
Ein Demonstrant bei einer BDS-Veranstaltung
(Foto: imago/IPON)
Mit großer Mehrheit verurteilt der Bundestag die BDS-Bewegung. Bei der Frage, wie weit genau die Ächtung gehen soll, gibt es aber Differenzen.
Ist es antisemitisch, die Politik des Staates Israels zu kritisieren? Muss es nicht erlaubt sein, Israels Siedlungspolitik, die den Palästinensern immer neue Gebiete abringt, anzuprangern, die Einhaltung des Menschen- und Völkerrechts zu fordern? Oberflächlich betrachtet geht es der BDS-Bewegung um nichts anderes. Das Grundsatzprogramm besteht aus drei Kernzielen: dass Israel die Gebiete abtritt, die laut Vereinten Nationen als besetzt gelten: das Westjordanland, Ost-Jerusalem, den Gaza-Streifen und die Golan-Höhen; dass Israel Grundrechte der palästinensischen Bevölkerung respektiert; dass Israel eine UN-Resolution aus dem Jahre 1948 umsetzt. Es klingt nach Zivilgesellschaft.
BDS steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen. Das sind die Werkzeuge, die die Bewegung einsetzen möchte, um ihre Ziele umzusetzen. Boykottieren möchte sie etwa den Eurovision-Songcontest in Tel Aviv und wirbt dafür mit einem Logo, in dem der Davidstern durch SS-Runen ersetzt ist; auch verteilt sie Aufkleber, auf denen "Don't buy" steht. Zu Deutsch würde nicht viel fehlen zum Aufruf "Kauft nicht bei Juden". Es sind bewusste, zynische Provokationen, die von einer tiefen Verachtung der jüdischen Geschichte zeugen. Die Umsetzung der UN-Resolution 194, die dritte Kernforderung, würde de facto einer Auslöschung des jüdischen Staates gleichkommen. Das darin beschriebene Rückkehrrecht wurde vor 70 Jahren formuliert - damals für knapp 700.000 Palästinenser, heute sind es mehr als fünf Millionen.
Den BDS-Aufruf unterzeichneten 2005 Menschenrechtler, Gewerkschaften, Berufsverbände in Palästina und Israel. Auch viele deutsche Vereine und sogar parteinahe Stiftungen kooperierten mit BDS-assoziierten Organisationen.
Inzwischen aber klingt es nicht mehr nach Zivilgesellschaft. BDS toleriert in den eigenen Reihen offenen Antisemitismus, Relativierungen des Holocausts und die Nähe zu extremistischen Terrororganisationen.
Ist das noch Meinungsfreiheit?
So sieht es seit heute auch die Mehrheit des Deutschen Bundestages. Die Abgeordneten von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP nahmen einen Antrag an, in dem die BDS-Bewegung scharf verurteilt wird. Darin heißt es unter anderem, dass sich das Parlament künftig dafür einsetzen wird, der Bewegung finanzielle Mittel zu streichen. Länder, Städte und Gemeinden werden aufgerufen, BDS-Vertretern keine Räume mehr zur Verfügung zu stellen.
Es sei die Pflicht des deutschen Staates, alles zu unterbinden, "was antisemitisch ist und was es werden könnte", sagte der Unionsabgeordnete Axel Müller während der Debatte. Es sei darüber hinaus tief antisemitisch, dass Existenzrecht Israels in Frage zu stellen und inakzeptabel, Unternehmen aufzufordern, nicht in dem Land zu investieren. FDP-Politiker Bijan Dijr-Sarai betonte, BDS sei im Nahostkonflikt keine Hilfe, sondern treibe einen "Keil zwischen Israelis und Palästinenser". SPD-Staatssekretär Christian Lange sagte, er fühle sich von BDS-Kampagnen an die "dunkelsten Zeiten Deutschlands" erinnert. Für Grünen-Außenexperten Omnid Nouripour äußert BDS keine Kritik, die Aktionen der Bewegung seien schlicht "zynisch und menschenverachtend".
Herrscht also fraktionsübergreifende Einigkeit? Zurück zum Anfang: Um die Frage, ob die Auseinandersetzung mit israelkritischen Positionen einer in großen Teilen antisemitischen Bewegung allein schon Antisemitismus oder noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, gab es schon vor der Debatte Streit. Grünen-Politiker Jürgen Trittin sagte in einem Interview mit der "Tageszeitung", es gebe ein "Klima der Einschüchterung gegenüber Kritikern der israelischen Besatzungspolitik". In der Fraktion der Grünen hätten viele Abgeordnete, gewissermaßen in vorauseilendem Gehorsam, dem Antrag zugestimmt, um "sich nicht selber dem unberechtigten Vorwurf des Antisemitismus auszusetzen".
