Vertriebenenverband Viele Funktionäre waren Nazis
24.11.2012, 12:07 Uhr
Für Steinbach ist es erklärlich, "dass es Männer mit zuvor gesammelter organisatorischer Erfahrung waren, die das Heft in die Hand nahmen."
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Im Gründungspräsidium des Bundes der Vertriebenen saßen – so das Ergebnis einer Studie – zahlreiche Funktionäre mit Nazi-Vergangenheit. Die Präsidentin des Vertriebenenbundes, Erika Steinbach, hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben. Von dem Ergebnis ist sie nicht überrascht.
Der Bund der Vertriebenen wurde neuen Untersuchungen zufolge in seiner Gründungszeit im Wesentlichen von Nationalsozialisten angeführt. Das geht aus einer Studie des Instituts für Zeitgeschichte hervor, die am Montag in München vorgestellt werden soll. Demnach waren 8 von 13 Mitgliedern des ersten, 1958 konstituierten Verbandspräsidiums Mitglieder der NSDAP gewesen. Zum Vergleich: Der Anteil der Parteiangehörigen an der deutschen Bevölkerung betrug laut Studie bei Kriegsende 1945 nur rund zehn Prozent. Die Präsidentin des Vertriebenenbundes, Erika Steinbach, hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben. Von dem Ergebnis ist sie nicht überrascht.
Auch von den fünf übrigen Gründungsmitgliedern, die nicht Adolf Hitlers Partei angehörten, könnten nur zwei "als dezidierte Nicht-Nationalsozialisten" eingestuft werden. Das schreibt Autor Michael Schwartz in seinem Buch "Funktionäre mit Vergangenheit", das die Ergebnisse der vom Bundesinnenministerium geförderten Studie zusammenfasst. Die anderen drei Nicht-Parteigenossen hätten "starke politische Affinitäten zum Nationalsozialismus" aufgewiesen.
"Vollkommen unbelastet" war kaum jemand
Zwei Präsidiumsmitglieder stuft die Studie als "schwer belastet" ein. Das sind Alfred Gille, Gebietskommissar der deutschen Besatzungsverwaltung in der Ukraine und in Weißrussland, sowie Erich Schellhaus. Letzterer war während der NS-Zeit Bürgermeister. Er sei "sehr wahrscheinlich" an der "NS-spezifischen Partisanenkriegführung in Weißrussland" beteiligt gewesen. Diese Beteiligung könne auch in "die Beteiligung an Massenmorden an jüdischen Bevölkerungsgruppen gemündet" sein. "Möglicherweise schwer belastet" nennt Autor Schwartz unter anderem Rudolf Wollner, der sich als überzeugter "Weltanschauungskrieger" im Alter von 17 Jahren freiwillig zur Waffen-SS gemeldet habe.
Als "vollkommen unbelastet" bezeichnet die Studie nur zwei Mitglieder des ersten BdV-Präsidiums: Linus Kather und den Sozialdemokraten Wenzel Jaksch, der von den Nationalsozialisten verfolgt wurde. Ausgerechnet Jaksch habe den Vertriebenenbund besonders geprägt, teilte Steinbach mit.
"Offenkundig für Demokratie engagiert"
Die Präsidentin des Vertriebenenbundes nannte die Ergebnisse der Studie "wenig überraschend". Sie selbst hatte die Untersuchung im Oktober 2007 in Auftrag gegeben, nachdem der "Spiegel" 2006 über die Nazi-Vergangenheit vieler Verbands-Spitzenfunktionäre berichtet hatte. "Ein Millionenheer an Entwurzelten versuchte verzweifelt, wieder Grund unter die Füße zu kriegen. Organisationsstrukturen dafür gab es nicht", sagte sie. "So ist erklärlich, dass es Männer mit zuvor gesammelter organisatorischer Erfahrung waren, die das Heft in die Hand nahmen." Die erste Verbandsspitze habe sich aber "ganz offenkundig" für die Demokratie engagiert.
Das Institut für Zeitgeschichte nannte die Tatsache, dass Männer mit einer solchen Nazi-Vergangenheit auch nach dem Krieg weiter hochrangige Ämter bekleiden durften, "ein Beispiel für die problematische Elitenkontinuität in der jungen Bundesrepublik".
Quelle: ntv.de, dpa