Zwölf Stunden AfD Partei in den Flegeljahren
26.01.2014, 07:09 Uhr
Rot heißt Nein - aber eine Dagegen-Partei will die AfD natürlich nicht sein.
(Foto: AP)
Zu viele Geschäftsordnungsanträge, viel zu viele Bewerber: In Aschaffenburg schafft es die AfD nicht, die geplanten 20 Plätze für ihre Liste zur Europawahl zu besetzen. Die Partei ist gespalten in Wissenschaftler und Wutbürger.
"Die Politik bedeutet ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich." Fast 100 Jahre ist es her, dass der Soziologe Max Weber diesen Satz schrieb. Bislang hat die AfD den Mittelweg zwischen Leidenschaft und Augenmaß noch nicht gefunden. Am Samstag kam die Anti-Euro-Partei in Aschaffenburg zusammen, um ihre Liste für die Wahl zum Europaparlament zusammenzustellen.
Zunächst läuft alles rund. Auf Platz eins wählen die Delegierten Parteichef und -gründer Bernd Lucke, auf Platz zwei, wie von der Parteispitze erhofft, den früheren BDI-Chef Hans-Olaf Henkel. Allerdings melden sich jetzt schon Gegenkandidaten, Henkel muss sich dafür rechtfertigen, früher für den EU-Beitritt der Türkei gewesen zu sein. Auf Platz drei folgt, ebenfalls plangemäß, Bernd Kölmel, Landeschef der AfD in Baden-Württemberg. Er gehörte Ende 2013 dem "Notvorstand" des hessischen Landesverbands an, nachdem dort der gesamte Vorstand zurückgetreten war.
Der hessische Hass ragt weit in die Listenwahl in Aschaffenburg hinein. Einer der Bewerber kommt aus Hessen, er wettert in hastigen, kaum verständlichen Sätzen gegen "das Glaser-Bussche-Lager". Seine Rede wird begleitet von lauten Zwischenrufen: "Aufhören!" Albrecht Glaser und Eberhard von dem Bussche gehörten bis Ende November dem Landesvorstand der AfD in Hessen an. Nach Meinung dieses Delegierten ziehen sie dort noch immer die Strippen.
Der Euro ist kaum noch ein Thema
Der tiefe Graben, der sich durch die Partei zieht, verläuft nur zum Teil zwischen den gemäßigten und den weniger gemäßigten Konservativen, eher zwischen den dauererregten Wutbürgern und den rationalen Wissenschaftlern. Ihr Bindeglied ist Lucke, für den der Euro kaum noch ein Thema ist. Der Parteichef folgt einem altbewährten Rezept: Gibt es internen Streit, dann hilft ein gemeinsamer Gegner. Besser zwei. Mit Wucht attackiert Lucke den europäischen Zentralismus und die "Altparteienallianz".
Den Wahlslogan seiner Partei hat er sich selbst ausgedacht: "Mut zu Deutschland". Wahrscheinlich hofft Lucke auf noch mehr Gegner. Denn schon jetzt weiß er, dass die AfD wegen dieses Spruchs "den heftigsten Anfeindungen ausgesetzt" sein wird. Kunststück: Selbst in der Partei sind nicht alle von dem Slogan begeistert.
Über die internen Querelen in Hessen, Hamburg und Thüringen spricht Lucke nicht. Unter großem Beifall begrüßt er das Neumitglied Henkel. Der hat seine Rolle als Zugpferd bereits voll angenommen. Er werde sich bemühen, so viele Abgeordnete wie möglich mit nach Brüssel zu nehmen, verkündet er unbescheiden. Und betont, er habe in der AfD "nicht einen einzigen Verrückten, Neonazi oder Spinner gesehen".
Wie früher bei den Grünen
Der Appell zur Geschlossenheit kommt von Ökonomie-Professor Joachim Starbatty, der sich später deutlich auf Platz fünf durchsetzt. Er sagt, er sei froh, dass es in der AfD Flügel gebe. "Aber diese Flügel dürfen nicht gegeneinander schlagen, sie müssen miteinander schlagen!" Am Ende erhält Starbatty stehende Ovationen. Dass er zum gemäßigten Flügel zählt, spielt offenbar keine Rolle.
Eine aktuelle Umfrage zur Europawahl räumt der AfD beste Chancen ein. Laut einer Emnid-Untersuchung für die "Bild am Sonntag" kommt die AfD auf 7 Prozent der Stimmen - für das Europaparlament gilt eine niedrigere Hürde als für den Bundestag, sie liegt bei 3 Prozent.
