Politik

Lieber sicher als politisch korrekt Warum Schwule nicht Blut spenden dürfen

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(Foto: picture alliance / dpa)

Homosexuellen-Verbände und Parteien protestieren, Ärzte verweisen auf das Infektionsrisiko: Seit den 90er Jahren dürfen Schwule kein Blut spenden. Das ist diskriminierend, aber so schnell wird sich daran wohl nichts ändern.

Blut kann höchst politisch sein. Manfred Bruns aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland weiß das nur zu gut. Fast jeden Tag landen E-Mails in seinem Postfach, die über Diskriminierung und Ungerechtigkeit klagen. Verfasst von Menschen, die Blut spenden wollen, aber nicht dürfen.

Vier Prozent der spendefähigen Deutschen spenden Blut.

Vier Prozent der spendefähigen Deutschen spenden Blut.

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Wenn man es so will, gibt es gutes und böses Blut in Deutschland. Letzteres fließt zum Beispiel in den Adern von Schwulen. Weil sie ein größeres Infektionsrisiko aufweisen, sind sie ausgeschlossen. Jedoch nimmt der p olitische Widerstand gegen das Blutspende-Verbot zu. Nicht nur in den Homosexuellen-Verbänden, auch in den Parteien wächst die Kritik. "Der Ausschluss homosexueller Männer ist eine Diskriminierung ersten Grades. Er stellt Männer, die Sex mit Männern haben, unter Generalverdacht", sagt Sven Lehmann, Chef der Grünen in Nordrhein-Westfalen, n-tv.de.

Nach den Landtagen in Sachsen-Anhalt, Thüringen und NRW verabschiedete in dieser Woche auch die Bremer Bürgerschaft eine Empfehlung, den dauerhaften Ausschluss in eine zeitlich befristete Zurückstellung umzuwandeln. Schwule sollen spätestens ein Jahr nach ihrem letzten "riskanten Sex" wieder Blut spenden können. Doch tatsächlich ist eine Änderung der Vorschriften gar nicht so einfach.

Der ständige Wettlauf

Das Blutspendeverbot für Homosexuelle hat seinen Ursprung im Jahr 1993. Damals starben mehr als 1000 Patienten an den Folgen HIV-verseuchter Blutkonserven. Jahre später verabschiedete der Bundestag das Transfusionsgesetz. Um Patienten vor HIV- oder Hepatitis-Infektionen zu schützen, unterliegt die Spendentauglichkeit seitdem strengen Kriterien. Ausgeschlossen sind Personen mit häufig wechselnden Sexualpartnern, Prostituierte, Drogenabhängige und Männer, die Sex mit Männern haben oder hatten. Etwa 15 bis 25 Prozent der Anmeldungen werden aus diesen Gründen abgelehnt.

Großbritannien? Nein danke!

Bei der Auswahl der Blutspender stehen nicht nur sexuelle Aktivitäten im Vordergrund. Ausgeschlossen von der Spende sind unter anderem auch Personen, die sich zwischen 1980 und 1996 insgesamt länger als sechs Monate in Großbritannien oder Nordirland aufgehalten haben. Der Hintergrund ist die Rinderseuche BSE.

Die Sorge vor Infektionen ist statistisch nicht unbegründet: Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts leben in Deutschland 78.000 HIV-infizierte Menschen, 51.000 davon sind schwul. Einem UN-Bericht zufolge haben bis zu 7,5 Prozent der Schwulen Aids. Das Risiko von Neuinfektionen ist bei Homosexuellen rund 100-fach höher als bei Heterosexuellen - umso größer ist die Gefahr für die Patienten, denen das fremde Blut eigentlich helfen soll.

Deutschland ist ein Blutspenderland. 59 Spenden kommen auf 1000 Einwohner, das ist deutlich mehr als im EU-Schnitt. Das gespendete Blut wird nach der Transfusion zwar untersucht. Liegt eine Infektion allerdings erst einige Tage zurück, ist sie noch nicht nachweisbar. Das dauert bei HIV vier bis sechs Wochen, bei Hepatits B und C sogar bis zu drei Monate. Und nicht nur das: "Es findet ständig ein Wettlauf zwischen Erregern und Nachweismethoden statt", erklärt Rainer Seitz, Leiter der Abteilung Hämatologie/Transfusionsmedizin des Paul-Ehrlich-Instituts, im Gespräch mit n-tv.de. "Immer wieder gibt es neue Erreger, die durch Mutationen ihre Struktur verändern. Deswegen können wir gar nicht alles testen, was übertragen werden kann."

"Die Schwelle ist niedriger"

Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es ohnehin nicht. Das zeigt sich auch am Beispiel der Selbstauskunft, die jeder Neu-Spender abgeben muss. Wie viele falsche Angaben machen und im Test nicht auffallen, ist statistisch nicht zu erfassen. Wohl aber, dass weit über 90 Prozent der Spender, bei denen eine HIV-Erkrankung festgestellt wird, ihre Infektion vorher nicht angegeben haben - wissentlich oder unwissentlich. Ruth Offergeld, Fachärztin für Transfusionsmedizin am Robert-Koch-Institut, sagt n-tv.de: "Viele Homosexuelle nutzen die Blutspende, um sich auf HIV testen zu lassen. Die Schwelle ist niedriger, es geht schnell und unkompliziert und wenn etwas sein sollte, wird man zeitnah informiert." Offergeld weiß jedoch auch von Vereinen und Gruppen, die aus Protest explizit dazu auffordern, falsche Angaben zu machen.

