Griechischer Generalstreik eskaliert Polizei räumt Syntagma-Platz
19.10.2011, 18:33 Uhr
Auge in Auge stehen sich Demonstranten und Polizisten auf dem Syntagma-Platz gegenüber.
(Foto: REUTERS)
Die griechische Polizei greift hart gegen die Randalierer auf dem zentralen Syntagma-Platz in Athen durch: Nach stundenlangen Straßenkämpfen mit sieben Verletzten räumen Sicherheitskräfte den Platz vor dem Parlament. Die Ausschreitungen während des zweitägigen Generalstreiks versetzen Fans von Borussia Dortmund in Angst und Schrecken.
Nach stundenlangen Straßenschlachten mit vorwiegend jungen Demonstranten hat die griechische Polizei den Syntagma-Platz im Zentrum von Athen geräumt. Auf dem Platz, an dem auch das Parlament seinen Sitz hat, hatte sich eine riesige Menschenmenge versammelt, die während des 48-stündigen Generalstreiks gegen weitere drastische Sparmaßnahmen für das hoch verschuldete Euro-Land protestierte. Die Polizei ging mit Tränengas gegen Randalierer vor, die Steine und Brandsätze warfen. Der Qualm brennender Autoreifen verdeckte den Blick auf die Akropolis. Ein Bankgebäude, in dem durch einen Molotow-Cocktail ein Brand ausgebrochen war, wurde evakuiert.

Einige Randalierer versuchen, ein Tor zum Parlament aufzustoßen.
(Foto: REUTERS)
Nach der Räumung des Syntagma-Platzes gingen in Nebenstraßen die Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und den Angehörigen des "Schwarzen Blocks" weiter. Auch von mehreren Hauptstraßen wurden Krawalle gemeldet.
Mindestens sieben Menschen wurden verletzt ins Krankenhaus gebracht. Es gab zahlreiche Leichtverletzte, die über Atemnot klagten oder leichte Verbrennungen beziehungsweise Platzwunden erlitten hatten. Der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis hatte zuvor bei n-tv gewarnt: "Es wäre fatal, wenn es zu Ausschreitungen käme." Die Politik im Land sei ohnehin schon "am Ende angekommen".
Die Demonstrationen waren die bislang größten seit Beginn der Finanzkrise. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich über 125.000 Menschen an den Kundgebungen in Athen, Thessaloniki, Patras und Heraklion.
BVB-Fans sitzen fest
Zahlreiche Fans und Angestellte des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund waren von den gewaltsamen Auseinandersetzungen betroffen. Sie konnten ihr Hotel in der Nähe des Parlamentsgebäudes von Athen stundenlang nicht verlassen. "Hier herrscht Chaos. Es brennt an allen Ecken und Ende. Wir haben Angst, nach draußen zu gehen", sagte BVB-Stadionsprecher Norbert Dickel wenige Stunden vor dem .
Ursprüngliche Pläne, den Reisetross aus Dortmund mit einem von einer Polizeieskorte begleiteten Bus zum Karaiskakis-Stadion zu bringen, drohten angesichts der ausufernden Lage zu scheitern. "Das eingesetzte Tränengas treibt die Leute zurück ins Hotel. Wir halten alle Fenster und Türen geschlossen", sagte der ehemalige Profi Dickel, der zusammen mit rund hundert weiteren Gästen aus Dortmund das Hotel bewohnt. Die mehrere Kilometer entfernt untergebrachte Mannschaft war von den Unruhen in der griechischen Hauptstadt nicht betroffen.
Schulen bleiben beschlossen
Das öffentliche Leben wurde durch den Generalstreik in weiten Teilen lahmgelegt. Zu den Streikenden zählten Fluglotsen, Busfahrer, Taxifahrer, Beamte, Ärzte, Lehrer, Tankstellenpächter, Seeleute und Bäcker. In Athen zogen 70.000 Demonstranten in vier Kolonnen zum Parlament am Syntagma-Platz. In Thessaloniki gingen 15.000 Menschen auf die Straße, 20.000 waren es Patras.
Zu dem zweitägigen Streik hatten die beiden größten griechischen Gewerkschaftsverbände des privaten und öffentlichen Sektors aufgerufen. Der Protest richtet sich gegen die für Donnerstag im Parlament geplante Verabschiedung eines neuen Sparpakets, das unter anderem die schrittweise Entlassung von 30.000 Staatsbediensteten vorsieht. Zugleich sollen die Gehälter und Löhne von Beamten und Beschäftigten des öffentlichen Diensts um weitere 20 Prozent gekürzt sowie neue Steuern erhoben werden.