Sorgen muss sich dagegen die FDP machen, sie liegt bei 3 Prozent. Die übrigen Werte: Union 42 Prozent, SPD 26 Prozent, Grüne 10 Prozent und Linkspartei 8 Prozent.
Es ist - AfD-Mitgliedern werden die Haare zu Berge stehen - ein bisschen wie früher bei Grünen-Parteitagen. Hier wie dort sind die Delegierten sehr emotional. Sie haben die Lösung für alle Probleme, sie verheddern sich in kleinlichen Diskussionen und sie misstrauen der Parteispitze. Mit größter Vorliebe reiten sie Prinzipien. Nach Luckes Begrüßungsrede stellt ein Delegierter den Antrag, dass der seinen Platz in der ersten Reihe auf dem Podium räumen möge, schließlich gehöre er ja nicht zur Versammlungsleitung.
Neben diesem Klein-Klein, das in zahlreiche Geschäftsordnungsanträge mündet, ist das zweite Problem die unglaublich hohe Zahl der Bewerber, die ein bisschen skurril wirkt angesichts der scharfen Kritik, die Lucke am Streben der SPD nach den "Ministersesseln in Berlin" hatte. 100 AfD-Mitglieder drängen auf die Liste, jeder darf fünf Minuten sprechen und außerdem zwei Fragen aus dem Plenum beantworten. Eine zähe Tortur. Die Journalisten werden dieses Mal nicht aus dem Saal geschickt. Viele gehen irgendwann freiwillig.
"Ins Herz der Finsternis"
Wie Lucke beschwören die Bewerber um die hinteren Listenplätze vor allem den europäischen Zentralstaat als Feindbild und den bisherigen AfD-Slogan "Mut zur Wahrheit" als Gegenmittel. Niemand benutzt diese Formulierung, aber ein "Das wird man doch noch sagen dürfen ..." liegt in der Luft. Ein ehemaliger ARD-Journalist, der (vergeblich) für Platz drei kandidiert, sagt: "Zuwanderung hört da auf, wo die Identität einer Nation gefährdet ist". Ein Bewerber um Platz vier eröffnet seine Vorstellung mit den Worten, er sei heterosexuell, seit 25 Jahren glücklich verheiratet und habe acht Kinder. Dafür bekommt er Applaus. Sein Konkurrent spricht von einer "tiefen strukturellen Korruption des politischen Systems". Wenn die AfD ins Europaparlament einziehe, dann begebe man sich "ins Herz der Finsternis".
Geradezu moderat gibt sich die konservative Berufsaktivistin Beatrix von Storch. Sie will die anderen Parteien zur Beantwortung der Frage zwingen: "Was steht am Ende der europäischen Einigung?" Die Antwort kennt sie schon: "Sie wollen alle den EU-Superstaat, und wir sind die einzigen, die dies ablehnen." Über die "Schwulen-Lobby" spricht sie in Aschaffenburg nicht. Die Delegierten wählen sie, wenn auch nur mit knapper Mehrheit.
"Wir sind in den Flegeljahren"
Zwölf Stunden, ungezählte Geschäftsordnungsdebatten und zahlreiche Vorstellungsreden später sind sage und schreibe sechs Kandidaten gewählt, Dutzende Bewerbungsreden stehen noch aus. Eigentlich wollte man zwanzig Plätze belegen.
In eineinhalb Stunden muss der Saal geräumt sein, doch Zeit für Streit ist immer. Ein Delegierter beklagt, eine Parteifreundin sei aus der Wahlkommission des Parteitags ausgeschlossen worden, weil zwei AfD-Mitglieder sie verleumdet hätten, nachdem einer von ihnen ihr vergeblich Avancen gemacht habe. Die Geschichte ist so undurchschaubar wie unappetitlich. Dennoch nennt der Mann alle Beteiligten namentlich.
Gegen 21.00 Uhr verkündet die Versammlungsleiterin, dass der Parteitag in einer Woche fortgeführt werden soll. Am Morgen hatte ein Delegierter gesagt, die Partei sei "nicht mehr in den frühen Aufbruchsjahren, sondern in den Flegeljahren". Leidenschaftlich können Flegel sein. Augenmaß haben sie nur selten.
Quelle: ntv.de