Politik

Sonderlager für Balkan-Flüchtlinge Politische Verfolgung ist ein dehnbarer Begriff

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Roma leben in Europa seit Jahrhunderten unter schwierigsten Lebensbedingungen. Das gilt auch heute noch und das auch in EU-Staaten wie Bulgarien.

(Foto: REUTERS)

Die Bundesregierung will Flüchtlinge vom Balkan schneller abschieben. Bayern setzt auf Sonderlager in Grenznähe. Der Schritt mag angesichts geringer Anerkennungsquoten nahe liegen. Doch diese Quoten sind eine wacklige Grundlage.

Erst erklärte die Bundesregierung Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu "sicheren Herkunftsstaaten". Albanien, Kosovo und Montenegro sollen folgen. Jetzt wirbt die CSU dafür, Sonderlager für Flüchtlinge aus den sechs Balkanstaaten zu schaffen. Asylanträge sollen dort noch schneller abgearbeitet werden.

Tempo, das ist die Losung, wenn es um den Umgang mit Flüchtlingen aus Osteuropa geht. Weil ohnehin klar ist, dass sie keinen Anspruch auf Asyl haben. Aber ist das wirklich so klar?

In Deutschland gehen die Anerkennungsquoten von Asylbewerbern aus den Balkanstaaten gegen null. 2014 bekamen laut Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat 40 von 5065 Bewerbern aus Mazedonien eine Aufenthaltserlaubnis im Sinne der Genfer Konventionen oder auf humanitärer Basis. Das sind 0,8 Prozent. Bei Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina waren es 45 von 3560 Asylbewerbern (1,3 Prozent) und bei jenen aus Serbien 70 von 11.660 (0,6 Prozent).

Überwiegend Wirtschaftsflüchtlinge, heißt es aus den Reihen der Bundesregierung, keine politisch Verfolgten. "Schnelle Asylverfahren für Menschen ohne Bleibeperspektive sind für uns von zentraler Bedeutung, um unser Asylsystem zu entlasten", sagt CSU-Chef Horst Seehofer. "Wir dürfen es nicht zulassen, dass unter unseren Augen monatelang Asylmissbrauch geschieht, weil das Verfahren nicht schnell beendet und damit die Rückführungsvoraussetzungen geschaffen werden." Allerdings ist der Begriff "politisch verfolgt" sehr dehnbar. Das zeigt ein Blick auf die Anerkennungsquoten von Flüchtlingen aus den "sicheren Herkunftsstaaten" in anderen europäischen Ländern.

In der Schweiz bekommt jeder fünfte Mazedonier Asyl

Besonders auffällig ist der Vergleich mit der Schweiz. In der Alpenrepublik lag die Anerkennungsquote von Serben 2014 mit 5,3 Prozent deutlich über der in Deutschland. Noch drastischer ist der Unterschied bei Menschen aus Bosnien-Herzegowina: 15,4 Prozent. Die Anerkennungsquote der Mazedonier lag gar bei 22,2 Prozent.

Auch Frankreich attestierte mehr Menschen aus den "sicheren Herkunftsstaaten" Schutzbedürftigkeit. Die Anerkennungsquoten lagen zwischen 7,2 und 16,9 Prozent. Belgien hat im vergangenen Jahr zwar überhaupt keinen Menschen aus Bosnien-Herzegowina Asyl gewährt. Dafür aber 4,8 Prozent der Serben und 15,4 Prozent der Mazedonier.

Deutschland gehört unter den europäischen Staaten also zu den Hardlinern. Vielleicht liegt das daran, dass mit Abstand die meisten Asylanträge aus Balkanstaaten in der Bundesrepublik eingehen. Im vergangenen Jahr fällten die Deutschen laut Eurostat-Zahlen rund 20.000 endgültige Asylentscheidungen über Bewerber aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Im Vergleich dazu waren es in Frankreich kaum 1000. Druck durch Masse ist allerdings ein Argument fernab der Frage tatsächlicher Schutzbedürftigkeit.

"Eiskalte deutsche Bürokratie"

Hinter den Flüchtlingen vom Balkan verbergen sich zum größten Teil Roma. Nach Angaben des bayerischen Flüchtlingsrats stellten diese unter den Serben bis zu 95 Prozent. Roma gehören zu den wirtschaftlich schwächsten Bevölkerungsgruppen in ihren Heimatländern. Das ist kein Asylgrund. Doch sie sind zugleich systematischen Schikanen ausgesetzt. Mitglied im Präsidium von Bosnien-Herzegowina etwa darf nur werden, wer Kroate, Serbe oder Bosniake ist. Roma müssten sich zunächst einer dieser Ethnien zuordnen. Natürlich will nicht jeder Roma Präsident werden. Das Beispiel zeigt jedoch, dass die Angehörigen dieser Volksgruppe nicht als vollwertige Staatsbürger gesehen werden.

Problematischer noch als diese systematische Diskriminierung dürfte die alltägliche Ausgrenzung sein, der Roma in Europa seit Jahrhunderten ausgesetzt sind. Flüchtlingsorganisationen gehen deshalb davon aus, dass man sehr viele Roma im Sinne der Genfer Flüchtlingskonventionen wegen einer gruppenspezifischen Verfolgung anerkennen könnte. Das passiert ihnen zufolge in Deutschland aber nicht, weil Asylbewerber vom Balkan pauschal als nicht schutzbedürftig eingestuft und dann im Eilverfahren außer Landes geschafft werden. Das dürfte in vielen Fällen richtig sein, in vielen aber auch nicht.

Vom bayerischen Flüchtlingsrat heißt es in einer Stellungnahme zur jüngsten Beschleunigungsmaßnahme, den geplanten Sonderlagern in Bayern: "Eine asylrechtliche Beratung ist so praktisch unmöglich und hindert Flüchtlinge daran, die rechtsstaatlich garantierten Rechtsmittel überhaupt nutzen zu können." Die Organisation verweist zugleich explizit auf die "besondere historische" Verantwortung Deutschlands. Während des Zweiten Weltkriegs ermordeten die Nationalsozialisten mehr als eine halbe Million Sinti und Roma. "Das scheint der bayerischen Staatsregierung egal zu sein. Sie will die Nachfahren der Opfer des nationalsozialistischen Völkermords mit entwürdigenden Lebensbedingungen in großen Abschiebelagern abschrecken und vertreiben", heißt es in der Stellungnahme. Laut Flüchtlingsrat setzt Bayern mit seinem Vorstoß die Diskriminierung der Roma auf dem Balkan mit "eiskalter deutscher Bürokratie" fort.

Quelle: ntv.de

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