit sein - die genaue Uhrzeit richtet sich nach dem Stand der Sonne.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Muezzin-Ruf von einer Moschee in Deutschland erschallt. Einige Gemeinden haben bereits eine Genehmigung, zum Beispiel im unweit von Köln liegenden Düren - und dort sorgt der Ruf einem Bericht des Deutschlandfunks zufolge nach 30 Jahren für wenig mehr als Achselzucken. In Köln gibt es seit einem Jahr die grundsätzliche Erlaubnis, den Gebetsaufruf beantragen zu dürfen. Dabei handelt es sich um ein Modellprojekt, das in zwei Jahren überprüft wird. Abdurrahman Atasoy, Vize-Vorsitzender im DITIB-Bundesverband, sagte laut "Kölner Stadtanzeiger": "Dies ist ein wichtiger Schritt in der Wahrnehmung der muslimischen Glaubensgemeinschaften als Teil der Gesellschaft." Die Kölner Moschee wird von DITIB betrieben - dort befindet sich auch die Zentrale des Verbandes.

Braucht es den Ruf überhaupt?

Zuspruch kommt von der katholischen Kirche: Der Kölner Stadtdechant Robert Kleine sagte der Katholischen Nachrichtenagentur, das Grundrecht auf freie Religionsausübung stehe auch den islamischen Gemeinden in Form des Muezzin-Rufs zu. "Es geht dabei ja um ein verfassungsmäßiges Recht, das auch nicht mit dem Hinweis auf religiöse Intoleranz oder die politische Instrumentalisierung der Religion in anderen Teilen der Welt relativiert werden darf."

Es gibt allerdings Diskussionen darüber, ob der Muezzin-Ruf überhaupt notwendig ist. So verneint das etwa der Münsteraner Islam-Theologe Mouhanad Khorchide. Er sagte im ZDF, man könne ja auch eine App nutzen, die einem sagt, wann es Zeit zu beten ist. Ihm zufolge ist es auch nicht so, dass alle Muslime dringend den Muezzin-Ruf haben wollen. "Er ist nicht Teil der religiösen Gebote und die meisten Muslime haben nicht darum gebeten", sagte er. "Ich fände es wichtig, dass man die Betroffenen vor Ort befragt, ob muslimisch oder nicht-muslimisch." Er verweist auf eine Studie, wonach nur ein Drittel der Muslime überhaupt zum Freitagsgebet gehen.

Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst äußerte sich kritisch. Er meinte, die Entscheidung schade der Integration womöglich eher. Die AfD ist erwartbar klar gegen den Ruf und Boulevardmedien wie die Berliner "B.Z." und die "Bild"-Zeitung berichten mit Schlagzeilen wie "Hallt der Muezzin-Ruf bald über ganz Deutschland?" oder mit Formulierungen wie "Bald ruft wohl der Muezzin über Köln" und spielen damit auf Eroberungs- und Unterdrückungsängste an.

Triumph des politischen Islams?

Für den Berliner Psychologen und Autor Ahmad Mansour ist der Muezzin-Ruf in Köln eine "Machtdemonstration des politischen Islams". Damit bezieht er sich in erster Linie auf den Moschee-Verband DITIB, der unter Kontrolle der türkischen Religionsbehörde steht, die die Imame in der Türkei ausbildet und bei ihrem Einsatz in Deutschland auch bezahlt. Der Verband positioniert sich als gemäßigt, es gibt aber immer wieder Fälle von Extremismus oder Antisemitismus. Mansour kritisiert, dass es keine ausreichende Debatte vor der Entscheidung gegeben habe. "Das werden rechte Kräfte für ihre Ziele zu nutzen wissen", sagte er laut "Rheinischer Post".

Dass "Skandale und Missstände" und die Abhängigkeit DITIBs von der Türkei ein Problem sind, findet auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor, wie die Duisburgerin auf Twitter kundtat. Aber: "Der Gebetsruf einmal pro Woche muss in einer Demokratie möglich sein und zumutbar bleiben. In vielen Kommunen ist dies schon lange möglich."

Man kann davon ausgehen, dass weite Teile der Bevölkerung dem Projekt nur wenig abgewinnen können. So zeigte eine Umfrage im Auftrag des Bonner "Generalanzeigers", dass 76 Prozent den Muezzin-Ruf ablehnen und ihn auch nicht als gleichrangig mit Glockengeläut erachten. Andererseits kamen zu einer von der Stadt vorgeschriebenen Infoveranstaltung der Moscheegemeinde am Donnerstagabend fast nur Journalisten, wie ntv-Reporterin Julia Schruff berichtete. Nur eine Anwohnerin meldete sich zu Wort - die ältere Dame habe nur kritisiert, dass die Entscheidung "über die Köpfe hinweg" gefallen sei.

Quelle: ntv.de

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