Manfred Bruns

Manfred Bruns

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Schwulenrechtler Bruns verurteilt das. Er saß für die SPD in den 90er Jahren in der Aids-Enquete-Kommission des Bundestags. Damals sei der Blutspende-Ausschluss der Homosexuellen berechtigt gewesen, räumt der Jurist ein, heute jedoch nicht mehr. Die Tests seien besser geworden, dazu habe es sich bei den wenigen Infektionen in den vergangenen Jahren mehrheitlich um heterosexuelle Spender gehandelt. Bruns fordert daher eine Änderung des Transfusionsgesetzes: "Die Regeln sind falsch formuliert. Entscheidend ist doch, ob der Spender geschützten oder ungeschützten Sex hatte."

Für Offergeld ist "safer sex" kein zuverlässiges Kriterium. Kondome böten keinen absoluten Schutz. Es sei schwierig, vor der Spende nachzufragen, ob der Spender "wirklich jedes Mal und von Anfang an ein Kondom benutzt" habe. Auch würden häufig falsche Gleitmitteln benutzt. "Das alles kann man im Rahmen einer Blutspende gar nicht berücksichtigen", sagt Offergeld.

Vorbild Italien?

Nicht alle Länder schließen Schwule so dezidiert vom Blutspenden aus wie Deutschland und die USA. In Italien, Estland, Lettland, Spanien und Tschechien gibt es zeitlich befristete Ausschlüsse, nach deren Ablauf die Spende wieder erlaubt ist. In Italien beurteilen Ärzte die Tauglichkeit anhand von Einzelgesprächen, in denen Neu-Spender über ihr individuelles Sexualverhalten befragt werden. Seit Homosexuelle zur Blutspende zugelassen sind, stieg die Zahl der Spenden in Italien um 20 Prozent an, die Zahl der infizierten Spender sank.

Ein sinnvolles Modell für die Bundesrepublik? Viele Mediziner halten es für schwierig, mit jedem potenziellen Spender eingehend über seine Sexualpraktiken zu sprechen. "Die Leute legen ungern ihre Partnerschaftsverhältnisse offen. Da gibt es erheblichen Widerstand", sagt Offergeld. Ein weiteres Problem sieht sie in der Auskunft, die ein schwuler Spender über seinen vermeintlich festen Partner abgibt. Dessen Treue sei jedoch keineswegs gewährleistet. Homosexuelle begingen nicht zwangsläufig mehr Seitensprünge als Heterosexuelle, "aber bei ihnen besteht ein wesentlich größeres Risiko sich zu infizieren."

Rechtlich unterliegen die Blutspenderichtlinien dem Bundesgesundheitsministerium, doch hier verweist man auf das selbstverwaltete Gesundheitswesen. Über mögliche Änderungen der Vorschriften berät der Arbeitskreis Blut, dem unter anderen Experten der Bundesärztekammer (BÄK), des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert-Koch-Instituts angehören. Im Juni 2013 erklärte die BÄK, "im Rahmen ihrer Möglichkeiten" auf eine Veränderung des EU-rechtlichen Rahmens hinwirken zu wollen. Gemeint ist Richtlinie 2004/33/EG, die EU-Staaten verpflichtet, Personen vom Blutspenden auszuschließen, "deren Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt".

"Keine seriösen Aussagen

Führt wirklich kein Weg vorbei an Brüssel? Bruns sieht das anders. "Die Länder müssen nur garantieren, dass sie ein sicheres Verfahren haben", sagt er. Die lockere Praxis in Italien oder Spanien zeige, dass eine Änderung der EU-Richtlinie gar nicht nötig sei. Hinter dem Einwand vermutet er reine Lobbypolitik. "Die Blutspende ist ein industrielles Unternehmen in Deutschland. Das Blut wird mit hohem Gewinn in andere Länder verkauft. Da fürchtet man offenbar negative Konsequenzen, wenn die Risikomerkmale geändert werden", so Bruns. Aus seiner Sicht spielen die Verantwortlichen bewusst auf Zeit. Sollte die Arbeitsgruppe Blut auf den Umweg EU bestehen, könne es noch "Jahrzehnte dauern".

Die Debatte wirft vor allem die brisante Frage auf, was wichtiger ist: der Schutz der Patienten oder die Gleichstellung Homosexueller. Für die Experten, in deren Hand die Entscheidung liegt, hat die Sicherheit höchste Priorität. Seitz verweist auf die Verantwortung einer Zulassungsbehörde, keiner wisse, was passieren würde, wenn man die Vorschriften ändert und daraufhin ein Patient durch eine Spende infiziert würde. Noch seien daher "umfangreiche Beratungen" nötig. Ob's 2014 noch was wird? Seitz antwortet ausweichend. Über den Zeitrahmen könne er "keine seriösen Aussagen machen". Vorerst bleibt deshalb alles beim Alten. Es gibt böses Blut und gutes Blut.

Quelle: ntv.de

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