Ministerpräsident Giorgos Papandreou warnte die Streikenden, wenn sie das Land "zersetzten", dann werde es "kein Geld für Löhne und Renten" geben.
Die Bevölkerung erhebe sich gegen die "unfairen, unsozialen und ineffizienten" Beschlüsse der Regierung in Athen "und ihrer Geldgeber", sagte Giannis Panagopoulos, der Chef der Gewerkschaft GSEE. Zahlreiche Flüge fielen wegen eines Streiks der Fluglotsen aus. Die Seeleute setzten ihren seit Tagen andauernden Ausstand fort. "Erstmals seit Mai 2010 bin ich bei einer Kundgebung dabei", sagte der Ingenieur Nikos Stefanatos. "Damals lag mein Monatseinkommen bei 2800 Euro, jetzt sind es noch 1500."
Flugausfälle in Deutschland
Als erste starteten die Fluglotsen die Streikwelle. Die gute Nachricht für alle Griechenland-Urlauber: Ihre Gewerkschaft beschloss, angesichts der dramatischen Lage und um dem Tourismus nicht einen schweren Schlag zu verpassen, nur für zwölf Stunden zu streiken. Der Flugbetrieb sollte somit ab 11 Uhr wieder aufgenommen werden. Ursprünglich wollten die Fluglotsen für zwei Tage streiken. Der griechische Luftraum blieb seit Mitternacht für alle kommerziellen Flüge von und nach Griechenland geschlossen. Viele Flüge in der zeit wurden verschoben oder fielen aus. Auch in Deutschland kam es zu Flugausfällen.

Für ein paar Stunden ging an den Flughäfen nichts mehr.
(Foto: REUTERS)
Bestreikt werden in Griechenland auch Ministerien und staatliche Unternehmen sowie viele Banken, Apotheken, Tankstellen, Geschäfte und Bäckereien. Wegen eines seit fast zwei Wochen andauernden Streiks der Müllabfuhr liegen in den Städten mittlerweile Zehntausende Tonnen Müll herum.
Die für die öffentliche Gesundheit zuständige Behörde bezeichnete die Situation als "Bombe". In einigen Fällen seien bereits Ratten gesichtet worden. Die Beseitigung der riesigen Müllberge soll nach ersten Schätzungen der Kommunen im Großraum Athen etwa eine Woche dauern. Ärzte behandeln in Krankenhäusern nur Notfälle.
Auch die öffentlichen Verkehrsmittel sollen für mehrere Stunden bestreikt werden. Zu dem Ausstand haben die beiden größten Gewerkschaftsverbände aufgerufen. Für den Nachmittag sind mehrere Demonstrationen geplant. Aus Angst vor Ausschreitungen zog die Polizei starke Einheiten in Athen zusammen.
Generalstreik in Portugal
Griechenland ist hoch verschuldet und wartet auf neue Finanzhilfen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Der Abschlussbericht der Experten der sogenannten Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), IWF und EU-Kommission für die Auszahlung der nächsten Kredittranche in Höhe von acht Milliarden Euro wird in den kommenden Tagen erwartet. Die schwere Finanzkrise in Griechenland setzte im vergangenen Jahr ein, die Rettungspakete zeigten bislang keinen durchschlagenden Effekt.
Trotz des Unmuts der Bevölkerung dürften die neuen Maßnahmen - Steuererhöhungen, Lohnkürzungen und Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst - mit der Mehrheit der sozialistischen Regierung auf den Weg gebracht werden. Griechenland muss harte Spar- und Reformauflagen erfüllen, um Hilfen von EU und Internationalem Währungsfonds zu beanspruchen.
In der EU wird befürchtet, dass ein Mitgliedsstaat den nächsten mit in die Krise reißt. "Ich finde es beunruhigend, dass es da eine Kettenreaktion gibt", sagte der spanische Börsenspezialist Alberot Roldan. "In Griechenland hat es angefangen, dann ist es auf andere Länder übergesprungen." Als letzte der drei großen Ratingagenturen hatte Moody's die Kreditwürdigkeit Spaniens herabgestuft. Die spanische Regierung zeigte sich "überrascht". In Portugal riefen die größten Gewerkschaften für den 24. November zu einem Generalstreik gegen Sparmaßnahmen der Regierung auf.
Quelle: ntv.de, ddi/dpa/AFP/rts