Kritik gab es auch in der Unionsfraktion am Antragstext. In einer gemeinsamen Erklärung bekräftigen 18 CDU- und CSU-Abgeordnete, dass sie der Resolution zwar zustimmen werden, kritisierten zugleich Teile des Textes. Außenexperten wie Norbert Röttgen, Roderich Kiesewetter oder Andreas Nick bemängeln, es gebe in dem Text keine Unterscheidung zwischen legitimer Kritik an der Politik des Staates Israel und Antisemitismus. Wie der "Spiegel" berichtet, hatte jedoch die FDP darum gekämpft, einen entsprechenden Passus aus dem Antragstext zu streichen. Der Satz "Der kritische Umgang mit israelischer Regierungspolitik ist von Meinungs-, Presse- und Äußerungsfreiheit geschützt und muss selbstverständlich in Deutschland genauso wie in Israel erlaubt sein" wurde demnach gestrichen.
Linke und AfD haben eigene Vorstellungen
Dass in der Resolution eine solche Einschränkung fehlen könnte, wurde auch international wahrgenommen. 60 jüdische und israelische Wissenschaftler appellierten vor der Debatte in einem offenen Brief an den Bundestag, den Antrag abzulehnen. Die Resolution helfe ansonsten "der am weitesten rechts stehenden Regierung in der Geschichte Israels, jeden Diskurs über palästinensische Rechte und jede internationale Solidarität mit den Palästinensern, die unter militärischer Besatzung und schwerer Diskriminierung leiden, zu delegitimieren". Das israelische Außenministerium lobte indes den heutigen Beschluss. "Das deutsche Parlament hat die antisemitische Natur von BDS anerkannt und seinen ungesetzlichen Boykottaktivitäten", schrieb der Sprecher des Außenministeriums auf Twitter.
Der Antrag wurde jedoch nicht nur von Teilen der beteiligten Fraktionen abgelehnt. Auch Linke und AfD waren nicht dabei und stellten eigene Resolutionen zur Abstimmung. In Bundestagskreisen war zu hören, man hätte gerne ein gemeinsames Papier eingebracht – was nur daran scheiterte, dass die Union eine Kooperation mit Linken und AfD grundsätzlich ausschließe. Es spricht jedoch auch viel dafür, dass die beiden Parteien an den Rändern des politischen Spektrums ihre eigenen Positionen vertreten wollten.
Der AfD ging der Antrag der fünf Parteien nicht weit genug. Sie forderte ein komplettes Verbot der BDS-Bewegung. Ihr Abgeordneter Jürgen Braun warf den anderen Parteien vor, bei der "entscheidenden Frage" - einem Verbot - "zu kneifen". Im Gegensatz zur Großen Koalition und den "linken Parteien" könne sich Israel auf die AfD wirklich verlassen. Kurze Zeit später sprach der fraktionslose Abgeordnete Mario Mieruch, der im Oktober 2017 die AfD verlassen hatte. Er lobte den Antrag der AfD zwar, weil er "weitestgehend" sei. Von einer Partei gestellt, in der man sich "gegenseitig Wehrmachtsbilder schickt und über ein Mahnmal der Schande und einen Vogelschiss rede", sei er jedoch komplett unglaubwürdig.
Ebenfalls einen eigenen Antrag stellte die Linke. Darin fordert die Fraktion, nur jene Aktionen der BDS zu verurteilen, die eindeutig auf einen Boykott abzielten. Eine "pauschale Kriminalisierung von BDS ist problematisch", sagte die Linken-Abgeordnete Heike Hänsel. Presse- und Meinungsfreiheit könnten so unter Druck geraten. An der Glaubwürdigkeit von Hänsels Worten dürften allerdings einige Parlamentarier Zweifel haben. Sie und andere Abgeordnete wollten vor fünf Jahren am Jahrestag der Novemberpogrome eine Veranstaltung mit zwei bekannten antizionistischen Journalisten abhalten. Als Fraktionschef Gregor Gysi das untersagte, bedrängten und filmten die Abgeordneten Gysi auf einer Toilette des Bundestages - bekannt geworden als "Toilettenaffäre". An Hänsels Seite war damals auch Martin Lejeune, der in der folgenden Zeit mehrfach Hamas-Positionen verteidigte und die Existenz des Holocausts zumindest angezweifelt hat.
Quelle: ntv.de