Getroffen von Attacke Palmer knöpft sich Parteikollegen vor
18.06.2017, 10:52 Uhr
Später Überraschungsauftritt beim Grünen-Parteitag: Boris Palmer geigte seiner Partei nach Anfeindungen gegen ihn ordentlich die Meinung - und wurde ausgebuht.
(Foto: picture alliance / dpa)
Mit seiner flüchtlingspolitischen Linie eckt Boris Palmer in den eigenen Reihen an. Auf dem Parteitag in Berlin wird er auf offener Bühne beleidigt - am Abend überrascht er seine Parteifreunde und schlägt mit einer Standpauke zurück.
Der Tübinger Oberbürgermeister und Grünen-Provokateur Boris Palmer hat sich seine Partei nach Anfeindungen gegen ihn vorgeknöpft. "Es ist okay, zu sagen, der ist ein Quartalsirrer oder ein Rechtsausleger, oder was auch immer", sagte der bei den Grünen höchst umstrittene Schwabe den Delegierten des Berliner Bundesparteitags. "Das gehört zum Geschäft."
Aber dass man ihm von der Bühne herunter "Halt doch mal die Fresse" entgegengeschleudert habe, das treffe ihn. Palmer, der zum realpolitischen Parteiflügel gehört, bezog sich auf eine Rede der linksgrünen Direktkandidatin Canan Bayram aus Berlin-Kreuzberg. Sie hatte ihn am Vortag für seine Ansichten zu Asyl und Integration mit den Worten "Einfach mal die Fresse halten" attackiert. Palmer eckt unter anderem mit seinem neuen Buch "Wir können nicht allen helfen" an.
Er habe als Siebenjähriger seinen Vater im Gefängnis besucht, weil der das Recht auf Meinungsfreiheit für sich in Anspruch genommen habe, sagte der Oberbürgermeister, dessen überraschender Auftritt am späten Abend von Buh-Rufen und von Applaus begleitet wurde. In der Satzung der Grünen stehe, dass sie "um Dialog, die gewissenhafte Suche nach Konsens oder tragbare Kompromisse bemüht" seien. Das sei einer der Gründe für ihn, in dieser Partei zu sein.
Wahlprogramm soll abgesegnet werden
Viele Konflikte räumte die streitlustige Partei seit Freitagnachmittag schon ab, am Sonntag biegen die Grünen nun auf die Zielgerade ein. Vor der großen Schlussabstimmung über das Wahlprogramm ist für das Spitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt die Abstimmung über ihren "Zehn-Punkte-Plan für grünes Regieren" besonders wichtig. Darin fassen sie ihre Hauptanliegen kompakt zusammen. Im Vorfeld gab es Kritik, weil vor allem Vertretern des linken Parteiflügels einige Forderungen und konkrete Angaben fehlten.
In ihrem Wahlprogramm fordern die Grünen ein "Familienbudget" in Höhe von 12 Milliarden Euro, um Kinderarmut in Deutschland wirkungsvoll zu bekämpfen. Daraus soll eine Grundsicherung von 300 Euro für jedes Kind pro Monat finanziert und die bisherige Förderung zu einer einheitlichen Leistung für alle Kinder zusammengefasst werden. Das beschloss der Grünen-Parteitag in Berlin.
Elterngeld und "Pakt für das Zusammenleben"
Das Elterngeld soll von 14 auf 24 Monate verlängert werden. Jeder Elternteil erhält demnach acht Monate finanzielle Unterstützung, weitere acht Monate können frei zwischen den Eltern aufgeteilt werden. Von dieser "Kinderzeit Plus" sollen Eltern profitieren können, bis die Kinder 14 Jahre alt sind.
Zudem fordern die Grünen einen sogenannten Pakt für das Zusammenleben, mit dem zwei Menschen unabhängig von der Ehe Verantwortung füreinander übernehmen können. Der "PaZ" soll nicht nur Liebespaaren offenstehen, sondern allen Zweierbeziehungen, "die gegenseitig Verantwortung füreinander übernehmen", heißt es in einem Antrag der familienpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion, Franziska Brantner, den die Delegierten annahmen. Der Pakt soll diese Beziehungen rechtlich absichern. "Wir wollen, dass gemeinsame Verantwortungsübernahme einfacher gemacht wird", sagte Brantner.
Am Samstag hatten die Grünen bereits die Ehe für Schwule und Lesben ausdrücklich zur Bedingung für eine Koalition im Bund gemacht. "Mit uns wird es keinen Koalitionsvertrag ohne die Ehe für alle geben", heißt es nun im Wahlprogramm. So hart formulierte "rote Linien" waren von der Parteispitze eigentlich nicht vorgesehen. Weiter wollen sie bis 2030 komplett aus der Kohleenergie aussteigen und die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke schon in der nächsten Legislaturperiode abschalten.
Zudem fordern sie ein Einwanderungsgesetz und eine grundlegende Neuaufstellung des Verfassungsschutzes. Darüber hinaus wollen sie ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr neu zulassen. Angesichts mauer Umfragewerte von 7 bis 8 Prozent sehen viele Grüne in dem dreitägigen Treffen die letzte Chance, vor der Bundestagswahl eine Trendwende einzuleiten.
Quelle: ntv.de, dsi/dpa